Evolve IV / Decadent Light
Decadent Light Spielzeit: 50:45
Medium: CD
Label: ProgRock Records, 2008
Stil: Prog Rock

Review vom 14.11.2008


Jürgen Hauß
Es waren einmal zwei Musiker in der Blütezeit ihres musikalischen Schaffens, die lebten auf beiden Seiten des Atlantiks. Der eine von ihnen, Peter Matuchniak, stammte aus Großbritannien, der andere, Michael Eager, kam aus den USA. Sie begannen eine enge musikalische Partnerschaft, um gemeinsam die moderne, progessive Musikszene aufzumöbeln, indem sie ihre jeweiligen Erfahrungen in früheren Bands (Mach One, Janysium bzw. Vitamin Funk, Mind Expansion und HED) kombinierten. Ihre Mitmusiker, Paul Sheriff und Jim DeBaun fanden sie durch entsprechende Anzeigen im Internet.
So etwa beginnt - ausweislich des von der Plattenfirma mitgelieferten 'Waschzettels' - die märchenhafte Entstehung von Evolve IV.
Evolve IV - der Bandname bezeichnet eigentlich ein naturwissenschaftliches Experiment, mit dem die Auswirkungen umweltbedingter Ungewissheiten auf die unterschiedlichsten Lebensformen untersucht wurden - ist in der Tat Ausdruck einer musikalischen Evolution. Sie begann mit der Gründung der Band, die ihre Lieder zunächst ausschließlich zum Download im Internet anbot. Schließlich wurde ProgrockRecords auf Evolve IV aufmerksam, es kam im September 2008 zur Unterzeichnung eines Plattenvertrages und schon wenige Wochen später ist das vorliegende Debüt-Werk auch als 'richtige' CD im Plattenhandel erhältlich.
Das Promoexemplar bestand allerdings allein aus der 'nackten' CD. Wünschenswert wäre jedenfalls ein Booklet mit näheren Informationen zu der Band.
Der Name der Plattenfirma ist nicht nur deren Programm sondern erfasst auch den Musikstil, dem Evolve IV huldigt. Was aber ist überhaupt Prog Rock? Mit dem Wortteil Prog = Progessive erwartet man eigentlich etwas Progressives, Neues, Modernes, eben halt im wahrsten Sinne des Wortes Fortschrittliches. Was man auf "Decadent Light" zu hören bekommt, klingt aber alles andere als wirklich neu. Das ist aber auch nicht weiter verwunderlich.
Prog Rock ist ein Musikstil, der Ende der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts kreiert wurde. Als erste Protagonisten dieses Stils werden in der Regel King Crimson genannt, aber auch
Emerson, Lake & Palmer, Genesis, Yes, Grateful Dead bis hin zu Pink Floyd. Dementsprechend bezeichnen die Mitglieder von Evolve IV auch diese Gruppen als ihre musikalischen Vorbilder vergangener Jahre; aktuelle Einflüsse beziehen sie angabegemäß von Coldplay, Killers, Radiohead.
Als progressiv wurde seinerzeit - und zu dieser Zeit sicherlich zu Recht - die Verbindung mehrerer hergebrachter Musikstile bezeichnet, die - auch unter Verwendung gar klassischer Motive - die Grenzen der einzelnen Spielarten überschritt und dadurch neue Klangbilder entwickelte. Ob eine derartige Bezeichnung 40 Jahre später noch richtig ist, da die Mischung unterschiedlichster Musikstile heutzutage nichts Neues mehr ist, kann getrost dahingestellt bleiben. Ein Review hat nicht die Aufgabe festzustellen, ob die Bezeichnung für einen Musikstil noch zeitgemäß ist, sondern - wenn überhaupt - welchem Musikstil die besprochene CD zuzuordnen ist.
Beim ersten Anhören von "Decadent Light" kann ich allerdings eine Nähe zu den genannten Vorbildern spontan nicht feststellen. Die Musik von Evolve IV und insbesondere der Gesang von Michael Eager erinnern mich eher an Fool's Garden oder aber auch an Leslie Mandokis Soulmates; zwei Gruppen, die sicherlich nicht als Protagonisten der Prog Rock-Szene gelten dürften und auch im Übrigen eher der Pop-Schiene denn der Rockmusik zuzurechnen sind (was auch erklärt, wieso in RockTimes bislang - soweit ersichtlich - noch nie über sie berichtet wurde).
Dennoch erlaube ich der Scheibe noch eine zweite Runde in meinem Player, eine dritte und Weitere folgen. Das mehrmalige Hören von "Decadent Light" löst im positiven Sinne eine Evolution aus. Mehr und mehr nehme ich die musikalischen Leckerbissen der einzelnen Titel wahr.
Bereits die ersten beiden Tracks "Number 16" und "War" zeigen die Varianzen, die in dieser Musik stecken. Sie beinhalten mehrere Musikstile und zeichnen sich durch wechselnde Tempi sowie den intensiven, atmosphärischen Einsatz von Gesang und diversen instrumentellen Solo-Einlagen aus. Apropos Instrumente: Die Bandmitglieder werden auf "Decadent Light" durch Gastmusiker unterstützt, u.a. David Gilman, der mit Saxophon, Flöte und Violine zusätzliche instrumentelle Möglichkeiten einbringt. Auf "Rolling Along" übernimmt hingegen eine Sängerin namens Tali Azerad, den - nonverbalen - Gesangspart auf eine Weise, die an "The Great Gig In The Sky" von Pink Floyd erinnert, was sie auch bereits für eine diesbezügliche Coverband erfolgreich abgeliefert haben soll. Der 'Schlussseufzer' der Sängerin befindet sich allerdings bereits auf "Saturday's Gone", so dass die beiden Tracks quasi übergangslos ineinander über gehen. Eine ähnliche Technik wendet Evolve IV auch später nochmals an.
An Track 10 - mit einer Laufzeit von über fünf Minuten bereits einer der längsten Titel der CD - schließt sich beinahe unmerkbar der letzte Track, das achtminütige "Goodbye" an, so dass man zum Schluss der Scheibe ein überlanges Werk wahrnimmt. Man ist von daher gehalten, die ganze CD sehr aufmerksam zu hören, was jedoch angesichts des guten Materials nicht weiter schwierig ist. Der 'Abschiedssong' überzeugt allerdings weniger durch eine sprachlich-inhaltliche Vielfalt (er handelt von dem schwierigen bis unmöglichen Versuch, sich von der großen Liebe, die jedoch nichts von einem wissen will, zu verabschieden, was zu mehrfachen Textwiederholungen führt) als vielmehr durch seine wiederum sehr interessante Instrumentierung und Arrangierung; insbesondere der Einsatz des Tenorsaxophons unterstreicht die melancholische Stimmung.
Die Tracks im Einzelnen näher zu beschreiben, würde den Rahmen des vorliegenden Reviews sprengen. Immer wieder erklingen überraschende musikalische Einblendungen sowie atonale - nicht aber unmelodische - Wendungen. Oftmals hat man jedoch das Gefühl, den ganzen Song oder einzelne Soundschnipsel irgendwo bei den eingangs genannten musikalischen Vorbildern oder auch bei Gruppen wie Sky, Camel u.ä. gehört zu haben, auch wenn man nicht einfach von billigen Kopien sprechen möchte. Die ganzen Umwelteinflüsse, auf die sich Evolve IV berufen, haben allerdings nicht zur Entwicklung eines eigenen Stils geführt.
Ob das Ganze jetzt Prog ist oder nicht, mehr noch habe ich Schwierigkeiten, "Decadent Light" unter Rock zu subsumieren, zu eingängig gehen einem die einzelnen Titel - jedenfalls nach mehrmaligem Hören - ins Ohr, ohne allerdings dabei langweilig zu werden. Wer diesen Stil mag, dem kann ich die Scheibe empfehlen.
Line-up:
Michael Eager (guitar, vocals)
Peter Matuchniak (keyboards, guitar)
Jim DeBaun (bass)
Paul Sheriff (drums)
Tracklist
01:Number 16 (4:20)
02:War (4:52)
03:Listen Up (4:18)
04:Judgement Day (3:52)
05:Rolling Along (3:15)
06:Saturday's Gone (4:31)
07:Must Have Been The Future (5:07)
08:Baby Come Back (2:59)
09:Voyager (4:05)
10:Write (5:02)
11:Goodbye (8:04)
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