Deep Purple / Now What?!
Now What?! Spielzeit: 59:58 (CD), 38:19 (DVD)
Medium: CD + DVD
Label: earMUSIC, 2013
Stil: Hard Rock

Review vom 10.06.2013

        
Boris Theobald              Holger Ott
Eine Platte, zwei Meinungen. Holger legt vor und Boris schiebt nach.

Holgers Meinung:
Die Durststrecke von acht Jahren ist endlich vorbei. Deep Purple blasen wieder zum Angriff und wollen mit ihrer neuen CD "Now What?!" provokant zeigen, dass sie noch immer zu den Top-Bands im Hard Rock-Geschäft gehören. Natürlich ist die Erwartungshaltungen riesengroß. Ob das Ergebnis meine Wünsche als Fan erfüllen kann, werde ich in meiner Beschreibung darlegen.
Bereits vor über drei Jahren hat mir Steve Morse in einem Interview erzählt, dass die Band an neuem Material arbeitet. Dass es sich aber so lange hinziehen würde, damit hatte wohl niemand gerechnet. Selbst bei der letzten Tour, Ende vergangenen Jahres, wurden neue Songs noch unter Verschluss gehalten, obwohl zu dem Zeitpunkt die CD bereits angekündigt und fast fertiggestellt war. Umso größer ist die Spannung und bevor die meisten Liebhaber von Deep Purple die Scheibe in den Händen hatten, ist das Teil raketenartig auf Platz eins der deutschen Verkaufscharts geschossen. Allerdings sollte man bedenken, dass Verkaufszahlen nicht unbedingt die Qualität des Produktes widerspiegeln, sondern lediglich aussagen, dass die Händler größere Mengen bestellt haben, denn schon das Auslösen einer Bestellung zählt in den Statistiken als Verkauf. Würde man, statt den Verkaufszahlen, eine objektive Bewertung der Käufer für eine Platzierung zu Grunde legen, dann käme die CD, zumindest nach meinem Empfinden, nicht auf Platz eins.
Da ich mich seit frühester Jugend, also seit "In Rock" und Made In Japan, zu den Fans zähle, war es für mich so klar wie Wasser, dass ich zum Verkaufsstart mit den Hufen scharre, um mir "Now What?!" zuzulegen. Somit habe ich mich in den Shop meines Vertrauens begeben und stand vor der Wahl, die normale CD oder die Deluxe-Ausführung mit DVD zu erstehen. Bei lediglich neunzig Cent Preisunterschied war die Wahl einfach und der Griff in den richtigen Stapel wurde mir noch mit einem Extra-Download-Song versüßt.
Zu Hause angekommen, habe ich mir dann selbst zwei Stunden Ruhe verordnet, um mir die neuen Songs genüsslich zu Gemüte zu führen. Dabei gab es für mein geschultes Deep Purple-Ohr so manch eine Überraschung, die nicht selten in Verwunderung endete. Ich möchte aber hier vorausschicken, dass ich nur meine persönliche Meinung vertrete, die nicht unbedingt mit der Mehrheit übereinstimmen muss. Aber immer schön der Reihe nach.
"Now What?!" beginnt mit "A Simple Song" eher gezügelt. Nur langsam soll sich der Hörer an das neue Material gewöhnen. Morse glänzt mit seinem schönen Gitarrenspiel und nachdem er eineinhalb Minuten seine Perfektion vorgeführt hat, legen seine Kollegen los. Die Stimme von Ian Gillan ist kräftig wie in alten Tagen und Tastenspezialist Don Airey spielt, als wenn er nur diese eine Chance bekäme. Einzig etwas verhalten ist Ian Paice hinter seiner Schießbude. Seine markanten Wirbel, die ihn so unnachahmlich machen, fehlen völlig und werden auch in den weiteren Songs nur geringfügig zu hören sein. Der Einstig ist geschafft und die Band hat es damit auch nicht übertrieben. Eben "A Simple Song" aus dem Hause Deep Purple.
Etwas schwieriger wird es bei dem Zungenbrecher "Weirdistan". Welches Fantasyland haben sie denn damit gegründet, frage ich mich, als ich den Titel lese und ebenso schwierig wie der Name ist auch das Stück. Nach Aussage von Ian Gillan handelt es sich um einen politischen Song, bei dem jeder selbst seiner Fantasie freien Lauf lassen soll und darüber nachdenken möge, auf wen oder was der Text zutrifft. Roger Glover dominiert hier mit seinem Bass so lange, bis Kollege Airey in die Tasten haut. Manchmal sollte man ihm doch lieber die Hände auf den Rücken binden. Viel zu viel quält er seinen Synthesizer, der so gar nicht in dieses Lied passt und mich stark an Yes oder Emerson, Lake & Palmer erinnert. Noch kann ich dem Ganzen nichts Besonderes abgewinnen. Dafür sorgt dann "Out Of Hand", das mit leisen Strings beginnt und im Verlauf immer mehr an "Perfect Strangers" erinnert. Ich werde zum ersten Mal munter, wobei ich allerdings nicht erwartet hatte, dass das Quintett so tief in der Vergangenheit wühlt. Trotzdem eine gute und gelungene Komposition und dass es noch weiter zurück geht, zeigt "Hell To Pay". Es klingt wie in den Siebzigern, als sich Jon Lord und Ritchie Blackmore musikalisch in den Haaren hatten und sich auf der Bühne regelrechte Machtkämpfe lieferten. So auch in diesem Stück, bei dem Morse den Kampf beginnt und Airey kräftig einen nachlegt. Beide in extrem guter Form, die nur von Gillan gesanglich unterstützt werden, denn die Rhythmusfraktion hält sich leider dabei erneut zurück. Bisher für mich die beste Nummer, die auch als zweiter Track auf der Single vorhanden ist.
"Bodyline" ist angesagt und endlich legt mein Idol Ian Paice vor. Er spielt einen ruhigen Groove und meine Hoffnung, dass er sich damit nur warm spielt, wird nicht erfüllt. Als der Gesang beginnt, frage ich mich doch glatt, wer da eigentlich singt. Jedenfalls hört es sich im ersten Moment nicht nach Gillan an. Tief und völlig verändert kommt er rüber. Erst als der Refrain beginnt und er seine Stimme dazu erhebt, ist er wieder da. Leider schafft er es damit auch nicht mehr, den Song nach vorne zu bringen, der bis zum Ende nur so vor sich hin plätschert. Nach dem gleichen Muster folgt "Above And Beyond", nur das Don Airey das Intro, endlich einmal auf der Hammond, bestreitet. Gillan erholt sich erneut und schont seine Stimme, dafür sind die Instrumentalpassagen besonders gut. Dieser Song ist dem verstorbenen Jon Lord gewidmet, ebenso wie das noch folgende "Uncommon Man". Beide wurden erst nach seinem Tod aufgenommen und haben die Band dazu bewegt, die Texte im Gedenken an ihn zu schreiben.
"Blood From A Stone" reißt mich absolut nicht vom Hocker. Die Stimme erneut nicht Purple-ähnlich und das Piano klingt eindeutig nach den Doors. Bisher ist nichts dabei, was nach meiner Auffassung geeignet wäre, um einen ersten Platz in den Charts zu rechtfertigen. Der Band und der Plattenfirma wird es egal sein, dafür schmückt eine weitere 'Goldene' deren Trophäengalerie. Auch das folgende Sieben-Minuten-Werk "Uncommon Man" schafft es nicht, ein 'sehr gut' zu erhalten. Im Gegenteil hört man doch hier deutlich den Einfluss von Morse, der sein Nebenprojekt Flying Colors allzu oft erklingen lässt. Er sollte vielleicht unterschiedliche Gitarren benutzen, um deutlicher abzugrenzen, welcher Band er gerade vorsteht. Der nächste Titel gehört dafür erneut Tastenmann Airey, der wieder die typische Deep Purple-Hammondorgel mit seinem Synthie verwechselt. Er verwandelt die Songs dadurch zu oft in den Prog Rock. Es mag ja gut sein, wenn sich Deep Purple moderneren Zeiten anpassen, aber wer will das denn wirklich? Ich vermute, der musikalisch interessierte Nachwuchs, der nach meinen Beobachtungen zuhauf die Konzerte bevölkert, hören möchte? Airey ist bei den Konzerten hinter seiner Tastenburg kaum zu erkennen und flippt daran völlig aus, so dass die typischen Purple-Sounds oft total verfremdet werden.
Langsam nähert sich die CD dem Ende und - wie sollte es anders sein - wird erneut eine Ballade nachgeschoben, die auch gleichzeitig die erste Single-Auskopplung ist. "All The Time In The World" klingt leider wieder stark nach den Colors und ist im Ganzen viel zu zahm und mit Abstand der langweiligste Track auf der CD. Abhaken und sich fragen, was es mit "Vincent Price" auf sich hat. Nun, dem Titel nach hätte ich es eher Alice Cooper zugedacht und wenn ich mir das Werk so anhöre, frage ich mich allen Ernstes, ob sich hier nicht aus Versehen eine Filmmusik eines schlechten Horrorstreifens verirrt hat. Ein theatralisches, grauenhaftes Kirchen-Intro mit schwachem Chorgesang versetzen mich zuerst in Erstaunen, dann in Verwunderung und zum Schluss in Verzweiflung. Das soll aus der Feder von Deep Purple entsprungen sein? Zum Glück ist es das nicht. Autor ist ein gewisser Jack Clement. Was sich die Band dabei gedacht hat, in dieses Genre abzuschweifen, bleibt einer Erklärung schuldig. Schieben wir es mal Produzent Bob Ezrin in die Schuhe, der unter anderem lange Jahre mit Cooper gearbeitet und die Idee zu diesem Song hatte. Selbst wenn Deep Purple dem Schauspieler Vincent Price damit huldigen möchte, der Song passt einfach nicht in das Konzept von "Now What ?!".
Nun folgt meine letzte Hoffnung auf den Bonustrack. "It'll Be Me" klingt nach Western-Saloon und Gillan singt, als ob er eine Flasche Tequila auf Ex getrunken hat. Ich stelle fest, dass "Now What?!" die falsche Fragestellung ist. Es sollte lieber "What Now?" heißen. Herausragend ist die CD für mich nicht. Ich ordne sie in meine Sammlung ein und werde sie mir vielleicht noch einmal anhören. Möglicherweise kann man sich einige Songs auch schön hören. Inzwischen habe ich den dritten Durchlauf hinter mir und werde immer kritischer. Der erste Hörgenuss war noch der Beste, da die Freude auf die neue Veröffentlichung groß war. Den extra Download-Track verkneife ich mir noch eine Weile, da der Gutschein noch einige Zeit gültig ist. Bleibt noch die Bonus-DVD übrig.
Diese offenbart mir nicht viel Neues. Die ersten zweiundzwanzig Minuten werden mit sinnlosem Bla-Bla verschwendet, aufgenommen im Dezember 2012 in einem Studio irgendwo in Berlin. Die Musiker sitzen mehr schlecht als recht in Reih und Glied und äußern sich lediglich über Belanglosigkeiten. Statt mal etwas näher auf die neuen Songs einzugehen, werden diese kaum mit einer Silbe erwähnt. Selbstverständlich alles in englischer Sprache, ohne Untertitel. Wer dem also nicht mächtig ist, darf sich fünf ältere Herren im Großformat ansehen oder einfach weiterklicken.
Desweiteren befinden sich auf der DVD drei Bonustracks ohne Film- oder Bildmaterial. Angefangen vom Radio-Mix der aktuellen Single "All The Time In The World" (die mir in dieser kürzeren Version noch trostloser erscheint), über eine recht gute Live-Auskoppelung eines meiner Lieblingsstücke "Perfect Strangers" bis zum krönenden Abschluss mit "Rapture Of The Deep". Ebenfalls auf der Bühne eingefangen, zieht das Werk auch keinen Fisch mehr vom Teller.
Mein Fazit: Wie der Leser merkt, sprühe ich nicht vor überschwänglichen Lobhudeleien über. Ich finde die CD nur Durchschnitt und auf dem gleichen Level angesiedelt, wie ihre Vorgänger. Nach über acht Jahren der schöpferischen Auszeit und unter Anbetracht der Mitwirkung von Produzent und Texter Bob Ezrin habe ich deutlich mehr erwartet. Es hilft auch nicht, die Scheibe öfter zu hören, denn sie wird dadurch nicht besser. Sicher ist nicht alles schlecht und mir persönlich gefällt auch mehr als ein Song, aber an alte Zeiten wird Deep Purple nie wieder anknüpfen können. Lassen wir uns einmal überraschen, wie das neue Material auf der kommenden Tour dargeboten wird. "Now What?!" wird sich in den nächsten Tagen in mein CD-Regal einreihen und vermutlich einige Jahre dort unberührt verweilen. Das Gute ist das weiße Cover. Dadurch ist bei mir in der Buchstabenreihe D die Deep Purple-Abteilung schneller aufzufinden. Besonders hervorheben möchte ich zum Schluss noch die Arbeit von Coverfotograf Jim Rakete. Der alte Haudegen hat es echt am Besten drauf, Musiker perfekt abzulichten. So sieht man die Band vor der Eastside-Gallerie und weiteren Schauplätzen in Berlin.
Deep Purple widmet die CD "Now What?!" dem verstorbenen Jon Lord.
Boris sieht das so:
Da isses! "NOW What?!", das beste Deep Purple-Album aller Zeiten!
Alle Zeiten beginnen so um die Jahrtausendwende - ein bisschen später, vielleicht. Jawohl, ich bin ein Spätgeborener, noch später Berufener. Ich kann nicht mithalten, wenn es darum geht, die Wirkung von "NOW What?!" an dem Kribbeln zu messen, als einem beim ersten Auflegen von "Machine Head" das Blut in den Adern kochte. Aber ich hätte es gern schon miterlebt. So ein Jammer ... oder ein Glück?
Mein erster Purple-Kauf einer frischen Veröffentlichung war "Bananas". Das war 2003. Ganz coole Scheibe; und man hatte das gute Gefühl, mit dem Erwerb des Albums Legenden am Leben zu halten. Die Großartigkeiten der Bandhistorie waren längst 'nachkonsumiert' und im CD-Regal eingelagert, da kam Rapture Of The Deep. Ganz okay, ein bisschen blass, blieb wenig von hängen.
Und nun? Genau, "NOW What?!". Anno 2013 - viele sahen sie längst als allmählich verblassende Ikonen im Endlos-Fade-Out ihrer Karriere, die wichtiger schien als die Musiker selbst - da kommt die AH-Mannschaft des FC Hard Rock mal so eben mit einem Riff um die Ecke, das für mich mal locker auf einer Stufe mit "Space Truckin'" steht. Eines der harten unter den wirklich harten - "Après Vous", was für ein Teil! Versuch da mal, den Nacken still zu halten. Und wie sich das Riff aus Hammond und Gitarre erst einmal aus einem donnernden Bandgewitter 'rausschält'!
Und wie Gillan dazu singt ... ich kann den egoistischen Durchschnittssänger förmlich meckern hören: 'Was soll ich da jetzt zu singen?' Doch Gillan zähmt das Hook-Monster, gibt ihm Stimme, und mit was für einem Timing er sich da in die Freiräume quetscht.
Und wie er die Bestie damit reizt! Morse und Airey fühlen sich zu einem heißen Duell angestachelt.
Und wie das groovt! Glover und der 'Paicemaker' lassen sich nicht lumpen. Man hört, dass dieses Album im Studio von allen gemeinsam aufgenommen wurde - quasi live, nicht Spur um Spur. Es pulsiert. Es lodert eine Flamme, und sie flackert ziemlich heftig.
Genug von einem einzigen Song. Über jeden könnte man einen Aufsatz schreiben. Auf "NOW What?!" stehen so viele, die endlich wieder hängen bleiben. Das beste Album 'aller Zeiten' - wir erinnern uns: im neuen Jahrtausend - ist es so oder so. "Abandon" haut es auch in den Sack. Das beste seit "Purpendicular" ist es in jedem Fall. Woran ich das messe? Na ja, am 'Repeat'-Button. Zum ersten Mal seit "Vavoom: Ted The Mechanic" ist da der Drang, einen Song gleich noch ein mal hören zu wollen und müssen. Und die 'Wiederholungsgefahr' zieht sich durch das ganze Album! Zu rechnen war damit nicht. Nicht während der ersten Minuten! Der Opener "A Simple Song" beginnt ruhig und etwas wehmütig, fast selbstreflektorisch:
»Time it does not matter. But time is all we have to think about ...«
Ja aber sollen die alten Säcke nicht mal nachdenklich werden? Und wieso nicht gleich zu Beginn. Nach zwei Minuten wirkt es fast wie eine (geniale) Finte - es bricht ein wahrer Feuersturm aus, es pumpt und es drückt, klasse!
"Weirdistan" ... großes Kino. Ein Stakkato-Groove sorgt für eine spannende Grundstimmung - hat beinahe was von einem James Bond-Soundtrack. Coolness included. Der Gesangseffekt macht die ganze Chose noch abgedrehter, surrealer. Und Don Airey nestelt bei seinem spacigen Solo am 'Pitcher' rum. Wir bewegen uns, wenn nicht leicht hypnotisiert, dann zumindest doch beschwipst, in schrägen Parallelwelten. Das trifft nicht nur aufs Instrumentale zu. Ian Gillan besingt vom ersten Track an den Wahnsinn der Welt aus Korruption, Egoismus und Rückgratlosigkeit. Der Songtitel "Weirdistan" sagt ja schon viel - und "Out Of Hand" bringt es auf den Punkt:
»Scratch my back and I'll stab yours, no wonder it's a universal sickness [...] They say the vulture is a bird of prey. Noone told me it would come this way. You've seen it all before. Been there since time began. You know what's coming next. Everything, everything gets out of hand«
Dass da Tiefgang kommt, kündigt sich schon im Intro an. Streicher-Kaskaden deuten eine ernste, düstere, leicht dramatische Gangart an. Doch gerade, bevor ich aushole, um 'Empty Spaces ...' zu singen, kommt statt Queen ("Show Must Go On") ein kugelrundes Riff mit wunderbaren Ecken und Kanten. Ein Widerspruch in sich? Nein, das geht schon ... es hat exzellente melodische Widerhaken und ist auch rhythmisch ein echter Ohrwurm-Faktor - und zugleich einen ganz, ganz feinen Flow. Viel Tiefgang, etwas Dramatik dank wiederkehrender Streicherunterstützung ...
Und jetzt geht's ab. "Mit Hell To Pay" bleibt man der kritischen Thematik in den Lyrics treu, aber dreht ab ins Ironische. Dazu passt die Old-School-betonte Hard Rock-Dynamik mit cool geshoutetem Minimal-Chorus - so simpel wie genial. Da werden live die Fäuste in Luft gereckt werden. Im Instrumentalteil frickelt Steve Morse und rotiert Don Airey ganz besonders hingebungsvoll. Was wäre eine gute Live-Nummer ohne gute Musiker?
Themenwechsel! Die Texte werden nun unbekümmerter. Funky geht es bei "Bodyline" zu; und Mr. Gillan kann seine Augen nicht von der tanzenden Dame direkt neben ihm lassen:
»My head is spinning keeping focus on my whirling dervish.
I don't know who you are but I'm enslaved and at your service.«

Müssen die allein schon beim Texten einen Spaß gehabt haben! Und schon wieder ein klasse Riff, richtig laaaang gestreckt. Man möchte sich dazu bewegen. Aber um dieses Riff zu tanzen, braucht es schon ein paar Quadratmeter Platz für die Choreografie. Das rockt.
Und weiter eilt "NOW What?!" von Hinhörer zu Highlight. Mit "Above And Beyond" wechselt man plötzlich von cool zu positiv - es hat etwas Aufbauendes, und das Besondere ist: Über einem recht stoischen Groove bleibt es fast vollkommen Don Airey vorbehalten, mit den Keyboards die Hooks und Melodien zu gestalten. Da lässt er sich nicht bitten und zaubert, reichlich unkonventionell - den harmonisch wertvollsten Track des Albums.
"Blood From A Stone" - eine kleine 'Hass-Hymne' auf den schlimmsten Feind des Mannes (?), die Ex ... eine Ex in der Blutsauger-Variante (»You rip flesh from the bone. You suck blood from a stone«). Laid back und atmosphärisch groovend, aber dann doch mit explosiven Momenten.
"Uncommon Man": sieben Minuten?! Oh ja. Die ersten bestehen aus einem atmosphärischen, sich ganz verträumt ausbreitenden Gitarren-Solo - und es klingt original live, als kämen diese Klänge aus den gigantischen Boxen eines Festivalgeländes an einem lauen Sommerabend... Morse zitiert schon das, was von Don Airey an den Tasten folgt: eine waschechte Synthie-Fanfare ... eine 'Fanfare For The Uncommon Man'? Zusammen mit dem Titel des Songs ist die ELP-Anspielung überdeutlich. Deep Purple sind eben für Überraschungen gut. Auch bei "Vincent Price" mit schwerer Kirchenorgel und bombastischem Rock-Musical-Arrangement. Es handelt sich um eine Grusel-Persiflage auf Vampire, Zombies, Frankenstein & Co. - witzig gemacht! "Vincent Price" ist die zweite Single-Auskopplung von "NOW What?!" - die erste war leider "All The Time In The World". Das ist ein klasse Song, keine Frage. Aber eben ein kontemplativer; eine ruhige Nummer mit Gastmusikern an akustischer Gitarre, Lap Steel und Percussion. Das erweckt beim Radiohörer falsche Erwartungen. Haben Deep Purple ein lahmes Album abgeliefert?
Das Gegenteil ist der Fall. Und mit dem Bonustrack "It'll Be Me" kommt der letztgültige Beweis. Deep Purple covern Jerry Lee Lewis und machen Rock'n'Roll - da werden die Legenden wieder zu kleinen Jungs. Muss das Spaß gemacht haben! Wie das komplette Album. Es strotzt nur so von Energie, guten Hooks, Melodien und routiniert-hochklassigem Handwerk. Ein großes Lob gilt dann wohl auch Produzent Bob Ezrin. Im gut 22-minütigen Interview der Bonus-DVD (mal zur Abwechslung ein richtig gutes - die ganze Band in heiterer Plauder-Laune!) machen die Herren deutlich, wie Ezrin ihre Jam-Ausflüge zu knackigen Ohrwürmern kanalisiert hat (Roger Glover: »It's very difficult to organize spontaneity!«). Man spürt richtig, wie gut die Zusammenarbeit war, wie dankbar die Band ... auch für Ezrins Detailversessenheit. Ian Gillan sinniert, schwärmt und zitiert: »When you inhale, could you do it with more pathos?!«
Und eine Aussage aus dem Interview unterstreiche ich als Ohrenzeuge ohne Wenn und Aber: Alle fünf wollten dieses Album machen, unbedingt. Wenn Musiker von sich sagen, dass sie keine Lust mehr haben, auf der Bühne immer dasselbe und nix Neues zu spielen, dann lebt diese Band. "NOW What?!" ist ein sensationelles Lebenszeichen geworden. Unüberhörbar 'Deep Purple'! Aber muss man dazu in jedem Takt die 70er-Großtaten als Maßstab daneben halten? Nein, muss man nicht und soll man nicht. Musik schlicht zu kopieren macht doch keinen Spaß. Und zur Qualität nur so viel: Wenn Deep Purple damals, als man mit Musik noch die Welt verändern konnte, mal eben in "NOW What?!" hätten reinhören können - sie hätten einander mit glühenden Augen angeschaut und gesagt: 'Alter was ist DAS für eine geile Mucke! Solche Ideen brauchen wir ...'
Line-up:
Ian Gillan (vocals)
Steve Morse (guitar)
Don Airey (keyboards)
Roger Glover (bass)
Ian Paice (drums)

Additional musicians:
Jason Roller (acoustic guitar - #10)
Eric Darken (percussion - #5,10)
Mike Johnson (steel guitar - #10,11)
David Hamilton (additional keyboards - #2,6,10)
Students of Nimbus School of Recording Arts (gang vocals - #4)
Bob Ezrin (additional backing vocals & percussion)
Tracklist
CD:
01:A Simple Song
02:Weirdistan
03:Out Of Hand
04:Hell To Pay
05:Bodyline
06:Above And Beyond
07:Blood From A Stone
08:Uncommon Man
09:Aprés Vous
10:All The Time In The World
11:Vincent Price
12:It'll Be Me (exclusive bonus track)

Bonus DVD: FSK 0
01:In Conversation
Audio Tracks:
01:All The Time In The World (alternative radio mix)
02:Perfect Strangers (live)
03:Rapture Of The Deep (live)
Externe Links: