Ewen Carruthers / When Time Turns Around
When Time Turns Around Spielzeit: 50:02
Medium: CD
Label: Stockfisch Records, 2006
Stil: Singer/Songwriter

Review vom 06.12.2006


Norbert Neugebauer
Zu viele gute Singer/Songwriter-CDs sind mir in der letzten Zeit untergekommen, als dass ich sagen könnte: Ewen Carruthers hat mit "When Time Turns Around" das Album des Jahres herausgebracht. Aber auf jeden Fall eines der stimmungsvollsten. Grad recht jetzt, auch wenn es schon im Sommer auf den Markt kam.
Ewen Carruthers - noch nie gehört? Ich zuvor auch nicht. Im allwissenden Internet braucht man nicht nachzuschauen, er ist 'a privat man'. Dafür gehört er in England zu den vielgeschätzten Songpoeten. Wenn man dem PR-Text glauben kann, aber mehr bei seinen Kollegen als einem breiten Publikum. Regelmäßig in den Clubs unterwegs; aber seit seinen letzten Aufnahmen waren schon sieben Jahre vergangen, bevor ihm Stockfisch die Chance bot, in den Pauler Acoustics Studios "When Time Turns Around" aufzunehmen. Mit den mir mittlerweile recht geläufigen Namen, die regelmäßig auf den Produktionen des audiophilen Labels aus dem nordhessischen Northeim zu finden sind und die seine Kompositionen auf üppigem Lager weich betten. Und einmal mehr überzeugt der warme, aber vollkommen transparente Klang.
Das gewohnt dicke Booklet bietet alle Songtexte, Besetzungen, Begleittexte des Autors und eine sehr schöne Illustration, die von Carruthers stammt - der Mann hat nicht nur eine sehr melodiöse, leicht melancholisch tönende Singstimme, kann Gitarre spielen und seine aussagekräftigen Songs selbst gut interpretieren; er versteht auch dieses Kunsthandwerk hervorragend!
Der Hörer könnte sich allein an dem schönen Klang, den verspielten, facettenreichen Arrangements und der angenehmen Singerei satt hören und sich über ein gelungenes Album freuen. Aber das wäre nur der halbe Genuss. Carruthers ist ein Songwriter, der sich über vieles Gedanken macht und seine Ergebnisse gekonnt ins Songformat umzusetzen weiß.
Ob er über die Zeittheorie von Steven Hawking sinniert, Renoirs Kunst reflektiert, sich mit der vor der Exekution stehenden Zarenfamilie in das legendäre Bernsteinzimmer zurückerinnert (mit Christina Lux als aparte Gesangspartnerin) oder der (ungenannten) Sängerin der Woodstock-Generation huldigt - eine Hommage an Joni Mitchell. Die Liner Notes sind dabei hilfreich, um zum Thema zu gelangen.
Einen Song wie "Skeleton Crew", eine traurige Ballade über die sinnlosen Seeopfer des Zweiten Weltkriegs, die solange über die Meere geistern müssen, bis es eine bessere Welt gibt, muss erst mal jemand schreiben. Und auch das Holocaust-Lied "Rubenstein Remembers", unterlegt mit verhaltener Klezmer-Begleitung auf der Gitarre, ist in seiner Eindringlichkeit kaum zu übertreffen. Allein an der Musik sind die Themen nicht auszumachen, auch die Freude über den neugeborenen Enkel hat einen melancholischen Beiklang. Dagegen tönt die Geschichte über die entlaufenen Häftlinge einer australischen Sträflingskolonie, die vergeblich hofften, hinter dem Outback China zu finden, eher fröhlich. "Lewis And Clark" ist eine weitere Ballade über die beiden Helden, die als Erste den nordamerikanischen Kontinent vom Osten nach Westen durchquerten. Dem Heimatort ist "The Message" gewidmet und dem geliebt- gehassten "Paris" ein gleichnamiger Song, Akkordeon-untermalt. Was Carruthers´sche Poesie ist, das wird auch mit "Talkin' Tequila" deutlich. Den Absturz nach der ungewohnten Sauferei beschreibt der Mann sanft mit leisem britischen Humor:
»Bottle is empty the fire is low
But Tequila´s still talkin´so baby let´s go - Aooouw «

(»Aooouw« das Heulen wie ein Coyote, das wohl zum Trink-Ritual gehört)
Der Mann ist wirklich eine Entdeckung wert. Ein Könner der alten Schule, kein biederer Verseschmied.
So schön und warm diese Stockfisch-Scheibe auch mit ihrem großen Aufgebot an Begleitmusikern klingt, so hätte nach meinem Geschmack noch des Öfteren eine sparsame Instrumentierung den Songs sicher nicht geschadet. Ich wäre allein mit den beiden Ausnahme-Gitarristen Chris Jones (RIP) und Mike Silver sowie Hans-Jörg Maucksch mit seinem Schnurr-Bass zufrieden gewesen. Aber das sind Geschmackssachen (solange es nicht schlimmer kommt…). Aber der Kontrast zur Live-Performance, so wir Ewen Carruthers auch mal auf deutschen Bühnen erleben dürfen, wird sicher interessant.
Line-up:
Ewen Carruthers (vocals, guitar)
Mike Silver (guitar, backing vocals)
Chris Jones (guitar)
Siard de Jong (fiddle, mandolin, waldzither, flute)
Christina Lux (backing vocals)
Fiona Simpson (backing vocals)
Roger Nicholls (backing vocals)
Iris Kramer (flugelhorn)
Hrolfur Vagnsson (accordion)
Brian O'Connor (tin whistle, flute)
Wolfgang Beisert (mandolin)
Beo Brockhausen (tin whistle, low whistle, accordion)
Michel Poffet (double bass)
Hans-Jörg Maucksch (fretless bass)
Tracklist
01:When Times Turns Around
02:Pierre-Auguste Renoir
03:The Amber Room
04:In Your Studio
05:Skeleton Crew
06:China Traveller
07:Rubenstein Remembers
08:One More Story
09:The Message
10:Talkin' Tequila
11:Paris
12:Lewis And Clark
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