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Deep Purple und Montreux - eine unendlich scheinende Geschichte, die ich nun wirklich nicht näher zu erläutern brauche, setzte sich auch 2011 fort. Als Headliner des letzten Abends beendeten die Kultrocker das diesjährige Montreux Jazz Festival mit einem beeindruckenden Auftritt mitsamt Orchester, dem Neuen Orchester Frankfurt.
Man kann unterschiedliche Wege gehen, ein Orchester in Rockklassiker einzubauen. Peter Gabriel überzeugte kürzlich mit der glanzvollen New Blood-DVD und ging dabei einen völlig anderen Weg als Deep Purple. Als Solokünstler konnte er es sich leisten, sich ohne Rock-typische Instrumente voll und ganz auf das Abenteuer eines Orchesters einzulassen. So entstand etwas völlig Neues... Deep Purple ist aber nun einmal eine Band und so konnte dem Neuen Orchester Frankfurt nur eine begleitende Rolle zugedacht werden. Sie schafften es in Montreux (und nicht nur dort), die Vorgabe der Mannen um Ian Gillan voll und ganz zu erfüllen: Die Strukturen der Songs orchestral zu unterstreichen - neue Akzente zu setzen, ohne den klassischen DP-Sound radikal zu verändern, wie dies Peter Gabriel mit "New Blood" angegangen war.
Richtig spannend wird es, wenn man das Bonusmaterial sichtet und Ian Gillan aus dem Nähkästchen plaudert, wie die Sache damals mit "Concerto For Group And Orchestra" gelaufen war. Köstliche Randnotiz dabei: Die versnobten Musiker des The Royal Philharmonic Orchestra benötigten damals einen kräftigen Arschtritt des Dirigenten Malcolm Arnold, der die Damen und Herren erst an ihre Berufsehre erinnern musste, nachdem sie offen gegen die Zusammenarbeit mit den 'verzottelten Gammlern' gemeutert hatten. Dabei hatte so mancher dieser 'Fliegenträger' sich mit Studioaufnahmen für Rockmusiker nebenberuflich sein Gehalt aufgebessert und war dabei von Gillan & Co. beobachtet und wahrgenommen worden.
Solche Lächerlichkeiten sind anno 2011 selbstredend kein Thema mehr. Die Musiker könnten nicht nur allesamt Kinder und Enkelkinder von Ian Gillan, Roger Glover und Ian Paice sein und sind natürlich mit deren Musik aufgewachsen, sondern es gehört heute für einen Klassischen Musiker durchaus 'zum guten Ton' und steigert die Reputation, in einem Rockprojekt mitgearbeitet zu haben.
Ich muss vorab gestehen, dass ich Deep Purple seit den Mk IV-Tagen nicht mehr live gesehen habe. In den Achtzigern hat's irgendwie nicht gepasst, den Quatsch mit Joe Lynn Turner wollte ich mir nicht antun und meinen geliebten Steve Morse mit Purple statt den Dixie Dregs zu sehen, hätte zu sehr geschmerzt...
Auch Frontmann Ian Gillan war einer der Beweggründe: 'Schau dir niemals das Gesangsidol deiner Jugendtage an', habe ich mir vor einem guten Jahrzehnt geschworen. Sänger haben nun einmal die berühmte 'Arschkarte' gezogen. Gitarristen und alle anderen Musiker werden i.d.R. mit zunehmendem Alter immer besser. Einem Sänger drehen dagegen die natürlichen Alterungsprozesse der Stimmbänder eine 'lange Nase' - Ian Gillan ist dagegen ebenso wenig gefeit wie bspw. David Coverdale oder Steven Tyler. Eine elegante Lösung ist allerdings, wenn sich der alternde Sänger etwas völlig Neuem, was besser zu seiner reiferen Stimme passt, widmet. Hut ab also vor Robert Plant, seiner Band Of Joy und der Zusammenarbeit mit Alison Krauss. Und eine tiefe Verbeugung hinterher, weil er es sich dankenswerterweise verkneift, Led Zeppelin wieder zu beleben. Warum wohl? Wie würde "Stairway To Heaven" wohl heute klingen...?
Und so ist es dann auch keine Überraschung, wenn mich Ian Gillans stets gequält klingende Stimme auf "Live At Montreux 2011" wenig überzeugt. Damit mich keiner falsch versteht: Deep Purple hat selbstverständlich eine ungebrochene Relevanz auf den Bühnen der Welt, aber die Live-Akzente setzen (in Montreux) ausgerechnet die beiden 'Neuen', Steve Morse und Don Airey, obwohl es beiden etwas an der Ausstrahlung ihrer Vorgänger aus der Ursprungsformation fehlt. Sie prägen nahezu jedem Song ihren persönlichen Stempel auf und glänzen mit ihren Soli - sei es bei "Lazy" ( Airey) oder "The Well Dressed Guitar" ( Morse).
Ich muss zugeben, dass mir Morse' Engagement bei DP stets ein 'Pfahl im Fleisch' gewesen war. Nach dieser DVD bin ich bekehrt: Nur Ritchie Blackmore selbst könnte ihm diesen Posten noch streitig machen. Morse fügt sich perfekt ins Bandgefüge ein und scheint zudem mit Ian Gillan bestens befreundet zu sein - jedenfalls suchen sie sich auf der Bühne regelrecht!
Dem Neuen Philharmonischen Orchester Frankfurt unter der Leitung von Stephen 'BK' Bentley Klein, der bei "Lazy" zudem zur Violine greift, wird zumeist nur eine 'dienende' Rolle zuteil. Eine Ausnahme bildet Don Aireys Solonummer, die in den Klassik-Passagen durch das Orchester bärenstark ergänzt wird, oder das saustarke "When A Blind Man Cries", mit einem furiosen orchestralen Intro. Allerdings unterstreichen die klassischen Musiker die Songstrukturen dick, wie vor allem bei "Woman From Tokyo", bei dem einem angesichts dieser opulenten Arrangements fast die Spucke wegbleibt.
Natürlich sind auf "Live At Montreux" (fast) alle Klassiker, die für DP Pflichtprogramm sind, vertreten - das Publikum will diese ollen Kamellen, die scheinbar niemals altern, nun einmal unbedingt hören. »Die Geister, die ich rief...« - ohne "Smoke On The Water" oder die Zugaben "Hush" und "Black Night" geht ein DP-Fan nicht nach Hause. Aber es sind eher die neueren Nummern, die besonders erwähnenswert auffallen, obwohl 'neueren' in diesem Zusammenhang etwas schelmisch schmunzelnd unterlegt werden muss. Jaja, die liebe Kreativität und das Alter... jedenfalls sind "Rapture Of The Deep" (von 2005) und "Contact Lost" (2003), beide geprägt von einem bärenstarken Steve Morse, als Highlights dieser DVD zu werten. Auch die beiden 1984er Songs "Knocking At Your Back Door" oder "Perfect Stranger" strahlen animalischen Sex aus und sind ebenfalls positiv zu verbuchen. Eher weniger bekannt ist mein persönlicher Lieblingssong von Deep Purple, "Maybe I'm A Leo", der umwerfend interpretiert wird: Roger Glover lässt hier förmlich die Wutz fliegen.
Die Interviews im Bonusprogramm sind allesamt sehenswert, wobei Ian Gillan, der hier zeitweilig etwas genervt wirkt, der größte Zeitrahmen zugestanden wird. Vor allem aber dürften die Aussagen interessieren, der sich ausgiebig dazu äußert, warum gerade er zu Deep Purple geholt wurde. Treibende Kraft schien dabei vor allem Gillan gewesen sein. Unglaublich, aber wahr: Morse hatte DP vor seinem Einstieg im Jahr 1996 noch nie live gesehen!
Natürlich gibt es "Live At Montreux 2011" auch als Blu-ray - ein Format, das sich unaufhaltsam durchzusetzen scheint.
Vor allem dürfte allerdings die Doppel-CD, die mit denselben Songs in der gleichen Reihenfolge bestückt ist, eine interessierte Käuferschicht finden. Die Liner-Notes von Max Bell und das Grußwort von Ian Paice sind lesenswert.
"Deep Purple With Orchestra Live At Montreux 2011" - der Titel sagt alles: selten war die Kategorie 'Klassic Rock' trefflicher angebracht. Hervorragender Sound und Bildqualität sowie die gekonnten Schnitte machen diese DVD/Blu-ray zu einer sehr interessanten Veröffentlichung, die (nicht nur) im Rack eines DP-Fans stehen sollte.
Line-up:
Ian Gillan (vocals, harp)
Ian Paice (drums)
Roger Glover (bass)
Steve Morse (guitar)
Don Airey (keyboards)
Stephen 'BK' Bentley Klein (orchestra conductor, solo violin)
Neues Philharmonisches Orchester Frankfurt
| Tracklist |
01:Deep Purple Overture / Highway Star
02:Hard Lovin' Man
03:Maybe I'm A Leo
04:Strange Kind Of Woman
05:Rapture Of The Deep
06:Woman From Tokyo
07:Contact Lost
08:When A Blind Man Cries
09:The Well Dressed Guitar
10:Kocking At Your Back Door
11:Lazy
12:No One Came
13:Don Airey Solo
14:Perfect Strangers
15:Space Truckin'
16:Smoke On The Water
17:Hush
18:Black Night
Bonusmaterial:
Interviews mit Ian Gillan, Ian Paice, Roger Glover, Steve Morse, Don Airey
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Externe Links:
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