Macht die Augen auf und lebt Euren Traum!
Cryptex
Mit "Good Morning, How Did You Live?" schlugen Cryptex im März dieses Jahres wie eine Granate ein. Eine irrwitzige Mixtur aus Prog- und Folk Rock, schmissigem Power Pop und Ragtime, gewürzt mit zahllosen kleinen musikalischen Gimmicks machten neugierig: Wer sind die Macher dieser abgefahrenen Melange? Trotz kleiner Probleme technischer Art konnten wir ein Gespräch mit den drei jungen, überaus talentierten Musikern aus Salzgitter führen.


Interview vom 27.04.2011


Steve Braun
RockTimes: Die scherzhafte Frage eingangs meines Reviews möchte ich gerne wiederholen: Cryptex? Ist das eine neue Kunstfaser für Textilen oder bezieht sich das auf Dan Browns Kunstwort aus dem Buch "Das Sakrileg"? Oder vielleicht etwas völlig anderes??
Simon: Die Intention war natürlich einen Bandnamen zu suchen, der kurz, knapp und präzise über die Lippen geht, der prägnant ist, zweisilbig, ein Stempel, der sich leicht einprägt. Und wir finden einfach, dass Cryptex gut klingt. Die Verbindung mit dem Megaseller von Dan Brown wird natürlich leicht hergestellt. Das war aber nicht der einzige Grund, weshalb wir uns dafür entschieden haben. Wir fanden den Namen einfach cool und sehr schlüssig. Wenn man sich den Facettenreichtum der Musik anschaut, sich die Fotos im Artwork anschaut, wirkt das alles ja sehr geheimnisvoll und undefinierbar. Da liegt die Verbindung zu dem Kontext, wie er im Buch auftaucht, relativ nahe. Aber - wie gesagt - das war nicht die einzige Intention, weshalb wir uns Cryptex genannt haben.
RockTimes:Simon Eine Frage hat sich schon nach dem ersten Hördurchgang, wegen der Virtuosität des Vortrags, aufdrängt: Wann seid Ihr erstmals mit Euren Instrumenten in Kontakt gekommen? Wie habt Ihr Euch gefunden?
Simon: Jeder von uns spielt sein Instrument schon relativ lange. Ich mach jetzt seit sieben Jahren Musik. Martin auch schon seit mittlerweile acht, neun Jahren - Ramon auch schon länger als zehn Jahre. Wir haben uns in verschiedenen Bandprojekten die Hörner abgestoßen, wo man reift und für sich den Weg entdeckt, was man wirklich machen will. So kam es, dass Ramon und ich zusammengetroffen sind und die ersten Projekte aufgezogen haben. Im Frühjahr 2008 ist dann über einen Aufruf von mir - wir suchten einen Gitarristen - Martin auf uns aufmerksam geworden und seit April 2008 ist er ein fester Bestandteil der Band Cryptex.
RockTimes: In dieser Besetzung habt Ihr auch schon die EP eingespielt?
Simon: Genau, in dieser Besetzung ist dann Even Nature Will Be Thrilled in Eigenregie und
-produktion entstanden. Dies war der erste repräsentative Tonträger der Band Cryptex. Das war damals noch irgendwie in den 'Kinderschuhen'. Wenn man sich die EP anhört, ist die zwar sehr cool, aber die volle Kraft, die volle Power haben wir jetzt erst bei dem Debütalbum entfaltet, das wir über eineinhalb Jahre produziert haben.
RockTimes: Genau, ich finde auch, dass Ihr jetzt reifer klingt. Aber dazu kommen wir ja später noch...
Die Vielzahl der musikalischen Einflüsse, die ja größtenteils vor Eurer Geburt aktuell waren, hat mich beeindruckt. Folk, siebziger Jahre-Prog, etwas Woodstock und Ragtime... Habt Ihr Euch an den Plattenregalen Eurer Eltern gütlich getan?
Simon: Ich komme genauso wie Ramon aus einer Musikerfamilie. Musik war immer gegenwärtig, war immer ein großes Thema für uns. Mein Vater hat mich bereits mit sechs, sieben Jahren mit
Led Zeppelin und Grand Funk Railroad zugeblasen und damals ist diese Begeisterung entstanden. In der fünften, sechsten Klasse war ich schon ein riesiger Rammstein-Fan. Ich war immer begeistert von Gitarrenmusik. Unsere Väter [Ramons, Simons] haben in den siebziger Jahren in regionalen Bands gespielt und waren selbst auf Tournee - da kriegt man das halt mit.
Wenn man sich diese ganze am Band produzierte 'Plastik-Scheiße', die in den Charts und im Fernseher läuft, anhört, ist es die logische Konsequenz, dass man sich auf die altbewährten, guten Sachen beruft. Das sind die Sachen, die wirklich ungeschönt und gut rüberkommen, mit Herzblut gespielt sind - das ist halt wahre Kunst. Bands wie Jethro Tull, Pink Floyd, Beatles, Queen sind halt wirkliche Künstler, unglaubliche Genies. Genau das sollte der Leitfaden sein, wenn man handgemachte Musik machen will. Aber Martin will da auch noch was dazu sagen.
Martin:Martin Japp, ich bin wieder mal der Sonderfall. Ich komme nicht aus einer Musikerfamilie. Bei mir ging das erst mit zwölf, dreizehn los, dass ich mich für Musik begeistert habe. Gleichzeitig begann ich auch Gitarre zu spielen. Diese ganzen alten Größen sind erstmal völlig an mir vorbei gezogen. Da waren erstmal Pur und Münchner Freiheit und solche Geschichten angesagt, später so 'Eighties' aus dem Radio. Aber irgendwann hat mich das auch gepackt, gerade diese Sachen, die Simon schon aufgezählt hat. Oder auch Genesis - eine wirklich geniale Band - geiles Ding! Wobei ich mich da auch nicht verstecke und gerne mal ein bisschen 'Brett' höre, Neuzeitmusik, auch gerne mal aus dem elektronischen Bereich. Aber das ist nicht das, was ich auf der Bühne machen will. Ich will handgemachte Musik machen - will da mit meiner Gitarre hoch und nicht mit einem überdimensionierten Drum-Computer und tausend Samples da 'abatzen'.
RockTimes: Ich könnte mir vorstellen, dass diese Vergleiche mit den Rocklegenden etwas nervig sein können. Schließlich habt Ihr aus diesen ganzen Einflüssen etwas völlig neues kreiert. Nervt Euch das manchmal, wenn Ihr mit solchen großen Namen in Verbindung gebracht werdet?
Martin: Eigentlich nicht - wir fühlen uns eher geehrt, solange es nicht heißt, wir klängen 'genau' wie die. Aber das ist ja gar nicht so, das hast Du ja gerade selbst gesagt. Wir haben unseren ganz eigenen Mix, unseren ganz eigenen Stil, der auch ganz genau von diesen Referenzbands zu unterscheiden und zu erkennen ist. Genervt also absolut gar nicht... Wenn ich bspw. den Simon nehme: Ein Riesen-Beatles- und Queen-Fan. Wenn es dann heißt, dass er so in Richtung
Freddie Mercury singt, dann ist das schon geil! Einmal hieß es sogar, dass ein Song gut auf der "Sgt. Pepper" [Beatles] Platz gefunden hätte - da fühlen wir uns schon sehr geschmeichelt.
Simon: Da will ich auch noch ganz kurz etwas dazu sagen. Ich bin manchmal schon ein bisschen genervt davon, muss ich mal ganz ehrlich sagen. Ich glaube, die Band Cryptex hat so ein krasses Alleinstellungsmerkmal. Der Rezensent macht natürlich nichts falsch - er muss ja gewisse Vergleiche für die Leser ziehen, die ja nichts Visuelles oder eine Audiospur vorliegen haben. Die müssen sich ja ein Bild machen und dadurch wird ja auch ein Kaufanreiz geschaffen. Was mich aber daran stört, ist, dass mehr darauf 'herumgeritten' wird 'wie' wir klingen - wie Bands bspw. die es seit über zwanzig Jahren nicht mehr gibt - statt wirklich auf 'unsere' Musik richtig einzugehen. Bei dem RockTimes-Review war das jetzt zwar nicht, aber bei vielen Review frage ich mich: Mensch, 'scheiß' doch jetzt mal auf diese ganzen Bands und schreib über unsere Mucke und nicht 'wie' wir klingen. Schreibt doch mal, wie Ihr uns richtig empfindet und nicht darüber, woran wir uns orientieren. Obwohl, irgendwann hast Du mal einen Rezensenten der schreibt, die Band XY klingt ein bisschen wie Porcupine Tree und Cryptex - das wäre natürlich auch cool.
RockTimes: Trios kennt man ja eher in der Kombination Gitarre/Bass/Schlagzeug und dann meist im Blues-Bereich, Cryptex ist da doch sehr ungewöhnlich aufgestellt. Wie seid Ihr auf diese Konstellation gekommen und warum benutzt Ihr auf der Bühne keinen Bass?
Simon:Cryptex Ganz ohne Bass kann man so nicht sagen. Wir haben in unserem Live-Repertoire vier, fünf Songs, bei denen ich an den Bass wechsele. Aber das Piano bietet kompositorisch und soundtechnisch ganz andere Möglichkeiten, die unser Spektrum abdecken. Wenn man nur Bass, Drums, Gitarre anbietet, ist man halt limitiert und mit Synthesizern, coolen Keyboardsounds und Stage-Piano kann man ganz anders agieren und es sieht vor allem auch cooler aus. Es hat auch ein Stück weit etwas mit dem 'Egofilm' von den Bandmitgliedern zu tun. Wenn wir uns einen vierten Mann holen würden, nur damit der da im Hintergrund meine Bassparts spielt und am Keyboard sitzt, wenn ich am Bass bin, dann wäre meine Rolle als Frontmann nicht mehr genug gewichtet. Diese Rolle soll ich halt erfüllen, so gut es eben geht und wenn man sich eine Live-Show von uns mal anschaut, dann wäre es im Endeffekt eine Schande, wenn ich diesen Job nicht mehr machen könnte. Das ist für viele Leute ein wichtiger Grund, sich eine Cryptex-Show anzuschauen, weil viele sich auch an meiner Bühnenshow erfreuen.
Bei Ramon wäre das so, dass ein vierter Mann die Mitte der Bühne besetzen würde und der Blickfang nicht mehr auf sein Schlagzeug und sein geiles Schlagzeugspiel, seinen Super-Style gerichtet wäre. Das heißt, wenn man zu Dritt ist, ist jeder für sich individuell und die Leute können jeden Einzelnen bewundern. Umso mehr Leute auf der Bühne stehen, umso schneller geht der Einzelne unter. Also spielen wir die fehlenden Instrumente selber und machen dann aber Abstriche beim Livesound. Aber das ist auch ein Grund, warum wir so einen eigenen, speziellen Sound entwickelt haben - ungewöhnlich, teilweise auch gewöhnungsbedürftig. Das bildet auch ein Alleinstellungsmerkmal, einen charakteristischen Sound, den wir ungern aufgeben würden.
RockTimes: Wenn ich mir die Bilder der Website, des Artworks oder Booklets anschaue, scheint Cryptex ein Gesamtkunstwerk zu sein und in diesem Zusammenhang: Ist Good Morning... ein Konzeptalbum?
Martin: Es ist jetzt nicht unbedingt das eine Album mit dem einen Konzept - das man sofort erkennt, wo man sofort den roten Faden erkennt. Ich denke, dass "Good Morning, How Did You Live?" den Hörer dazu anregen soll, einmal genauer hinzuhören und seinen eigenen roten Faden zu entdecken. Wie Du schon erwähnt hast. Das Artwork: die Fotos von Martin Huch, das Design von Jonathan Stenger - das waren Partner, die genau das umgesetzt haben, was wir uns lange Zeit zurecht gesponnen hatten. Das Ganze lässt bewusst Türen offen und zeigt verschiedene Seiten, um jedem die Chance zu geben, mehr bzw. das Eigene zu entdecken. Wenn es ein Konzept gibt, dann ist es die Aufforderung, selbst herauszufinden, was Cryptex für einen selbst bedeutet.
RockTimes: Wie ich Euch so einschätze, habt Ihr Euch bei der Wahl des Titels auch etwas gedacht...
Simon: CryptexAlso, "Good Morning, How Did You Live?" ist nichts weiter als eine Ermutigung an die Hörer, ihre Träume zu leben. Viele Menschen stecken in gesellschaftskonformen Zwängen fest. Neben den surrealen Träumen, die man so hat, gibt es auch ganz normale, realistische Träume, die widerspiegeln, was Du in Deinem privaten Leben sein möchtest. Beispielsweise ein Banker in Frankfurt am Main der doch davon träumt, in Texas eine Pferdezucht zu haben, um den Pferden ein Hufeisen auf den Arsch zu drücken und dann auf einem Pferd in den Sonnenuntergang zu reiten. "Good Morning, How Did You Live?" soll die Leute anregen, ihre Lebensträume zu verwirklichen, ihres eigenen Glückes Schmied zu werden. Sie sollen sich trauen, ihre Visionen umzusetzen, ganz gleich wie schwer sie zu erreichen sind.
Vielleicht ist "Good Morning..." doch irgendwie ein Konzept. Ganz früh - mit achtzehn als ich in einer Punkband den Bass gezupft habe - hatte ich die Vision, irgendwann ein Album mit fetten Chören, mit Streichern und einem monumentalen Bollwerk von Sound, ein Kunstwerk zu schaffen. Kollegen hatten mich damals für verrückt und größenwahnsinnig gehalten - gut, das tun sie mittlerweile heute noch [lacht]. An dem Tag, als dieses Album dann aus dem Presswerk kam, wurde mir klar: Du kannst alles schaffen! Man muss sich nur festbeißen, hart genug arbeiten, den Stress abkönnen und sich die 'grauen Haare' zwischendurch abrasieren - dann wird das auch was.
"Good Morning, How Did You Live?" will einfach sagen: Mensch, macht die Augen auf und lebt Euren Traum! Das ist die Botschaft... Obwohl es in den Songtexten noch andere Messages gibt, die allerdings immer viel Platz für interpretatorische Freiräume lassen - so wie das Artwork, die Fotos und deshalb ist Cryptex schon ein ziemlich kalkuliertes Gesamtkunstwerk. Da passiert nicht viel zufällig - da wird von uns viel Wert auf Konzeption gelegt.
RockTimes: Welche Tür schließt ihr im Intro auf?
Simon: Das versinnbildlicht das, was ich gerade gesagt habe. Das Öffnen dieser Tür saugt den Hörer in unsere eigene, verrückte, surreale Welt. Die Tür geht auf und es empfängt Dich "Hicksville, Habitus And Itchy Feet", ein schwerer, hypnotischer Song, der sehr weit klingt und wo man das Meer vor sich sehen kann. Das ist die Message hinter dieser knarrenden Tür...
RockTimes: Manche Songs wie "Hicksville..." oder "Camden Town" erscheinen mit monumentalem Charakter angelegt, werden aber nach recht kurzer Zeit beendet. Warum diese kompakte Songanlage?
Simon: Ich hab vor drei Wochen auf der Frankfurter Musikmesse eine Band kennengelernt, die fand ich super und ich hatte mir auch einen Song aus dem Internet runter geladen - viereinhalb Minuten und am Ende wurde der Refrain viermal wiederholt. Da dachte ich mir: Leute, lasst doch gut sein. Warum habt Ihr nicht schon vor eineinhalb Minuten aufgehört - da war doch bereits alles gesagt. Mit unserer Kompaktheit versuchen wir, die gängigen Songstrukturen aufzubrechen, die den Hörer oftmals zum 'Skippen' verleiten. Bei uns ist es so: Ehe man sich versieht, ist man bereits beim dritten Song angelangt und hat schon so viel von uns mitbekommen und es bleibt trotzdem noch spannend... Nimm "Hicksville...": Der Song ist kurz, aber trotzdem schlüssig. Er hat ein Intro, eine Strophe, Bridge, Refrain - also schon eigentlich eine stereotypische Songstruktur. Aber ich denke es ist die Attitüde des Songschreibens, des Singens die diesen speziellen 'Style', den wir haben, zum Ausdruck bringt. Oder nimm "A Colour Called Gently" - eigentlich das krasse Gegenteil (11 Minuten und 5 Sekunden... das können wir natürlich auch.
RockTimes: Wie kommt man auf solche irren, total abgefahren Breaks wie bspw. den A-cappella-Gesang in "Dance Of The Strange Folk"?
Simon: Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht. Wie ist Freddie Mercury auf "Bohemian Rhapsody" gekommen, ohne uns jetzt mit ihm vergleichen zu wollen - das wäre ja anmaßend. Im Nachhinein, wenn man etwas Abstand zu den Aufnahmen gewonnen hat, habe ich mir schon manchmal überlegt, was ich auf diese Fragen antworten soll. Denn es war mir völlig klar, dass genau diese Fragen kommen werden. Ich habe - ehrlich gesagt - keine plausible Antwort darauf, außer, dass viel intuitiv passiert. Ich habe den groben Song in den Proberaum mitgebracht, wir haben rumgejammt, Martin und Ramon haben ihren Brei dazu gegeben. An einem Punkt kamen wir erstmal nicht weiter und da habe ich einfach in die Hände geklatscht und dazu 'rumgeblökt'. Das gibt so eine ganz krasse Wendung in dem Song. Live zieht das besonders gut, weil die Leute schon darauf warten - da kann man gut mit dem Publikum arbeiten.
RockTimes: CryptexGewährt mal einen kleinen Einblick in Eure Songwriting- und Aufnahmeprozesse: Seid Ihr mit festen Songstrukturen ins Studio gegangen oder hat sich dort erst vieles entwickelt?
Simon: Die Songs waren, bevor wir ins Studio gegangen sind, alle komplett fertig. Speziell bei diesem Album - für die Zukunft kann ich jetzt noch nicht sprechen - stammten die Grundstrukturen zu 95% aus meiner Feder. Der Rest wurde in gemeinsamer, monatelanger Arbeit im Proberaum ausgearbeitet. Ein halbes Jahr bevor wir ins Studio gegangen sind, haben wir eine Vorproduktion gemacht. Hier haben wir viel mit Chören gearbeitet und Gimmicks ausprobiert und sind schon mit einem schlüssigen, ausgeklügelten Konzept ins Studio gegangen. Nach dem ersten 'Rough Mixes' haben wir gemerkt, dass die Songs trotzdem immer noch gewachsen sind. Viele Ideen kamen neu hinzu, anderes wurde wieder fallengelassen, weil es dann doch zu viel wurde. Da wurde mit Streichhölzern geklappert, eine Coladose geöffnet (in "The Big Easy"), dann haben wir noch Steptänzer eingeladen. Während des Produktionsprozesses hatte ich mir erst noch das Intro und Outro zurecht 'geschustert'. Du siehst, es ist also während dieser neun, knapp zehn Monaten Produktion erst vieles entstanden. Wir versuchen aber trotzdem, im Vorfeld so gut wie alle Eventualitäten einzukreisen, damit man nicht so viel Arbeit im Studio hat.
RockTimes: Das erklärt dann möglicherweise auch die Verzögerung der Veröffentlichung, denn eigentlich sollte "Good Morning..." ja bereits im vergangenen Augst erscheinen?
Simon: Da fließen ja auch immer noch viele andere Faktoren ein. Wenn wir jetzt ein reines Mietstudio genommen hätten, also die Leute 'gemietet' hätten, dann kann man natürlich auch ganz klar terminieren. Dann muss nur noch gemastert werden und dann ist fertig... Wir hatten ein Studio, bei dem wir eine Pauschale ausgehandelt haben und dafür hatte der Produzent auch keine Verpflichtung, täglich ins Studio zu kommen. Wir haben uns bewusst diese Zeit genommen. Wir wollten nicht Gefahr laufen, hinterher beim fertigen Produkt festzustellen, dass wir uns doch besser halbes Jahr Zeit genommen hätten. Wir haben uns ein Studio genommen, wo es legitim war, dass man sich wochenlang an einem Song aufhält. Es war uns bei unserem Debütalbum wichtig, dass alles passt. Wir sind produktionstechnisch bereits auf einem Standard, den manche anderen Bands erst nach dem zweiten, dritten Album haben. Dann war schnell klar, wir 'müssen' das professionell veröffentlichen. Dann sind wir halt auf die Suche gegangen und so was kann sich hinziehen, bis man eine Plattenfirma findet, bis man einen Musikverlag findet - deshalb hat sich das alles etwas verzögert. Erst im Dezember 2010 konnten wir unseren Vertrag unterzeichnen und festlegen, dass wir in drei Monaten veröffentlichen können.
Wir sind jetzt sehr glücklich, dass wir mit CMM einen super Promotion-Partner an unserer Seite haben, gutes Management, gute Marketingagentur, wir haben als Musikverlag die Warner Music Group an unserer Seite - besser kann man es als Newcomerband für das Debütalbum nicht treffen. Es ist im Rückblick gut, dass wir so lange gewartet haben, denn im Endeffekt hat es ja niemandem wirklich weh getan, dass wir solange daran gearbeitet haben.
RockTimes: "It's Mine" erinnert spontan an Neil Youngs "Woodstock" und langsam vergilbende Zeiten... Der Song hebt sich von allen anderen ab - sticht (positiv) heraus. Warum wolltet Ihr "It's Mine" auf diesem Album haben?
Simon: Wir haben auf ein ganzes Sammelsurium von Songs zurückgegriffen, die wir in den letzten eineinhalb, zwei Jahren geschrieben haben. "It's Mine" war für uns persönlich immer schon ein sehr starker Song, vor allem, weil er sehr emotional ist. Ich pack da immer eine ganze Menge Emotionen rein. Über die vergangene Zeit hat sich der Song auch sehr stark verändert und er hat eine ganz witzige Historie...
RockTimes: Erzählt mal...
Simon: "It's Mine" habe ich schon im Januar 2007 geschrieben und wir haben den bis 2009 unverändert 'im alten Kleid' gespielt - konventionell instrumentiert, mit einem richtig treibenden Groove und abgefahrenen Breaks. Plötzlich wurden wir für ein Unplugged-Konzert gebucht und sahen uns vor die Aufgabe gestellt, unsere altbewährten Songstrukturen in unplugged-fähige Songs umzubauen. Ich hatte vorher ein Riff auf dem Bass gespielt, das Martin nun auf der Akustischen etwas verfälscht und damit den Startschuss für die jetzige Version gegeben hatte. Ich habe dann die Gesangsmelodie etwas verändert, statt dem Schlagzeug kam das Cajon dazu und dadurch hat sich das Flair völlig verändert. Diese Version fanden wir auch besser für "Good Morning..." geeignet.
Der Text bedeutet mir auch eine ganze Menge. Darin prangere ich diese scheuklappenmäßige Verhalten der Verantwortlichen im Musikbusiness an, die ihre Augen vor uns immer noch verschließen, obwohl das, was wir machen, schon ein krasses Vermarktungspotenzial hat. "It's Mine" ist als Mahnung an diese Leute zu sehen: Passt auf, ihr werdet schon sehen, wohin wir gehen. Das ist so wie damals bei den Beatles, die auch zuerst von drei Plattenfirmen abgewiesen wurden und irgendwann haben sie die Plattenfirma aufgekauft. Eins kann ich Dir sagen, wenn ich etwas zum Mond schießen könnte, dann wäre es das gesamte Musikbusiness. "It's Mine" macht mir da immer unglaublich viel Mut.
RockTimes: Völlig neue Töne stimmt Ihr dann in "Big Easy" an - eine überraschende Wendung in anspruchsvolle Pop-Gefilde. Habt Ihr schon mal das "Sgt. Pepper..."-Album der Beatles gehört? Sind das die ultimativen Popsongs?
Simon: Die ultimativen Popsongs, die ultimative Band aller Zeiten! Ich bin persönlich der größte Beatles-Verehrer und Ramon ist ebenfalls ein großer Beatles-Fan. Martin ist da jetzt nicht so euphorisch, aber er findet die im Prinzip auch gut. Da ist einfach für jeden etwas dabei. Es ist für einen Komponist und Arrangeur ein riesiges Kompliment, das zu hören.
Sie machen ja nicht nur Popmusik. Die Beatles haben ja genauso gut Progressive Rock gespielt, wenn Du "Happiness Is A Warm Gun" oder "I Am The Walrus" anhörst. Die haben Blues gespielt und viele klassische Elemente - Barock, Bach, Beethoven - in ihrer Musik gehabt. Sie stehen diesen großen Komponisten in nichts nach und sie werden auch noch in zweihundert Jahren gehört werden. Das Erbe der Beatles ist ein großes Juwel der Weltkultur.
Es ist wirklich erstaunlich: Thrash-Metaller hören die Beatles genauso wie meine Oma. Es ist total merkwürdig und selbst mein Neffe... der findet "Yellow Submarine" ganz toll. Es gibt keine Band, die derart Generationen übergreifende Musik geschrieben hat und daran muss man sich als Band orientieren.
RockTimes: Höre ich da heraus, dass Ihr Euch auf einen ähnlichen Veränderungsprozess wie die Beatles einlassen könntet? Die hatten sich ja im Lauf ihrer Karriere unglaublich weiterentwickelt...
Simon Bei Cryptex darf man schon damit rechnen, dass so eine krasse Entwicklung stattfinden wird. Aber trotzdem immer mit diesem i-Tüpfelchen Cryptex. Man muss hören, dass 'wir' das sind - spätestens wenn meine Stimme einsetzt, weiß man das ohnehin. Witzig ist, dass meine Stimme oft Kontroversen unter Rezensenten auslöst. Von 'Scheißstimme' bis 'göttliche Stimme' ist da alles dabei. Offensichtlich hat meine Stimme etwas Eigenständiges. Es ist - ähnlich wie bei Mick Jagger oder Jack White - keine unglaublich schöne Stimme. Die beiden verfügten - ähnlich wie Freddie Mercury - über ein riesiges Wiedererkennungspotenzial. Wenn Cryptex mal eine Gratwanderung machen muss, was mit Sicherheit passieren wird, soll man immer noch den unverkennbaren Stil wahrnehmen: das ist Crypex! Das werden wir immer beibehalten...
Allerdings, wenn wir über die Beatles oder Queen sprechen, dann reden wir über eine Zeit, die nicht einmal im Entferntesten mit dem Musikbusiness der heutigen Zeit vergleichbar ist. Das heißt, es kann auch unglaublich gefährlich für uns sein, wenn man sich beim nächsten Album um 180 Grad dreht. Aus künstlerischer Sicht mag das bemerkenswert sein, aber das Vermarkten wird dabei eher schwierig. Die Beatles bspw. haben sich erst dann weiterentwickelt, als sie ihre erste Million gescheffelt hatten und die Leute sowieso alles millionenfach gekauft haben. Unser zweites Album sollte schon wieder ein Alleinstellungsmerkmal, aber nicht komplett anders vom Stil sein. Es sollte schon einen Kontext zu dem haben, was wir bis jetzt geschaffen haben.
RockTimes: Nun zu den Pianoballaden "Mom" und "Alois" - wer oder was hat Euch zu diesen sehr persönlich wirkenden Songs inspiriert?
Simon: "Mom" ist eine Hommage an meine Mutter - ganz plakativ, wie es schon der Songtitel vorgibt. In dem Song verarbeite ich Zeiten, in denen es meiner Familie nicht so gut ging, wo es zwischen meinen Eltern auch sehr schwierig war. Meine Mutter hat damals sehr gelitten, als die Familie zerbrochen ist. Ich will ihr damit sagen: Mach Dir keine Sorgen - egal wie groß der Schatten über Deinem Haupt ist, ich werde für Dich da sein.
"Alois" ist das Gegenstück dazu. "Mom" ist sehr lebensbejahend dagegen ist "Alois" ein Nachruf. Alois ist mein toter Großonkel, der 1940 von der Wehrmacht eingezogen wurde. Für meines Opas Mutter war dieser Alois stets der letzte Halt, nachdem ihr Mann bereits in diesem Krieg gefallen war. Mit knapp achtzehn Jahren hat er sich entschieden, doch noch für diesen kranken Endsieg zu kämpfen. Drei oder vier Wochen vor Kriegsende ist er dieser kranken Ideologie [des Hitlerregimes, Red.] zum Opfer gefallen. Dieser kleine Junge - da hat sich ein Kopfkino bei mir abgespielt - zieht da frohen Mutes los und verreckt wenige Wochen später. Das war immer ein Thema für meinen Vater, denn seine Großmutter ist in dem festen Glauben gestorben, dass ihr Alois eines Tages wieder auftaucht. Sie glaubte fest, dass er sich wegen der Besatzungsmächte nicht nach Deutschland zurück getraut habe. Sie hat sich daran festgehalten, weil noch in den Siebzigern und Achtzigern Verschollengeglaubte wieder zurückgekehrt sind. Es war also nie sicher, was mit Alois passiert ist. Mein Daddy hatte es sich zur Aufgabe gemacht, hier nachzuforschen. 2009 - ich weiß es nicht mehr genau - hat er mir erzählt, er hätte Alois gefunden. Er wurde in einem Massengrab in Bulgarien oder Rumänien gefunden. Das war wie ein Schlag mit dem Vorschlaghammer gegen meinen Hinterkopf. Das hat mich so umgehauen, weil plötzlich diese schemenhafte Gestalt ein Jungengesicht vor meinem geistigen Auge bekommen hatte. Mit mir konnte man hinterher drei Tage nichts mehr anfangen, war extrem depressiv. Diesen Song hatte ich in nur zehn Minuten geschrieben, komplett mit allen Ideen, Streicher hier - Chor da, was für mich sehr untypisch ist. Normalerweise sitze ich einen Monat lang an einem Song, oder noch länger. Das ist die Story zu "Mom" und "Alois".
RockTimes: Warum der Gospelchor im Outro und weshalb wird die im Intro geöffnete Tür derart heftig zugeschlagen?
Simon: Wir haben Glück - Ramon ist nämlich gerade zu uns gestoßen und will dazu etwas sagen.
Ramon:Ramon Ja, genauso wie sie geöffnet wurde. Beim Intro hörst Du, wie jemand auf einem Kiesweg in einen Kellereingang geht, die Tür aufschließt und in einen Gang hinein geht. Da laufen komische alte Schellack-Platten an, er stößt einen alten Ventilator an, der wieder zu laufen beginnt - die Stimmung wird immer unheimlicher. Er geht weiter auf eine große Stahltür zu, während unsere Musik langsam lauter wird. Man hört schon: Hier beginnt unsere Welt. Er geht immer weiter auf die Tür zu, man hört, wie er sie aufschließt und aufreißt. Ein starker Sog zieht ihn in die Welt von Cryptex hinein. Dort lebst Du Deine Träume, Deine Tagträume. Und - wie im richtigen Leben - wird man da sehr leicht herausgerissen. Genau das soll diese zugeschlagene Tür symbolisieren. Sie zugeschlagen und Du wirst in die Realität zurückgeholt.
RockTimes: "Good Morning, How Did You Live?" ist ein prima Auftakt zum Durchstarten. Wie geht's jetzt mit Cryptex weiter?
Martin: Erstmal wollen wir auf der Bühne stehen. Wir wollen so viele Auftritte wie möglich machen. Das Ziel ist es, mindestens fünfzig, sechzig Auftritte pro Jahr zu haben und am besten auch zu touren. Je mehr, desto besser natürlich - je mehr Leute Du erreichst, umso größer wird auch die Fangemeinde. Davon mal abgesehen suchen wir natürlich auch einen richtig kompetenten Booker. Das, was augenblicklich in Frage stehende Booking-Agenturen leisten können, können wir selbst auch leisten. Das machen wir auch - gerade Simon ist da am 'Abatzen' ohne Ende. Wenn Du als Band anfragst, ist das etwas ganz anderes, als wenn sich da eine Booking-Agentur meldet. Wir können da leider nur auf einem ganz anderen Level mit den Leuten sprechen. Wir wollen uns mit unserer Qualität und einer Zwei-Stunden-Show ganz gewiss nicht unter Preis verkaufen.
Natürlich spinnt man sich im Proberaum bereits neue Songs für das nächste Album zusammen - da können wir uns gar nicht dagegen wehren, das passiert ganz automatisch. Ideen, Riffs und Songstrukturen, die wir jetzt nicht auf "Good Morning..." unterbringen konnten, spinnen wir natürlich ebenfalls weiter. Es bringt nichts, wenn wir das nächste Album erst in fünf Jahren machen - dann ist der Zug abgefahren.
Simon: Wir sind gerade schon wieder mitten in der Arbeit. Wir haben schon vier Songs für die nächste Platte fertig. Das ist aber kein Indikator dafür, dass wir schon nächstes Jahr wieder ins Studio gehen. Ich denke, dass wir eher erst in eineinhalb oder zwei Jahren wieder werden, weil wir die Messlatte mit "Good Morning..." unbestritten sehr hoch gelegt haben. Da kannst Du natürlich keinen 'Standard-Scheiß' mit zehn Songs, minderwertigem Artwork und Vier-Seiten-Booklet nachlegen. Das nächste Album wird wirklich ein richtiges Konzeptalbum werden. Wir hoffen und versuchen die Songs noch etwas fairer aufzuteilen, dass Martin und Ramon mehr beitragen. Jede Band hat nun mal eine treibende Kraft - das war immer so in der Musikgeschichte und wird immer so sein - trotzdem ist es wichtig, dass man von den Ideen und Talenten der anderen Bandmitglieder als Komponist partizipiert. Dennoch stammt das Konzept des neuen Albums wieder aus meiner Feder, weil ich da ganz persönlich werde. Ich verarbeite damit meine Kindheit, die nicht immer einfach war, metaphorisch. Das Konzept rankt sich um einen elfjährigen Jungen namens Melvin, der eine Reise beginnt und durch diese Reise begleiten wir ihn dann musikalisch - "Peppermint Park" wird diese Scheibe betitelt sein. Das soll ein ganz großes Ding werden - hoffen wir natürlich - und soll die sehr guten Verkaufszahlen von "Good Morning..." in den Schatten stellen. Ein Konzeptalbum ist natürlich sehr viel schwieriger, man muss sich sehr viel mit dieser Materie beschäftigen.
"Peppermint Park" soll wie folgt aufgezogen werden: Es wird diesmal kein Digipak, sondern ein Jewel Case in einem Pappschober. In diesem Schober ist ein gefaltetes Booklet, das man zu einem A2-Plakat aufklappen kann. Dieses stellt eine riesengroße Szenerie dieser Phantasiewelt, dieses "Peppermint Park", dar. Es wird auch eine Plastiklupe befestigt sein, mit der man über dieses große Gemälde, dieses Kunstwerk fahren kann. Damit kann man dann viele tausend kleine Details erkennen - der Phantasie sind halt keine Grenzen gesetzt. Das eigentliche Booklet wird dann 24- oder gar 30 Seiten stark werden und recht minimalistisch aufgebaut sein und eigentlich nur die Geschichte "Peppermint Parks" erzählen. Wenn ich Dir die ganze Story erklären würde, wären wir wohl in einer Stunde noch nicht fertig...
Es wird also ein sehr spannendes Album werden, die Geschichte soll das Herz bewegen. Es dürfen einige Überraschungen erwartet werden - typisch Cryptex oder vielleicht auch intern typisch Simon.
RockTimes: Da wollen wir uns gerne überraschen lassen! Wollt Ihr noch etwas ganz wichtiges loswerden?
Simon: Das Leben ist kein Wunschkonzert, es sei denn, man hat sein eigenes Repertoire geschrieben. [lacht] Nein ganz banal: Wir wollen natürlich ein paar Leuten danken. Zuvorderst dem Martin Huch, unserem unglaublich guten Fotografen, natürlich dem ganzen Team von CMM, unsern Eltern, Freundinnen und Freunden. Wir wollen Morti von CMM und dem Hans von Warner Music danken. Haltet uns weiter die Stange und wir wünschen uns weiterhin viel Inspiration und dass die Sterne weiterhin günstig für uns stehen. Es wäre schön, wenn wir unseren Traum verwirklichen könnten, von der Musik zu leben und somit allen Leuten Mut machen, ihren Traum zu leben.
Ramon: Ich spreche jetzt mal für Martin und mich - wir unterstreichen das ganze, was Simon gesagt hat - ist ein gutes Schlusswort, denke ich.
RockTimes: Dann danke ich Euch für das interessante Gespräch und drücke Euch für die Zukunft die Daumen!
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