Electric Orange / Netto
Netto Spielzeit: 79:49
Medium: CD
Label: Sulatron Records, 2011
Stil: Psychedelic, Krautrock, Trance

Review vom 10.10.2011


Markus Kerren
Die 1992 in Aachen von Dirk Jan Müller gegründete Band Electric Orange brauche ich dem geneigten Leser unseres Magazins ganz sicher nicht mehr vorzustellen, befindet sich doch bereits ein knappes halbes Dutzend Reviews über die Truppe in unserem Index. Ihrem psychedelischen, spacigen Sound sind sich die Musiker auch auf ihrem neuen Silberling zu 100 Prozent treu geblieben, und dennoch gibt es eine Veränderung gegenüber dem im letzten Jahr erschienenen Vorgänger Krautrock From Hell zu verzeichnen. Und der Gitarrist Josef Ahns war bei dieser Produktion nicht mehr mit an Bord.
Das ist zwar sehr schade, sollte uns aber nicht davon abhalten, umgehend in die tiefen, weiten Soundlandschaften von "Polyzysten" abzutauchen. Sehr jammig beginnt diese Nummer, die von der Gitarre und dem Schlagzeug eingeleitet wird, bevor sich die sphärigen Keyboard-Sounds hinzu gesellen und sich der Hörer die nächsten gut sieben Minuten wie ein Asteroid quer durch die unendlichen Weiten des Alls treiben lassen kann. Georg Monheims Schlagzeug kommt hierbei eher schleppend, was den tranceartigen Effekt des Openers noch verstärkt.
Dann das relativ kurze "Basslochner", das doch sehr stark von den perkussiven Instrumenten und einigen psychedelischen Effekten bestimmt wird, bevor es in das zäh und schwerelos vor sich hintreibende "Fluff" mündet. Die Keyboardschwaden Müllers lassen sich dabei von den erfrischenden und nie den Fluss unterbrechenden Tempowechseln seiner Mitmusiker nicht aus der Bahn werfen. Vielmehr nehmen sie den geneigten Hörer auf eine ungewisse, da sehr spannende wie auch entspannte Reise mit. Man kann sich fallen lassen, sich völlig dem Electric Orange-Kosmos ergeben und durch eigene Traumbilder 'fliegen'.
Überhaupt sind die langen Stücke auf "Netto" das Herz und die Seele des Albums. Was jetzt aber auch die wenigen kürzeren Nummern nicht abwerten soll, die, wie zum Beispiel "Perpetuum Mobiliar" immer wieder erfrischenden Wind in die Scheibe bringen. Bei Letztgenanntem geht es weit weniger spacig zu, da dieser Titel vom Mini Moog bestimmt wird und somit eher in die Electro-Welt übergeht. Im Anschluss nimmt uns der Titeltrack einmal mehr mit in Richtung Schwerelosigkeit. Und selbst wenn es, wie zu Anfang von "Supptruppen" mal sehr verhalten zugeht, schaffen es die vier Musiker dennoch ohne Probleme, die Spannung auf einem sehr hohen Level zu halten.
Das letzte kürzere Stück hört auf den Namen "Auslauf" und bewegt sich dementsprechend relaxt durch die Boxen. Immer wieder klasse sind die sich einander super ergänzenden Keyboards und Gitarren, die zunächst 'gegeneinander' zu arbeiten scheinen, sich dann aber stets zu einem alles einnehmenden Gesamtbild zusammen finden. Nicht nur bei "Zeitheiser" schwirrt mir mal wieder der Name Can durchs Gehirn, wenn auch die Aachener auf einer anderen, aber sich dennoch nicht allzu weit weg befindlichen Baustelle spielen.
Die mit knapp 15 Minuten längste Nummer "Raumschaf" beschließt dieses neue, wieder sehr einnehmende Werk dann. Erneut wägt man sich in (Alb-) Traumlandschaften und ist bis in die Haarspitzen gespannt darauf, was als nächstes 'um die Ecke' kommen wird. Die Erlösung? Oder der totale Absturz? Die Songs des Nordrhein-Westfälischen Quartetts können zum wahren Thriller werden, wenn man sich auf sie einlässt. Und alleine das ist schon Musikmachen auf höchstem Niveau. Wer Lust auf einen Trip ohne jegliche anderen Hilfsmittel hat, der ist mit dieser Scheibe allerbestens bedient.
Electric Orange haben mit "Netto" einmal mehr gehalten, was ihr Bandname schon seit geraumer Zeit verspricht. Nämlich genialen Psychedelic-/Space Rock auf oberstem Niveau. Darüber hinaus haben sie ihr neues Album wieder bis Unterkante Oberlippe mit Musik gefüllt: 79:49 Minuten, viel mehr geht wirklich nicht, sodass auch über alle Maßen 'value for money' geboten wird. Prädikat: Uneingeschränkt empfehlenswert!
Line-up:
Tom Rückwald (Bass)
Georg Monheim (Schlagzeug)
Dirk Bittner (Gitarren, Percussion)
Dirk Jan Müller (Mellotron, Mini Moog, Fafisa Compact, Hammond, Rhodes, Solina, Leslie)
Tracklist
01:Polyzysten (7:44)
02:Basslochner (2:45)
03:Fluff (10:29)
04:Perpetuum Mobiliar (5:00)
05:Netto (10:19)
06:Supptruppen (12:51)
07:Auslauf (4:35)
08:Zeitheiser (11:03)
09:Raumschaf (14:58)
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