David Chesky / Jazz In The New Harmonic
Jazz In The New Harmonic Spielzeit: 69:15
Medium: CD
Label: Chesky Records, 2013
Stil: Jazz


Review vom 31.08.2013


Wolfgang Giese
»In The New Harmonic«- was will uns das sagen? Erwartet uns gar eine neue Neugestaltung der Harmonielehre? Sicher nicht, doch außerhalb üblicher Strukturen befasst sich David Chesky mit der Musik seiner neuen Platte mit der einst von Gunther Schullers begründeten improvisatorischen Konvergenz von Klassik und Jazz oder auch der sogenannten Third Stream-Bewegung, dabei aber eigene Ideen verarbeitend. Schuller versuchte seit etwa 1957, Elemente von Klassik und Jazz zu verbinden und einige Jazzmusiker schlossen sich diesem Gedanken an.
Nun ist es der am 29. Oktober 1956 in Miami Beach geborene Pianist David Chesky, der diese Entwicklung aufgegriffen hat. Neben seiner eigenen musikalischen Entwicklung und Zusammenarbeit mit bekannten Jazzmusikern gründete er mit seinem Bruder 1989 das eigene Plattenlabel Chesky Records.
Die Musik von "Jazz In The New Harmonic" weist eine weitere Besonderheit auf, so lese ich im Booklet: »Recorded in Binaural+ with the B & K 4100 Head and Torso simulator, MSB A/D Converter, and Chrystal Microphone cable.« Binaural - was ist denn das? Jedenfalls musste ich schmunzeln, als ich auf einem der Bilder des Booklets den Bassisten erblicke, wie er sein Instrument in Front einer Puppe mit Plastikkopf spielen sehe. Das erinnert mich doch ganz stark an etwas, was es schon einmal gab - die Kunstkopfaufnahmetechnik der Siebziger, auch binaurale Tonaufnahme genannt. Hier nun also neben dem Kopf noch der Torso! Das Label Chesky Records bedient sich dieser alten Aufnahmetechnik erneut - dieses ist nicht die erste Platte mit dieser Technik. Ganz besonders gut soll dieser Effekt beim Hören mit dem Kopfhörer zum Tragen kommen, denn wird dieses Signal über Kopfhörer abgehört, sollte es einen realistischen, räumlichen Live-Eindruck vermitteln, 'Binaural+' nennt Chesky das Verfahren. Nun, ich werde hierzu nach Hörtest noch separat etwas dazu sagen, sofern meine alten Ohren noch Stellung dazu nehmen können.
Doch nun zuerst zur Musik aus den Boxen und was ich da höre, fasziniert mich sogleich. Musik, die mich sofort an die Übergangsphase von Miles Davis erinnert, zu jener Zeit, als solch hervorragende Platten wie "Filles De Kilimanjaro" oder "In A Silent Way" entstanden und Bitches Brew vor der Tür stand. Einige werden vielleicht noch den Song "The Beat Goes On" von Sonny & Cher kennen. Genau dieses Thema des Hits bestimmt durch den Bass eindringlich den ersten Titel dieser Platte, gelegentlich unterbrochen durch kleine Abweichungen. Ein sparsam gespieltes, aber intensiv wirkendes Saxofonsolo mutet inmitten dieser tranceartigen Stimmung fast schon auflockernd an. Auch Cheskys Pianosolo wirkt beschaulich und somit steht schon schnell fest: Hier geht es nicht um Höchstleistungen einzelner, sondern um Geschlossenheit.
Der Komponist selbst führt zu seiner Idee wie folgt aus: »I wanted to take the harmonic language of 21st century classical music and make it groove.« Ja, das ist ihm mit Sicherheit gelungen, ob im anfänglich eher beschaulich wirkenden Umfeld oder auch uptempo bei "Broadway". Allen Stücken ist diese besondere Stimmung einer gewissen 'Abwesenheit' gemein, das heißt, die Musik scheint fast schwerelos mit einer unglaublich modalen Ausrichtung dahinzuschweben, wie es Miles Davis einst perfektionierte. Dessen Geist ist jedenfalls allgegenwärtig. Dennoch habe ich nie das Gefühl, hier spiele eine Coverband zu Ehren des Meisters, obgleich natürlich stets Passagen an seine Musik erinnern. Sehr sparsam setzt Chesky seine Begleitfiguren ein, Dissonanzen inbegriffen, hier mit Spuren von Thelonious Monk, dessen Mysteriosität im Übrigen auch in den Solopassagen auftritt. Bass und Schlagzeug bieten einen fast hypnotisierenden Rhythmus, wie ein Uhrwerk agierend.
Doch gelegentlich wird auch 'die Sau ein wenig herausgelassen', zum Beispiel beim Basssolo innerhalb des Titels "Grooves From The Underground" oder mit dem Schlagzeugsolo bei "Deconstruction". Für mich als Hörer öffnen sich dann Räume, wenn ich mich vorab ganz einfach entspannt eingelassen habe, hier passt der Begriff Entschleunigung, aber ohne den geringsten Hauch einer langweiligen Lounge-Atmosphäre. So, und nun den Kopfhörer übergestülpt!
Ja, und hier eröffnen sich die Räume, oder besser, ein Raum. Ich scheine inmitten der Band zu stehen, eine klare Abbildung jedes Instruments, das Schwirren der Becken, das Schnarren des Basses, der Anschlag des Pianos, alles offenbart sich mir. Jeden einzelnen Musiker kann ich an seinem Platz verorten, mit einem leichten Hall versehen ist das Zuhören eine köstliche Angelegenheit.
Für mich ist diese Veröffentlichung somit in jeder Hinsicht eine vollkommene Angelegenheit. Alle Sinne werden angesprochen, das Ergebnis ist ein fesselnder Hochgenuss!
Line-up:
David Chesky (piano)
Javon Jackson (tenor saxophone)
Jeremy Pelt (trumpet)
Peter Washington (bass)
Billy Drummond (drums)
Tracklist
01:Jazz In The New Harmonic (8:26)
02:Broadway (9:34)
03:American Culture X (9:01)
04:Duke's Groove (8:21)
05:Grooves From The Underground (9:56)
06:Deconstruction (7:30)
07:Burnout (9:15)
08:Transcendental Tripping (7:12)
(all compositions by David Chesky)
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