Fattigfolket / Park
Park Spielzeit: 51:35
Medium: CD
Label: Ozella Music, 2011
Stil: Jazz

Review vom 09.09.2011


Wolfgang Giese
Fattigfolket - aus dem Norwegischen übersetzt bedeutet das 'arme Leute'. Nun denn, die vier Musiker aus Schweden und Norwegen hören sich hinsichtlich dessen, was sie auf ihrer aktuellen Platte "Park" präsentieren, wahrlich nicht arm an, denn die Musik lebt von inhaltlichem Reichtum, von Ausdruck und Inspiration. Ungewöhnliche Arrangements sind es, die sich auf teils ungewöhnlichen Kompositionen aufbauen. Diese Musik hat den Vorteil, 'anders' zu sein, dergestalt, dass sie sich nicht in gängige Schemen des Jazzgenres pressen lässt. Gleichwohl sind es Elemente des Jazz, die sich wie selbstverständlich wiederfinden und widerspiegeln. Vorwiegend ist es jedoch die 'Stimmung', die den Hörer fesselt.
Diese Stimmung soll jene Gefühle darstellen, die die Musiker beim Besuch verschiedener Parks hatten, Parks, die sie an Auftrittsorten aufgesucht hatten, um sich zwischendurch zu entspannen und wahrscheinlich Eindrücke zu sammeln. Es wird nun versucht, diese musikalisch umzusetzen und die Hörerschaft auf diese Kurzausflüge mitzunehmen.
Langsam und schleichend mit leicht verklärt wirkendem Einsatz der Klarinette, die zusammen mit dem Bass eine hintergründige Melodieführung zu spielen scheint, eröffnet sich der musikalische Reigen. Der Trompeter, Gunnar Halle, erhebt als erster mit einem einfallsreichen Solo seine Stimme - ansonsten wird vieles kollektiv dargeboten. Ja, Bilder können absolut beim persönlichen Fallenlassen entstehen, das dazugehört, um diese Stimmungen wirken zu lassen. So mögen alle, die bereits in den bezeichneten Parks gewesen sind, die Beurteilung, ob die jeweilige Umsetzung gelungen ist oder nicht, besser beurteilen können - obwohl ich denke, dass Menschen am gleichen Ort nicht die gleichen Empfindungen teilen müssen.
Mir fällt jedenfalls, wenn ich das Stück "Grunewald" höre, auf, dass die Musik zu dem passt, was ich persönlich dort erlebt habe, nämlich, dass kurz hinter uns eine Wildschweinmutter mit zwei Frischlingen den Weg galoppierend querte und uns in Schrecken versetzte. Mit etwas Fantasie kann ich bei diesem Stück dieses Erlebnis durchaus nachvollziehen. Vielleicht ist der Band ja ähnliches im Grunewald widerfahren, denn die perkussive Ausrichtung des Titels könnte darauf hindeuten. Ansonsten stoße ich ansatzweise auf Ausflüge in leicht südamerikanische Rhythmen, eine schwebende Atmosphäre, auf treibende Wolken, die sich hinter dem Horizont auflösen. Hinsichtlich des Aufbaus des ersten Titels erinnere ich mich an die Version des Stückes "Witchi-Tai-To" (Jim Pepper) von Jan Garbarek. Möglicherweise könnten auch im "Pfauenpark" Pfauen als Inspiration durch die Szenerie stolziert sein.
Wie dem auch sei, die Musik bietet immer wieder Freiraum für die eigene Fantasie, für Assoziationen zu auftauchenden Bildern, zum Philosophieren. Bekannte Strukturen des Jazz werden allein durch die hier praktizierte Umsetzung der Rhythm-Section manchmal schon fast auf den Kopf gestellt. Melodien bestimmen oft das Geschehen und lassen die Musik dann in die Nähe von Weather Report rücken. Karg und spröde wirkt der Ablauf einzelner Titel bisweilen, allerdings ohne dass Langeweile aufträte. Dennoch könnte das zumeist stark introvertierte Element der Musik es einigen Hörern/innen schwer machen, einen Zugang zu "Park" zu finden. Zeitweilig fühle ich mich in jene Zeit zurück versetzt, als Miles Davis sich anschickte, den Jazz in eine neue Richtung zu treiben. Ich meine jene Zeit vor seiner 'elektrischen Phase', etwa Mitte der sechziger Jahre, geprägt von starker Aufbruchsstimmung mit eindrucksvollen Bildern.
Auch an andere Musiker können gelegentlich Erinnerungen wach werden - so beim neunten Titel an John Surman und dessen Eigenart bei Interpretationen. Die Rhythmen werden teils sehr vertrackt dargeboten und bieten stets den Anreiz des Außergewöhnlichen. Immer wieder ganz besondere 'Farbkleckse' gibt es, wenn sich die Klarinette einschleicht. Ich sehe es als gelungen an, Miniaturen zu schaffen, die jede für sich Geschichten erzählen können, durchgehend von Träumen gespeist sind und weg vom Alltag tragen. Fattigfolket ist eine Band, die eine gewichtige Rolle in der europäischen Jazzszene spielen sollte!
Line-up:
Gunnar Halle (trumpet)
Hallvard Godal (sax, clarinet)
Putte Johander (bass)
Ole Morten Sommer (drums)
Tracklist
01:Pfaueninsel Park [Johander] (5:45)
02:Brentanopark [Godal] (5:52)
03:Barnim Park [Godal] (4:55)
04:Hesperides Park [Godal] (2:49)
05:Lohrpark [Godal] (4:14)
06:Mauerpark [Johander] (4:12)
07:Tierpark [Godal] (4:43)
08:Innocentia Park [Godal] (3:11)
09:Marienberg Park [Godal] (5:40)
10:Grunewald [Johander] (4:59)
11:Agra Park [Godal/Johander] (4:35)
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