Miles Davis / Agharta & Pangaea
Agharta & Pangaea Spielzeit: Agharta 44:54 (CD 1), 52:06 (CD 2)
Pangaea 41:48 (CD1), 46:50 (CD2)
Medium: CD
Label: Sony, 1975
Stil: Jazz Rock


Review vom 01.12.2009


Wolfgang Giese
Mit einem Wort : BRUTAL!
Ja, das ist Musik wie ein Vulkanausbruch!
Und in der glühenden Lava entwickelt sich die Musik.
Ich habe diese beiden Alben bewusst zusammen genommen, ist die hier auf zwei Doppel-CDs dokumentierte Musik doch an einem Tag aufgenommen worden: am 1. Februar 1975 in der Osaka Festival Hall, also in Japan.
Die Titel von "Agharta" stammen aus der Nachmittags-, die von "Pangaea" aus der Abendshow der Band.
Hinsichtlich der Besetzung ist auffällig, dass mit Sonny Fortune und Al Foster die einzigen reinen Jazzmusiker dabei waren, in der damaligen Formation von Miles Davis. Sicher ein klarer Hinweis darauf, dass Davis bewusst auf eine Fusionierung von Jazz und Rock hinsteuerte. Hierzu, seine Musik jener Zeit betreffend, soll Davis selbst folgendes geäußert haben:
»Wir sind drei Orchester in einem: ein afrikanisches, ein okzidentales und ein orientalisches. «
Fakt ist, dass hier eine unglaublich wogende Fusion von schwer triefendem Funk, von schleppendem Rock, von perkussiv afrikanischen Elementen und jazzigen Improvisationen geboten wird. Kurz zu den 'Nicht-Jazzern' unter den Musikern:
Pete Cosey - wer die Geschichte des Labels Chess aufmerksam verfolgt hat, wird diesen Namen im Rahmen des musikalischen Wandels der Plattenfirma sicher gelesen haben, war er dort doch als Sessiongitarrist fleißig tätig.
Hören kann man ihn bei Produktionen von Muddy Waters ("Electric Mud"),Howlin' Wolf (auf dem berühmt-berüchtigten "Howlin' Wolf-Album", das der Künstler so gar nicht mochte) und z.B. bei Etta James.
Hier nun konnte er sich ausleben, Davis legte ihm erst gar keine Zügel an und Cosey konnte sich frei entfalten und tat dieses auf oft furiose Weise! Hemmungslos 'quälte' er seine Gitarre, die Saiten schienen bisweilen kurz vorm Bersten zu stehen, Jimi Hendrix hätte seine Freude gehabt! Man beachte z.B. die 'sägende' Gitarre auf "Theme from Jack Johnson".
Jazzpuristen dürften angesichts dieser Klänge die Nasen rümpfen. Mir gefällt er, dieser packende und wohltuend an den Nerven zerrende Sound.
Reggie Lucas ist der zweite Gitarrist, der einen historischen Hintergrund als Jazzgitarrist hat, diesen aber auf den Aufnahmen nicht unbedingt zur Schau stellt, ist es doch auch Cosey, der auf den Aufnahmen im Vordergrund steht. Aber letzlich trägt er zum Gesamtbild prägend bei.
Michael Henderson, der Bassist, war nie ein Jazzmusiker. Seine Wurzeln liegen im Soul und im Funk. Bereits in den 60er Jahren verdiente er sich sein Geld als Sessionmusiker beim Detroiter Soul-Label Motown. Seit 1970 war er anschließend bei Miles Davis in Diensten.
Da ihm das swingende und lockere Element manch eines Jazzbassisten fehlt, ist er es, der den Sound mehr oder weniger 'erdet'. Er war halt das Fundament dieses ansonsten vielleicht abhebenden Wahnsinns.
Und dann war da noch Mtume, genauer gesagt, James Mtume, Sohn des Saxofonisten Jimmy Heath. Er begleitete Miles als Perkussionist in den Jahren 1971 bis 1975. Auf vorliegenden Alben sorgt er für das afrikanische Element, in dem zusammen mit dem Drummer Al Foster den Rhythmus zum Vibrieren bringt.
Miles' geplantes Vorhaben von Polyrhythmik wurde so perfekt umgesetzt, ein wahrhaft brodelnder Hexenkessel!
Wir hören auf diesen vier CDs Musik, wie sie viele vielleicht in dieser Form von Miles Davis gar nicht kennen.
Nicht der coole Miles ist es, auch nicht jener, der mit "In A Silent Way" und "Bitches Brew" ein neues Kapitel aufschlug, sondern hier legt er noch einmal 'eine Schippe auf', bezüglich der Musik, wie er sie im Grunde genommen mit der CD "On The Corner" begonnen hatte (1972). Es war es ein klarer Schritt in die Richtung, seine farbigen 'Brüder und Schwestern' ins Boot zu holen. Darüber hinaus schien er sich in Richtung Weltmusik öffnen zu wollen, denn Tabla- und Sitarklänge schwebten durch die satt groovenden Klangräume.
Dieses ist hier live nicht mehr vorhanden, sondern Davis ist in der Verschmelzung mit dem Rock noch einen Schritt weiter gegangen. Es herrscht viel Improvisation, viele werden diese 'Endlosschleifen' möglicherweise als entsetzlich langweilig empfinden und einige werden mit dieser Musik so gar nichts anfangen können.
In der Tat kommt die Musik ungezügelt und nicht so geglättet, wie es Produzent Teo Macero seinerzeit oft im Studio durch Nachbearbeitungen bügelte. Hier ist die Energie Herr des Geschehens - Energie, die manchmal außerirdisch erscheint, und meistens, bis auf einige ruhige Momente, wie in "Maiysha" beispielsweise, recht unbequem sein kann.
Ein wahrer Klangwall ist es, auf den der Hörer bisweilen trifft, vielleicht sogar in einigen Momenten angsteinflößend. Dabei ist zu beobachten, dass sich die Energie anlässlich des Abendkonzertes (also auf "Pangaea") etwas abgebaut hat. Diese Platte ist insofern etwas 'zugänglicher', und darüber hinaus werden mit Titellängen von 41:48 und 46:50 rekordverdächtige Zeiten vorgelegt.
Der Saxer Sonny Fortune scheint angesichts der elektronischen Wucht etwas mehr in den Hintergrund zu treten, doch ist er absolut nicht unterrepräsentiert und liefert hervorragende Solobeiträge.

So, und nun wünsche ich ein mitreißendes Klangerlebnis der etwas anderen Art!
Line-up:
Miles Davis (electric trumpet with Wah Wah pedal, organ)
Sonny Fortune (soprano saxophone, alto saxophone, flute)
Pete Cosey (electric guitar, synthesizer, percussion)
Reggie Lucas (electric guitar)
Michael Henderson (electric bass)
Al Foster (drums)
Mtume (conga, percussion, water drum, rhythm box )
Tracklist
Agharta:
CD 1
01:Prelude [Part One] (26:01)
02:Prelude [Part Two] (6:33)
03:Maiysha [12:20]

CD 2
01:Interlude (26:50)
02:Theme From 'Jack Johnson' (25:16)
Pangaea:
CD 1
01:Zimbabwe (41:48)

CD 2
01:Gondwana (46:50)
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