End / People Of The Stream's Mouth
People Of The Stream's Mouth Spielzeit: 38:06
Medium: CD
Label: Monkey Music, 2014
Stil: Alternative Rock


Review vom 30.05.2014


René Francke
Denke ich an die Schweiz, so ploppen in meinem Kopf sofort Bilder auf von schneebedeckten Bergen, glitzernden Seen, löchrigem Käse, nie aus dem Takt fallenden Uhrwerken, edler Schokolade, durchgestrichenen Minaretten und hinterhältig lächelnden Steuerflüchtlingen. Ab sofort werde ich die Schweiz auch mit einer Band aus Basel assoziieren, die im April ihr zu Recht vielerorts gepriesenes Debüt auf den Markt geworfen hat.
Als ich das gleichermaßen liebevoll wie kreativ gestaltete Debütalbum des Schweizer Quintetts End zum ersten Mal in den Händen hielt, überkam mich allein schon durch das mystische Artwork eine Lust herauszufinden, was es mit diesem Werk und dieser Band auf sich hat.
Bei der Recherche zur Musikgruppe End hört und liest man stets zwei Elemente heraus, die man bei vielen alternativen Rockmusikern schmerzlich vermisst: Das Geheimnis und die Gefahr. Beides erzeugt Spannung und Anziehungskraft. Im Fall von End stellen sich dadurch Fragen wie: Warum hat ein Bandmitglied auf nahezu allen Fotos immer die Kapuze so tief ins Gesicht gezogen, dass er nicht mehr zu erkennen ist? Was bedeuten die wappenähnlichen, delphischen Symbole auf dem Cover?
Ähnlich geheimnisumwoben und verwirrend ist das ästhetisch großartige offizielle Video zum fantastischen Opener "Alaska": Auch dort kommt der erwähnte Kapuzenmann von den Bandfotos vor, man sieht in einem kühl-beklemmenden Farbtonschleier Höhlen, Wälder, Fackeln, ein rasendes Auto und ein Mann, der in ein Telefon schreit. Man vermutet einen inneren Zusammenhang zwischen diesen bewegten und bewegenden Szenen, doch am Ende hat man mehr Fragen als Antworten. Vielmehr öffnet sich ein magnetisch anziehender Kosmos aus Interpretationsmöglichkeiten.
Und genau diesen Reiz verströmt "People Of The Stream's Mouth". Flirrende Gitarrenakkorde, treibend-transzendente Rhythmen, mystische Synthesizer- und Chorklänge und die grandiose facettenreiche Stimme des Sängers Luca Daniel vermengen sich zu einem intensiven, tiefgründigen Werk aus zwölf unterschiedlichen Klangstücken, denen jedoch vor allem eines gemein ist: das Verlangen nach Rückzug aus der durch Beschleunigung und eingefahrenen Strukturen geprägten westlichen Industriegesellschaft, in der das Individuum im Konsumüberfluss unterzugehen droht. Der Albumtitel ist eine Allegorie dieser Sehnsucht: "People Of The Stream's Mouth" ist eine Übersetzung des Inuit-Wortes "Paimiut" - so heißt die kleinste registrierte Siedlung in den endlosen Weiten Alaskas.
Diese Verbindung und Verbundenheit zu den Ureinwohnern Amerikas ist quasi das Leitmotiv der gesamten Platte. "Sequoia", der zweite Song dieser Scheibe, ist nicht nur der Name des Erfinders der Cherokee-Schrift, sondern auch durchzogen von einem drängend-stampfenden Rhythmus, bei dem man das Gefühl hat, inmitten eines wilden Indianertanzes herumzuwirbeln. Dazu gesellen sich zauberhafte Melodien, die tief ins Herz schießen. Und beim routinierten Übergang von der gefühlvollen Bridge in den letzten wuchtigen Refrain könnte man meinen, dass diese Band schon seit Jahrzehnten Musik macht.
"In Amber" betört einmal mehr mit wunderschönen mehrstimmigen Ritualgesängen, die fast so klingen, als entspringe End selbst einem Indianerstamm. Der Alternative Rocker "Tightrope Walkers On The Run" zeichnet sich durch einen dreckigen, bedrohlich klingenden und rauen Grundriff aus, wie man ihn von Queens Of The Stone Age-Stampfern kennt. Das anschließende "Tie Your Nation To The Radiation Machine" klingt besonders im Refrain nach Stadionpathos und erinnert an die frühen Muse. Und das akustische Schlussstück "Disconnected" ist Gänsehaut, Gänsehaut und nochmals Gänsehaut. Wow! Diesen Silberling gebe ich nicht mehr her.
"People Of The Stream's Mouth" ist ein faszinierendes, weil rätselhaftes, ja schier sagenhaftes Erstlingswerk, dass einem der Atem stockt. Jedes Stück auf dieser Platte kreiert Bilder im Kopf und zeichnet ein Kribbeln im Herzen des Hörers. Das ist auch und vor allem der zwischen höchster Sensibilität ("Alaska", "Adrift") und rauer Schönheit ("Sequoia", "Disconnected") pendelnden Stimme von Sänger Luca Daniel zu verdanken. Dieses Album ist eine innen wie außen meisterliche Komposition.
Line-up:
Luca Daniel (vocals, guitar)
Patrice Vogt (guitar)
Stefan Biedert (bass)
Thomas Breitenstein (synths)
Raphael Bottazzini (drums)
Tracklist
01:Intro
02:Alaska
03:Interlude
04:Sequoia
05:Levitate
06:Glorious Games
07:In Amber
08:Echoes
09:Tightrope Walkers On The Run
10:Tie Your Nation To The Radiation Machine
11:Adrift
12:Disconnected
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