Family Five / Hunde wollt ihr ewig leben?
Drei dreckige Dutzend aus drei Dekaden
Hunde wollt ihr ewig leben Spielzeit: 130:44
Medium: Doppel-CD
Label: Sireena Records, 2012
Stil: Punk-Rock-Soul


Review vom 08.01.2013


Steve Braun
Es ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass Peter Hein nicht in einem Atemzug mit den großen deutschen Rockpoeten genannt wird... aber würde er dies überhaupt wollen? Aus seinem 2007 erschienenen Buch "Geht so. Wegbeschreibungen" lässt sich herauslesen, dass Hein immer in Bewegung war und ist, auf der Suche nach Unbekannten ohne lästige Sinnfragen oder gar Ziele. Ein Antiheld, der sich nicht von seiner Anhängerschaft instrumentalisieren lassen will. Quasi der Gegenentwurf zu Rio Reiser, den jeder für sich einzunehmen gedachte, der daran zu zerbrechen drohte und der so völlig andere Schlüsse für sich zog.
Peter Hein ist als einer der Urväter des 'Deutsch-Punk' stets der Anarchie treu geblieben, obwohl er zu Fehlfarben-Zeiten aus der Punkszene als Verräter gescholten wurde. Dabei hat er sich mit der Freiheit des Geistes stets ein Urideal der Punkbewegung erhalten. Es war die Szene, die zunächst in Stereotypen erstarrte, um später in eine völlig sinnbefreite Spaßbewegung abzudriften.
Der Punk ist tot - es lebe Peter Hein!! Leute wie er waren der intellektuelle Unterbau dieses musikalischen Aufbruchs, der zunächst im 'Saufen-Ficken-Kotzen-Alles Scheiße' und dann im 'Hossa' versandete. Sein Ausstieg bei Fehlfarben, die nie von der Punkszene akzeptiert und dafür von der NDW gierig aufgesogen wurden, war folgerichtig. Ein Intellektueller blieb er auch weiterhin, allerdings ohne den erhobenen Zeigefinger, ohne das dämlich abgehobene Geschwurbel von André Heller & Co. Dafür aber mit der klaren Sprache der damaligen Zeit. Und während Die Grünen erfolgsbesoffen ihren Siegeszug in den Untergang antraten, ätzte Peter Hein 1987 mit "Zweiundvierzig" und "Der Schlaf der Vernunft" in offene Wunden:
»Manchmal weiß man nicht mehr genau
Warum man eigentlich lebt
Ob nicht an jeder Hand Geld oder Blut klebt
Der Ekel vor sich selbst hat sich schnell gelegt
Weil man Verantwortung auf andere überträgt
Ich hab es satt, dass sich nichts geändert hat

Wenn sich der Vorhang des Vergessens einmal hebt
Weil jeder irgendwie doch unter Stiefeltritten bebt
Dann sieht man, wie sich die Mühle dreht
Und dann sich vorstellt, wie es weitergeht
Ich hab es satt, dass sich nichts geändert hat
Ich hab es SATT!!!

("Der Schlaf der Vernunft")«
Lauschen wir einmal einem berufenen Munde: »...ihre Texte sind nicht gut, geschweige denn besser - sie sind am besten!« Ausnahmsweise gebe ich dem deutschen Papst der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranitzki einmal widerspruchslos recht.
Heins kongenialer Partner war Xaõ Seffcheque, der die Texte musikalisch gestaltete. Ein als Alexander Sevschek in Graz geborener Musiker, der heute als erfolgreicher und gefragter Drehbuchautor (Tatort, Polizeiruf 110) und Produzent tätig ist. Das multiinstrumentierte Multitalent bezeichnete seine vorwiegend von The Clash und den Dexy's Midnight Runners inspirierte Melange stets als 'Soul Punk', was man anhand dieser Referenzbands gut nachvollziehen kann. Rotziger Punk, mit messerscharfen Bläserattacken und Heins eigenwilligem Gesang unterlegt - das besitzt Eigenständigkeit und einen hohen Wiedererkennungswert.
"Hunde wollt ihr ewig leben?" ist beileibe nicht die erste Compilation der Düsseldorfer, aber vielleicht die schönste. Und darunter sind beileibe nicht nur das pfiffige Six-Panel-Digipak und das informative Booklet mit gleich vier Liner Notes von Wegbegleitern zu verstehen. Nein, anhand der Songzusammenstellung kann man wunderschön die musikalische Entwicklung von Family Five nachvollziehen. Was 1981 mit den Singles "Bring Deinen Körper auf die Party", "Traum von Übermorgen" und "Japaner in Düsseldorf" noch als reichlich schräge Mixtur von Punk, Ska, Trance und Pop mit deutlichem 'Garagen-Charakter' begann, steigerte sich mit der ersten EP (Mini-LP) "Ball der Verwirrung" bereits beachtlich! "Tagein - Tagaus" und "Die kapieren nicht!" sind bereits mit schönen Hooks und scharfem Blech garnierte kleine Kunstwerke.
Den nächsten Schritt nach vorne markiert das erste Album "Resistance" (1985), dem man allerdings noch anhört, dass es sicherlich 'für eine Handvoll Lire' (Übersetzung des Titels der 84er Kurzrille "Per uno pugno di Lire") entstanden ist. Der Sound war noch etwas dünn, dennoch urteilte die links-alternative taz »...eine der grandiosesten Platten, die je in Deutschland erschienen sind.«. Bei "Stein des Anstoßes" klingt Family Five wie die deutsche Antwort auf Madness und die DMR.
Die Verbesserung der Produktionsbedingungen dokumentiert sich von Song zu Song, von Jahr zu Jahr. Die Halbballade "Der Schlaf der Vernunft", mit verschärftem Gebläse und tollem Alto Sax-Solo von Andreas Brüning als Sahnehäubchen, markiert den vorläufigen Höhepunkt der Entwicklung. Diese Nummer wird etwas später von einem Stones-artigen Schmachtfetzen, "Hör zu!", fast erreicht - das Riff ist toll, leider fallen die Bridge und die Hook des Refrains etwas ab. Die gesellschaftlichen Umbrüche zu den Wendezeiten reflektieren "Siehste!" und "Grenzen". Fast zehn Jahre liegen zwischen diesen und den ersten Aufnahmen - die Qualität der Songs spricht Bände!! Auf der 2004er EP "Wo's lang geht" läuft die 'Fünfer-Familie' dann zur Hochform auf. Ist das geil oder was???
»Stürzt einfach die Regierung, schließt die Deutsche Bank.
Boykottiert die Schulen, schreibt alle Ärzte krank.
Stellt euch vor die Kirchen, lasst niemanden heraus.
Geht zum Bundestrainer, sagt ihm, das Spiel ist aus.
Knebelt Dieter Bohlen, sperrt Gottschalk in den Schrank.
Niemand wird geschont, auch wenn er Dosenpfand erfand.
Stürmt die Plattenfirmen, erobert die Musik.
Jeder ist ein Künstler, im Westen tobt der Krieg.

Steffi, Naddel und Verona treten an zur Beugehaft.
Drogen sind legal, nicht der Mann, der sie beschafft.
Sprache ist Kulturgut, Sprechblasen sind's nicht.
Merkel muss ins Heim, wurde nackt beim Papst erwischt.
Keine Atempause, umgeschichtet wird die Macht.
Dummheit ist verboten, Volksmusik wird weggelacht.
Manager stehn Schlange vom letzten Arbeitsamt.
Niederrhein wird Freistaat, da bin ich weltbekannt.

("Wo's lang geht")«
Die ebenfalls auf dieser Scheiblette zu findende Ballade "Deckelverbot" und vor allem das "Peter Gunn"-mäßige "Viertel nach" stehen dem in nichts nach. Das alles kommt unglaublich gereift daher, und wenn dann bei "0190-4711" nochmal 'losgepunkt' wird, klingt auch das schon richtig edel.
»Deutschlands beste Live-Band« (Spirit) ist nach wie vor, wenn auch unregelmäßig, aktiv. Spekulationen um ein neues Studioalbum befeuerten Family Five im Rahmen eines Konzertes vor gut einem Jahr.
Und da Gut' Ding eine gewisse Weile braucht, trösten wir uns in der Warteschleife mit dieser genialen Compilation. Hunde wollt ihr ewig leben? Herr, schenke Family Five das ewige Leben!!
Line-up:
Peter Hein (Gesang)
Xaõ Seffcheque (Gitarre, Klavier, Orgel, Mandoline, Percussion, Chor)
Axel Knabben (Tenorsax, Chor)
Markus Türk (Trompete, Chor)
Gerald Leyking (Trompete)
Markus Wienstroer (Gitarre)
Rainer Mackenthun (Kontrabass)
Andreas Brüning (12-saitige Gitarre, Altsax)

Musikalische Unterstützung:
Hermann Süß (Trompete)
Arvid Maltzahn (Posaune)
Peter Arnold (Posaune)
Jochen Schmidt (Vibraphon)
Rolf Lammers (Orgel)
Michael Jansen (E-Piano)
Ralf Schienke (Keyboards, Gitarre, Chor)
Björn Krüger (Schlagzeug)
Campino, Breiti und andere (Chor)
Tracklist
CD 1:
01:Bring Deinen Körper auf die Party
02:Traum von Übermorgen
03:Japaner in Düsseldorf
04:Tagein - Tagaus
05:Die kapieren nicht!
06:Stein des Anstoßes
07:Du wärst so gern dabei
08:200.000 Stunden
09:Schön ist anders
10:Wir bleiben
11:Zweiundvierzig (42)
12:Fortuna
13:Der Vergölzer
14:Libero
15:Mit Fug und Recht
16:Alles ganz einfach
17:Kinder im Rhein
18:Mittwochs in
19:Der Schlag der Vernunft
20:Hau weg den Dreck
CD 2:
01:Hör zu!
02:Niemals zu alt
03:Arm!
04:Siehste!
05:Grenzen
06:Wo's lang geht
07:Der Turm
08:Über der Stadt
09:Lauf der Zeit
10:Überstunden
11:Deckelverbot
12:Viertel nach
13:Lachleute & Nettmenschen
14:Wie lange noch?
15:0190-4711
16:Du kannst Dich nie entscheiden
Externe Links: