Roger Chapman & The Shortlist / 19.12.2011, Kesselhaus i. d. Kulturbrauerei, Berlin
Kesselhaus Roger Chapman & The Shortlist
Maybe The Last Time Tour
Kesselhaus i. d. Kulturbrauerei, Berlin
19. Dezember 2011
Stil: Rock
Konzertbericht


Artikel vom 29.12.2011


Holger Ott
Schon wieder ist ein großer Musiker dabei, seinen Rentenantrag auszufüllen, und demnächst bei seiner zuständigen Behörde im guten alten England einzureichen. Vielleicht ja, vielleicht auch nicht. Was wir gestern erleben durften, deutet darauf hin, dass es ruhig noch ein Jahrzehnt dauern darf, bis sich Roger Chapman von seiner Band Shortlist trennen sollte, um sich aufs Altenteil zu setzen. Anscheinend ist sich der Altmeister auch noch nicht ganz sicher, und stellt deshalb sein Konzert und seine neue CD wohl auch unter das Motto "Maybe The Last Time". Ganze neunundsechzig Lenze hat der Mann inzwischen hinter sich gebracht. Anzusehen ist es ihm nicht, und wer ihn auf der Bühne sieht, der wünscht sich, in dem Alter auch noch so fit zu sein.
Die Macher des Cafe Garbáty, Wolfgang und Eddy Czesnick, haben es nach langen Verhandlungen endlich geschafft, diese Ikone der Rockmusik nach Berlin zu holen. Da bei diesem Bekanntheitsgrad natürlich kein Heimspiel stattfinden kann, wurde die Veranstaltung in das altbewährte Kesselhaus der Kulturbrauerei verlegt. Gut so, denn der Laden ist aus allen Nähten geplatzt. Das Berliner RockTimes-Team war selbstverständlich überpünktlich vor Ort, um vielleicht zum letzten Mal in den Genuss seiner außergewöhnlichen Reibeisenstimme zu kommen. Im Hof der Kulturbrauerei findet wie so vieler Orts in Berlin ein Weihnachtsmarkt statt, wobei dieser sich hervorhebt, da es sich hier nicht nur um Saufgelage an Dutzenden von Glühweinständen dreht, sondern es ist wirklich noch Handwerkskunst gefragt, die in dem Szene-Bezirk Prenzlauer Berg sehr angesagt ist. Natürlich haben wir die Gelegenheit genutzt und sind ein wenig auf und ab geschlendert. Dass dabei eine obligatorische Bratwurst abgefallen ist, sei nur am Rande erwähnt. Immerhin wird es wieder ein sehr langer Abend, und wer weiß, was noch auf uns zukommt. Was auf jeden Fall nicht stattgefunden hat, war das geplante Interview mit 'Chappo', wie Roger seit je her liebevoll genannt wird. Der Künstler hat sich in Berlin herumgetrieben und leider alle Interviews kurzfristig abgesagt.
Roger ChapmanSehr zeitnah, gegen 20:30 Uhr, schleichen sich seine Musiker auf die Bühne, um noch einmal einen kleinen Instrumenten-Check zu machen. Ohne 'Hallo' oder 'Guten Abend' fängt die Band an zu spielen, und kaum eine halbe Minute später kommt Chapman unter lautem Jubel auf die Bühne. Unscheinbar sieht er aus, in seinem dunklen Hemd und der schwarzen Hose. Das Haar sehr kurz und fast weiß, auf der Straße würde jeder an ihm vorbeilaufen. "The Last Time" singt er ins Mikrofon, und lässt damit wieder die Antwort auf die Frage offen, ob es nun wirklich das letzte Mal ist. Chappo scheint allerdings etwas schlecht gelaunt zu sein. Vielleicht hat ihm ja bei seinen Streifzügen durch die Stadt ein Köter ans Bein gepinkelt? Jedenfalls nimmt er sich erst einmal den Notenständer zur Brust, auf dem seine Texte liegen, wurstelt darin herum und stößt des Öfteren die lieben und zur Weihnachtszeit passenden Worte »Fucking Lyrics« aus.Roger Chapman Anscheinend findet er nicht gleich die richtige Seite, um seinen Cover-Song zu interpretieren. Während des gesamten Abends kommt mir das böse Wort mit 'F' bestimmt über fünfzig Mal zu Ohren, und irgendwann mittendrin fällt mir ein, dass er ja aus dem Mutterland des Fußballs stammt, und dort solche Kraftausdrücke an der Tagesordnung sind. An seiner Erziehung hat es während des Konzertes mehr als einmal gemangelt. Irgendwie muss er auch etwas gegen Fotografen haben, und mein Nachbar zur Linken sollte als erster daran glauben. So etwa während des dritten Songs landet Chappos vollgeschwitztes Handtuch mitten im Gesicht des Kollegen, der darüber nicht sehr begeistert ist und kurzerhand das Feld räumt.
Dass er mich auch schon im Visier hat, bekomme ich einen Song später zu spüren. Dagegen, dass Chapman schwitzt wie verrückt, ist ja nichts zu sagen, immerhin rennt er ständig hin und her, und schafft es dabei, nicht eine einzige Sekunde still zu stehen. Ebenfalls zum Leidwesen der fotografierenden Zunft, die kein vernünftiges Foto zustande bekommt. Um seine Schweißausbrüche in den Griff zu bekommen, schüttet er sich bei jedem Song eine halbe Flasche Mineralwasser über den Kopf. Inzwischen sieht er wirklich schon aus wie vom Köter angepisst, und weil ihm anscheinend mein Gesicht auch nicht passt, landet der Rest der Wasserflasche auf mir. Wäre ich es nur gewesen, würde mich das nicht unbedingt stören, aber meine fast neue und sehr teure Kamera war klitschnass. In dem Moment bin ich kurz davor, ihm den berühmten Mittelfinger entgegen zu strecken, egal was mir danach passieren würde, aber da ich nicht aus dem Mutterland des Fußballs stamme, und vermutlich eine bessere Erziehung genossen habe, bleibt es nur bei dem bösen Gedanken. Dafür mache ich da weiter, wo meine Kollegen leider aufhören müssen, und fotografiere das Konzert bis zum Ende durch, um ihn auf meine Weise zu provozieren. Gott sei Dank lässt er mich danach in Ruhe.
Roger ChapmanTrotzdem benimmt sich Chappo den ganzen Abend wie ein Rüpel, spuckt auf den Boden, wirft mit Wasserflaschen nach seinen Musikern und zetert ständig mit irgendjemand herum. Nebenbei machen er und seine Shortlist aber sehr gute Musik und spielen einen Blues Rock-Titel nach dem anderen. Aus allen Epochen seiner Zeit nach Family werden die Klassiker serviert.Roger Chapman An seiner Seite, und ständig mit ihm in Blickkontakt ist Geoff Whitehorn, Gitarrist und Wegbegleiter seit einigen Jahrzehnten. Sein Spiel ist sehr konzentriert und ohne Schnörkel auf den Punkt genau. Leider ist seine Gitarre viel zu leise und wird ständig durch das Saxofon seines direkten Nachbarn übertönt.
Dass sich Roger und Geoff blind verstehen ist nicht zu übersehen, und er ist auch der einzige, der von Chappos Attacken verschont bleibt. Ebenfalls eine sehr solide Arbeit an ihren Instrumenten verrichten die anderen der Shortlist. Drummer John Lingwood spielt ein kleines, aber feines Set, das von überdimensionalen Becken gekrönt wird, hinter denen er kaum zu erkennen ist. Der Bursche hat einen richtig harten Schlag und treibt die Band ständig voran. Keyboarder Paul Hirsh dagegen spielt seine Akkorde eher teilnahmslos und gibt nebenbei seine Background-Stimme zum Besten. Bassist Garry Twigg hingegen ist eine wahre Augenweide. Er steht zwar sehr weit hinten auf der Bühne, aber durch seine ständigen Verrenkungen am Bass ist er des Öfteren ein Hingucker. Auch er bevorzugt das solide und gleichmäßige Spiel, nach dem Motto 'Wenig ist Mehr'.
Roger Chapman    Roger Chapman    Roger Chapman    Roger Chapman   
Niemand möchte dem Altmeister am Mikrofon die Show stehlen, und der nutzt das natürlich in vollen Zügen aus. Dass er dabei auch mal witzig sein kann, zeigt eine kleine Einlage während einer Songpause. Plötzlich angelt er sich etwas Weißes aus dem Mund, steht jammernd vor dem Mikrofon und deutet an, dass er soeben beim Singen einen Zahn verloren hat. Die Nummer ist echt glaubwürdig, und auf Grund seines Alters noch nicht einmal so abwegig. Der ominöse Zahn wird dem Publikum entgegen gehalten, und dann weg geschnippt, bleibt aber gleich vor ihm auf dem Boden liegen. Und wie sollte es auch anders sein, direkt vor meinen Augen. Meine schussbereite Kamera hat das Ding sofort fokussiert, was sich dann bei näherem Betrachten als Bonbon herausstellt.
Roger ChapmanNach fast zwei Stunden ist Chappo nass bis auf die Haut, vom Schweiß und vom Wasser. O.K., immerhin er hat einen kleinen Marathon hinter sich. Von Ermüdung ist allerdings keine Spur. Die Band zieht sich auch keine drei Minuten zurück, bevor der Zugabenblock aus drei Nummern eingeläutet wird. Und womit könnte das besser sein, als mit "Shadow On The Wall". Dass niemand im Saal um diesen Song herum kommt, ist von vornherein klar, jeder hofft nur, dass er nicht so abgedroschen klingt. Und Chapman gibt in diesem Stück wirklich noch einmal alles, interpretiert ihn zum größten Teil völlig anders, und wird dafür mit einem riesigen Jubel aller Besucher belohnt. "Let's Spend The Night Together" von den Rolling Stones wird als zweite Zugabe angestimmt. Chapman trifft den Nagel auf den Kopf, und jetzt möchte niemand mehr nach Hause.
Roger ChapmanLeider ist aber auch dieser Gig irgendwann vorbei und die Band verabschiedet sich mit dem Titel, aus dem ihr Name herrührt. "Shortlist" klingt langsam und leise aus, und ebenso langsam und leise verabschiedet sich ein Musiker nach dem anderen. Chappo lässt es sich selbstverständlich zu guter Letzt nicht nehmen den Fans ein »Fucking Christmas« zu wünschen, um dann ebenfalls hinter der Bühne zu verschwinden.
Natürlich sind wir noch nicht müde und haben auch kein Bedürfnis das Weite zu suchen.
In Anbetracht dessen, dass das Interview abgesagt wurde, hoffen wir darauf wenigstens noch ein paar Worte mit den Künstlern wechseln zu können, und siehe da, wie ausgewechselt erscheint Roger Chapman im Saal. Nun ganz in weiß und trocken geföhnt, gesellt er sich zu uns. Wie ein kleiner Schuljunge albert er mit uns herum, lässt sich bereitwillig fotografieren und plaudert ein wenig. Mir sitzt plötzlich ein liebenswerter älterer Herr gegenüber, ohne die geringsten Anzeichen von rüpelhaftem Benehmen. Also war es doch alles nur Show und "Maybe Not The Last Time".
Line-up:
Roger Chapman (vocals)
Roger Chapman Geoff Whitehorn (guitar)
Garry Twigg (bass)
Paul Hirsh (keyboards)
John Lingwood (drums)
Nicholas Hugh Payn (saxophon)
Setlist:
This Could Be The Last Time
Jukebox
Sweet Vanilla
Moth To The Flame
Soldier
The Weavers Answer
E.Z.
Techno-Prisoners
Son Of Red Moon
Blind Willie McTell
Midnite
Who Pulled The Night Down On Me?
Shadow On The Wall
Let's Spend The Night Together
Everybodies On The Shortlist
Roger Chapman    Roger Chapman    Roger Chapman   
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