Fairport Convention / Liege & Lief
Liege & Lief Spielzeit: 40:33
Medium: LP
Label: Island Records, 1969
Stil: Folk Rock, Electric Rock, Electric Folk


Review vom 12.12.2009


Norbert Neugebauer
Ohne Fairport Convention wäre der Folk Rock wohl kaum denkbar. Zusammen mit anderen englischen Bands wie The Incredible String Band, Pentangle, Steeleye Span und selbst den Beatles oder Einzelkünstlern wie Donovan und Van Morrison starteten sie Ende der sechziger Jahre einen Boom, der traditionelle Folkmusic mit dem in allen Richtungen expandierenden Rock sowie der Singer/Songwriter-Bewegung zusammenbrachte. Auf der anderen Seite des Atlantiks entdeckten die Nachfahren der Auswanderer ebenfalls ihre musikalischen 'Roots' und schürten das Feuer mit.
Die Einflüsse waren enorm auf andere Gruppen und Strömungen, was sich in einer Vielzahl von Veröffentlichungen jener Zeit widerspiegelt. Bekannte Beispiele lieferten Led Zeppelin mit der FC-Sängerin Sandy Denny mit "Battle Of Evermore" oder auch "Stairway To Heaven", Traffic mit "John Barleycorn Must Die" oder Rod Stewart mit seinen ersten Solo-Alben. Es gab eine ganze Schwemme von Folk Rock-Bands, die in der Folge gegründet wurden, nicht nur in den angelsächsischen Ländern, sondern u.a. auch in Deutschland.
Fairport Convention hatte bereits mit dem Vorgänger-Album "Unhalfbricking" die amerikanischen West Coast-Einflüsse weitgehend abgelegt und lieferte nun Ende 1969 mit dem vierten Album das absolute Meisterwerk nicht nur der eigenen Karriere, sondern auch des gesamten Genres ab. Nach einem Busunfall auf Tour, bei dem Drummer Martin Lamble und die Freundin von Gitarrist
Richard Thompson getötet und andere verletzt wurden, zog sich die Gruppe aufs Land in die Nähe von Winchester zurück, überwand den Schock und integrierte die bisherigen Gastmusiker Dave Mattacks (drums) sowie Dave Swarbrick (fiddle). Bassist Ashley Hutchings und Sandy Denny hatten sich ausgiebig mit englischen Volksweisen, Tanzstücken und alten Liedern beschäftigt. FC übernahm nun sowohl Traditionals ins Repertoire, als auch typische Spielweisen in die eigenen Songs, die mit einem erweiterten Rock-Instrumentarium aufbereitet wurden. Auch das Cover mit den auf alt getrimmten Portraits und dem Fetisch zeigt, wo die Band musikalisch hin wollte. Die aufregende Mischung zwischen Überlieferung und Moderne bekam zunächst die Bezeichnung 'Electric Folk'. "Liege & Lief" (mittelhochenglischer Begriff für 'loyal und bereit') war das Ergebnis eines fruchtbaren Sommers im Landhaus von Farley Chamberlayne, das bis in die heutigen Tage höchste Anerkennung genießt.
Bereits das Konzert, mit dem das Album in der Royal Albert Hall vorgestellt wurde, war ausverkauft. Nachdem es dann John Peel in seiner Sendung 'Top Gear' promotet hatte, erreichte es Platz 17 und blieb 15 Wochen in den englischen Charts. 2002 wählten es die Hörer von BBC 2 zum »wichtigsten Folk-Album aller Zeiten«. 2006 folgte die offizielle Anerkennung mit dem BBC Folk Award 'Most influential Folk Album of all time'.
Die Band veranstaltet seit 1976 ein alljährliches Festival in Oxfordshire, die spätere 'Fairport's Cropredy Convention', bei der regelmäßig neben befreundeten Gruppen und Künstlern auch frühere Bandmitglieder mit auf die Bühne kommen. 2007 wurde aus Anlass der Award-Verleihung das komplette "Liege & Lief"-Album mit den verbliebenen Original-Mitgliedern der damaligen Produktion aufgeführt. Die Leadvocals für die 1978 verstorbene Denny übernahm in beeindruckender Weise Chris While, die den Spagat schaffte, einerseits die unvergessene charismatische Grand Dame des englischen Folks mit ihrer einzigartigen Intonation fast schon wiederaufleben zu lassen, andererseits sich jedoch als die wohl derzeit beste weibliche Folkstimme Englands mit eigenem Stil in Szene zu setzen. Dass die Band, die mit mittlerweile kaum zählbaren Studio-Veröffentlichungen, Zusammenstellungen, Live-Mitschnitten und sonstigen Medienproduktionen keine kommerzielle Möglichkeit auslässt, von ihrem damaligen Ruhm zu leben, ausgerechnet dieses Ereignis nicht auf den Markt bringt, verwundert sehr. Das kann eigentlich nur damit zusammenhängen, dass ein Teil der beteiligten Künstler seine Zustimmung dazu verweigert. Glücklicherweise existieren erstklassige Bootleg-Aufnahmen, die dieses einmalige Konzert für die Fanwelt dokumentieren.
Nun zur Musik. Der Besprechung liegt die Original-Ausgabe als LP zugrunde. Das Album wurde später in verschiedenen Versionen auf CD wiederveröffentlicht, teilweise mit Bonustracks aus den Original-Sessions und seltsamen Live-Zugaben. Während erstere für Fans als willkommene Ergänzungen gelten mögen, sind letztere hier absolut unpassend. "Liege & Lief" ist mit seinen acht Tracks ein in sich geschlossenes, perfektes Werk, das die Liebhaber jener Zeit vom ersten bis zum letzten Ton im Ohr haben und bei dem jeder weitere nur stört.
Aufgenommen wurde es im Spätherbst 1969 in den Sound Techniques Studios in London, Produzent war Joe Boyd. Er brachte den Sound der Band mit seiner Erfahrung gelungen auf die Bänder. Sowohl die akustischen, wie die elektrischen Instrumente kommen gut zur Geltung und die Vocals natürlich auch. Selbst nach vier Jahrzehnten, nach unzähligen Malen des Anhörens, mit den Abstrichen an die damalige Technik und die Spuren der Zeit, erzeugt Sandys Stimme noch immer dieses unbeschreibliche Gefühl von vergangenen Tagen, von Romantik, von Avalon'schen Nebeln und von düsteren Taten. "Come All Ye" (Denny, Hutchings) ist der kraftvoll-geschmeidige Minstrel-Auftakt, bei dem Swarbrick mit seiner fast schon countrymäßigen Geige die Richtung mit vorgibt. Ganz anders dann die erste Denny-Glanznummer, das von der Band sehr zurückhaltend instrumentierte, hochemotionale "Renyardine".
FC packte die Fans immer in ein Wechselbad der Gefühle - hier die Tanzmusik, die derben Balladen - und unmittelbar darauf die zarten Elegien, dramatischen Stücke oder die Liebeslieder. Mit "Matty Groves" (dem nächsten Traditional) folgt der absolute 'FC-Hit', der wohl noch heute stürmisch bei allen Auftritten gefordert wird. Die herrliche Ballade von Lady Gay und ihrem verführten Dorfburschen Matty, die von einem Bediensteten verraten und vom Herrn inflagranti erwischt werden. Nachdem Lord Darnell den Lover im ungleichen Duell getötet hat, stellt er der Ungetreuen die fatale Frage:
»And then up spoke his own dear wife, never heard to speak so free
I'd rather a kiss from dead Matty's lips than you or your finery«

… so kommt die Antwort der mutigen Mittelalter-Emanze. Herrlich! Er spießt sie an die Wand.
Der Song beginnt langsam und steigert sich nach der blutrünstigen Geschichte in einen wahren Spielrausch mit den beiden Gitarren und der Fiedel. In bewährter Manier folgt dann das sehnsüchtige "Farewell, Farewell", mit dem Thompson seine Songschreiberqualitäten unter Beweis stellt - ein guter Abschluss für die erste Plattenseite.
"The Deserter" ist wieder ein überliefertes Stück, das von der Band rhythmisch akzentuiert wird. Über dem getragenen Takt schwebt Sandys Stimme wie über den Wassern. Dann folgt das Medley der schnellen Tanz-Nummern, die wieder die andere Seite zeigen - ausgelassen, überschwänglich, bodenständig. Der nächste Song, "Tam Lin", ist eine schottische Ballade und ebenfalls ein Evergreen der Band. Das Märchen von dem verwunschenen Tam und seiner Erlöserin zelebrieren FC mit harten Rockakkorden und dazu kontrastiert berückend die diesmal feste Elfenstimme. Der spannungsgeladene Song bietet aber auch erneut reichlich Platz für die restlichen Musiker, die das Stück auf über sieben Minuten ausdehnen. Der Abschluss gebührt wieder einem Thompson-Song - "Crazy Man Michael" ist ein zarter Folksong, bei dem Sandy ihr rauchiges Timbre ein letztes Mal einsetzt und für Gansehaut sorgt.
Die Formation mit dem 'klassischen' Line-up glänzte sowohl als kompaktes Team, als auch individuell. Sandy Denny sang wohl nie mehr so melancholisch entrückt und gleichzeitig integriert, Ausnahme-Gitarrist Richard Thompson setzte einen Glanzpunkt nach dem anderen mit seinem harschen Spiel und ergänzte sich bestens mit dem zweiten Klampfer Simon Nicol sowie dem damals außergewöhnlichen Geiger Dave Swarbrick. Ashley Hutchings und Dave Mattacks waren die kongenialen Verbindungsglieder und Rhythmusgeber in dieser so perfekten Symbiose.
Für Interessierte hier noch ein Verweis auf eine weitere FC-Veröffentlichung mit dem "L&L"-Triple "Come All Ye"/"Renyardine"/"Matty Groves". Auf der Compilation "The Cropedy Box" zum 30-jährigen Bandbestehen von 1997 singt es Judy Dyble, die erste Vokalistin der Band - ein reizvoller Vergleich. Allerdings vergisst die Gute in ihrer ansonsten sehr ansprechenden Version vom "Matty Groves" grad eben jede entscheidende Strophe …
"Liege & Lief" war zweifellos der Höhepunkt der Band, die danach mit Denny, Hutchings und (nach dem nächsten Album) Thompson ihre drei wichtigsten Köpfe ersetzen musste. Auch wenn sie später zum Teil temporär zurückkehrten, diese Kreativität und Frische erreichte FC nicht mehr. Die Gruppe machte bis heute viele Wechsel durch, es ging runter und rauf, sie hörte jedoch nie auf zu spielen. Zweifellos DIE Institution des englischen Folk Rocks, gleichzeitig auch Keimzelle und Sammelbecken für das Genre. Sie hat mit diesem Album einen absoluten Klassiker in der Rockmusik-Historie geschaffen.
Dieser Tage jährt sich die Veröffentlichung zum 40. Mal und darauf stoßen wir an, cheers folks - always liege & lief to the music!
Line-up:
Sandy Denny (vocals)
Dave Swarbrick (fiddle, viola)
Richard Thompson (electric & acoustic guitars, backing vocals)
Simon Nicol (electric, 6-string & 12-string acoustic guitars, backing vocals)
Ashley Hutchings (bass guitar, backing vocals)
Dave Mattacks (drums, percussion)
Tracklist
Seite 1:
01:Come All Ye
02:Reynardine
03:Matty Groves
04:Farewell, Farewell
Seite 2:
01:The Deserter
02:Medley:
 - The Lark in the Morning
 - Rakish Paddy
 - Foxhunters' Jig
 - Toss the Feathers
03:Tam Lin
04:Crazy Man Michael
Externe Links: