Paul Chain / Alkahest
Alkahest Spielzeit: 67:23
Medium: CD
Label: Minotauro Records, 2014 (1995)
Stil: Doom Metal


Review vom 04.04.2014


Andrea Groh
Alkahest ist in der Alchemie ein universelles Lösungsmittel, das sogar Gold aufzulösen vermag und wird daher auch mit dem Stein der Weisen gleichgesetzt als Substanz, die in der Lage ist, andere umzuwandeln. Ob Paul Chain diese tatsächlich gefunden hat, kann ich nicht beurteilen, wage es jedoch zu bezweifeln.
Sicher ist allerdings, dass Paolo Catena (der seinen Namen verenglischt hatte in Paul Chain) 1977 zusammen mit Steve Sylvester die Horror-Metaller Death SS gegründet hat. Nein, das hat nichts mit Politik zu tun, sondern steht für "In The Death Of Steve Sylvester" (so auch der Titel der LP von 1988). Inhaltlich und imagemäßig drehte sich alles um Gestalten wie Werwölfe, Vampire, Mumien etc. - man mischte also Metal mit theatralischer Horrorshow. Paul Chain verließ die Band 1984. Wer sich ein Bild von seinem dortigen Wirken machen will, greife zur 1987 erschienen Compilation "The Story of Death SS 1977-1984", die damals meine erste Begegnung mit der Musik von Paul bzw. Paolo war.
Ab 1987 veröffentlichte Paul Chain erst zwei LPs unter dem Bandnamen Paul Chain Violet Theatre, dann einige Scheiben unter seinem Namen; zu viele, um sie hier alle aufzuzählen (11 Full Length CDs, dazu etliche Singles, EPs, Splits, Compilations). Nach 2000 teilweise unter Paul Cat, P.C. Translate und inzwischen als Paolo Catena. Paul Chain hat 2003 seinen Tod als Künstler (artistic dead) verkündet und meinte damit diesen Namen.
Mitten in der Zeit, als es Paul Chain noch gab, das heißt 1995, erschien die CD "Alkahest", die eine Besonderheit aufweist: die Zusammenarbeit mit Lee Dorrian. Genau diese liegt mir nun als Wiederveröffentlichung vor, liebevoll gestaltet mit alten Fotos und ausführlichen Infos im Booklet.
Wie die Gestalt auf dem Cover hat auch die Musik auf "Alkahest" zwei Gesichter. Paul Chain spielt zwar auf allen Songs Gitarre und von ihm sind alle Orgelintros. Wobei es bei beidem echte Glanzmomente gibt, die zeigen, dass er ein großartiger Musiker ist (nebenbei: Er soll sich das Spielen selbst beigebracht haben). Er beweist auch Gefühl für Atmosphäre und wie die Instrumente effektvoll eingesetzt werden - auch die etlicher Gäste, die z. B. mit Cembalo kleine, feine Akzente setzen dürfen.
Er selbst singt auf den ersten fünf Songs und auch hier beweist er Eigenständigkeit, besonders, was die Texte angeht. Man meint Englisch zu hören und versucht, Wörter zu verstehen, doch es handelt sich um eine selbst ausgedachte, phonetische Kunstsprache. Highlight dieser Seite von "Alkahest" ist das mit wunderschönen Tastenklängen beginnende "Three Water", das sich danach in ein düster-faszinierendes Stück verwandelt, bei dem mich vor allem die Titelzeile (oder klingt das nur nach "Three Water"?) nicht mehr loslässt. Auch die Gitarren glänzen mit tollen Harmonien. Die anderen Songs sind beileibe nicht schlecht, aber dieser hat es mir besonders angetan. Wobei "Reality" auch etwas Faszinierendes hat - irgendwie gelingt es Paul, seine eigene (musikalische) Realität zu erschaffen.
Danach übernimmt Lee Dorrian das Mikrofon und die Musik erfährt eine (alchemistische?) Verwandlung ...und klingt ziemlich nach alten Cathedral (wer hätte DAS gedacht...). Man könnte kritisieren, dass er zu stark seinen Stempel aufdrückt. Nun, einerseits war das wohl Absicht und andererseits gefallen mir die alten Cathedral-Sachen so gut, dass ich darüber nicht böse sein kann. Gerade "Sepulchral Life" hätte locker auf "Forest Of Equilibrium" gepasst. Übrigens ist es doch kein Longtrack, sondern er hat knapp elf Minuten Pause, bevor Lee in seinem typischen Stil ein paar mystisch wirkende Worte spricht. Ja, er durfte sogar seine eigenen Texte schreiben - immerhin sind die dann in Englisch.
Zufälligerweise (Zufall?) gefällt mir hier auch der Song mit Wasser im Titel am besten: "Lake Without Water". Wunderschön, verträumt. Ist Wasser etwa das gesuchte Alkahest? Mir war der Dualismus auf der CD aufgefallen (durch zwei Sänger geprägte zwei Seiten, die doch beide das Wasser fokussieren), noch bevor ich in Wikipedia diese Aussage gefunden hatte: »Aus heutiger Sicht kann Wasser als eine Art Universal-Lösung gelten, da sich viele Stoffe aufgrund der chemischen Polarität in Wasser lösen lassen.« Interessant - ob Paul Chain uns das mitteilen wollte?
Egal, ob man "Alkahest" nun alchemistisch betrachtet oder rein musikalisch - hier wurde edles Metal(l) erschaffen. Vielschichtig, eigenständig und hörenswert. Fans von Paul Chain und/oder Lee Dorrian, die das Teil noch nicht im Regal stehen haben, müssen zuschlagen. Für Doomer oder den, der nun neugierig geworden ist, gilt: einfach mal reinhören, eintauchen und sich (wahrscheinlich) begeistern lassen.
Line-up:
Paul Chain (guitars, organ on all intros & track 3, lead vocals - #1-5)
Sandra Silver (synth effect - #3)
Lux Spitfire (drums - #1-5,8,9)
Fabrice Francese (bass - #1-7,9)

Guest/Session:
Lee Dorrian (lead vocals - #6-9, backing vocals - #3)
Andrea Seki (medieval lute - #8)
Nembo (cembalo - #2)
Paul Dark (acoustic guitars - #8)
Andy Rosati (keyboards - #4)
Mario 'Broz' Mariani (keyboards - #6)
Eric Lumen (drums - #6-7)
Roberto Iacomucci (bass - #6-9)
Tracklist
01:Roses Of Winter (4:57)
02:Living Today (4:48)
03:Sand Glass (5:45)
04:Three Water (7:27)
05:Reality (8:20)
06:Voyage To Hell (4:31)
07:Static End (6:07)
08:Lake Without Water (4:50)
09:Sepulchral Life (20:38)
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