Fetzer And The Turbochargers
30.05.2008 JVA Stammheim, Stuttgart
Live Fetzer And The Turbochargers
Stuttgart, JVA Stammheim
30. Mai 2008
Konzertbericht
Stil: Rock, Punk, Metal


Artikel vom 20.06.2008


Frank Zube
Fetzer And The Turbochargers rocken in der JVA Stammheim für die Häftlinge
Klaus Boshart ist der Chef der Gefangenenbetreuung der JVA Stammheim und Mitbegründer der Initiative 'Rock im Knast'. Die Aufgaben der Intiative umreißt er so: »Gerade in Justizvollzugsanstalten sind kulturelle Veranstaltungen eine wichtige Resozialisierungsmaßnahme und dienen darüber hinaus auch als ideales Migrationsinstrument. Den Musikern und Bands kommt hier eine unverzichtbare Rolle zu. Musik aus verschiedenen Generationen, Stilrichtungen und Epochen, in verschiedenen Sprachen, ob in Workshops oder bei Live - Auftritten, stellt ein sichtbares Zeichen unseres Gemeinwesens und unseres gemeinsamen Resozialisierungsauftrages dar. «
Als er im Internet bei der Suche nach potentiellen Bands, die für 'seine' Häftlinge spielen könnten auf die Homepage der Ludwigsburger Rockband Fetzer And The Turbochargers stieß, war ihm klar: Die sind genau die Richtigen, um den Gefangenen etwas Kurzweil zu verschaffen. Die Band, die nach vier Fetzer vorm KnastJahren ihres Bestehens auf knapp 50 Konzerte zurückblicken kann, hat sich nach eigenen Worten dem 'anerkannten Rock'n'Roll' verschrieben. »Rock'n'Roll soll in erster Linie allen Beteiligten Spaß bringen. Aber er ist durch seinen Rhythmus und dieses treibende Element auch dazu in der Lage, Aggressionen abzubauen und Stress und schlechte Laune zu kompensieren. Ganz wichtig ist, dass man sich selbst dabei nicht allzu ernst nimmt und dieses ganze Showding mit einem kleinen Augenzwinkern präsentiert«, sagt Commander El Zubosch alias Frank Zube, der Drummer der Band. Sein Bandkollege und Sänger Pascal Fetzer ergänzt: »Als Klaus per E-mail eine Anfrage an unsere Band richtete, ob wir es uns 'im Rahmen unseres sozialen Engagements' vorstellen könnten, für die Häftlinge in der JVA zu rocken mussten wir nicht lange überlegen. Das Konzert müsse zwar zur Ausgangszeit der Häftlinge am frühen Nachmittag stattfinden, doch wir würden den Insassen eine große Freude bereiten und ihnen die Möglichkeit geben, mal was anderes zu sehen bzw. zu hören. Natürlich waren wir sofort fasziniert von dieser Idee. Wann kommt man schon mal in den berühmten Knast zu Stammheim und das ganze noch mit einem Hauch von Johnny Cashs legendärem Auftritt in San Quentin? Mit einer Mischung aus Abenteuerlust, Neugierde und sozialem Engagement sagten wir sofort für den 30.05.2008 zu.«
Zu einer Zeit, wenn richtige Rockstars noch ihren Rausch ausschlafen - es war gerade einmal elf Uhr morgens - fuhr die Band dann am besagten Tag mit zwei voll beladenen Autos am Haupteingang der Justizvollzugsanstalt in Stammheim vor. Ein gut gelaunter Herr Boshart nahm alle Beteiligten herzlich in Empfang und zog hinterher - aus Sicherheitsgründen - alle Personalausweise ein. Auch die Handys sollen im Auto bleiben. Nachdem dieser erste 'Schock' überwunden war, gab Herr Boshart einem Bediensteten sein OK, und bei schönstem Sonnenschein öffnete sich das Tor zu einer tristen, grauen Betonwelt. Es ging mit Geleitschutz von zwei Beamten durch diverse Tore und durch eine Autoschleuse in den Innenhof des Gefängnisses. Hier wurde man bereits beim Aussteigen durch einige Zellenfenster begrüßt. Auch das folgende Ausladen des Equipments wurde sicherlich durch viele Augenpaare beobachtet. Bassist Sergeant AJ Boogie (Andreas Kusche) erinnert sich: »Schön war die Tatsache, dass wir zum ersten Mal nicht alleine das schwere Bühnenequipment schleppen mussten. Einige gut durchtrainierte, junge Gefangene stellten sich gerne als Helfer zur Verfügung, um das ganze Zeug hoch in den zweiten Stock in den Andachtsraum zu schleppen.«"
Fetzer and the Turbochargers Nach Aufbau und Soundcheck bei dem der Soundmischer der Band, Michael Schopf, noch ein wenig gegen die doch sehr hallende Akustik ankämpfen musste, gab Klaus Boshart um 12:45 Uhr per Telefon ein Zeichen an seine Kollegen und der Saal begann sich langsam zu füllen. Für Gitarrist Electric Harry il Grandioso alias Harald Jahnke stellte sich die Szene wie folgt dar: »Einige der Gefangenen kamen direkt auf uns zu, nahmen sofort die Plätze in der ersten Reihe in Beschlag und wir kamen ins Gespräch. Andere waren eher zurückhaltend und beäugten uns erst einmal kritisch. Viele sahen aus, als seien sie Statisten in einem Hollywood-Gefängnisfilm. Gestählte Körper, Tattoos, kahl geschorene Köpfe und grimmige Blicke. Ich war plötzlich froh, hier später auch wieder raus zu dürfen.«
Die Realität schien die Fiktion überholen zu wollen. Mit 128 Häftlingen waren Fetzer And The Turbochargers die erste Band im Rahmen der 'Rock im Knast'-Initiative, die es geschafft hatte, die maximale Anzahl an Besuchern zu interessieren, denn die Gefangenen müssen sich schon sehr frühzeitig zu den Konzerten anmelden. Als die Band an ihre Instrumente ging, wurde es plötzlich ruhiger im Saal. Mit einem mächtigen Beckenschlag begann dann das Konzert und Bass und Gitarre schlugen wie wild in die Saiten. Das Publikum hatte so ein lautes Geräuschgewitter wohl nicht erwartet, denn die Gesichter wechselten ab zwischen erstauntem Starren und entzücktem Grinsen.
Ein besonders hart aussehender Mann fragte gar, ob man nicht ein wenig leiser machen könnte? Und es schien zu gefallen! Nach jedem Song wuchs der Applaus und die Gesichter der Menschen begannen sich zu entspannen. Hände klatschten im Takt zu Songs wie "Turbo Rock'n'Roll", "Balls Of Perfection", "Women" oder "Life Is A Bitch" und auch dem finstersten Gesellen konnte dieser Reigen bald ein Lächeln entlocken. Wohlgemerkt, keiner hatte jemals zuvor von der Band gehört und auch die Möglichkeiten des Internets sind den Gefangenen hier verwehrt. Trotzdem hatten die Turbochargers die meisten bald auf ihrer Seite und einige erhoben sich von ihren Plätzen und sangen die Refrains wild gestikulierend mit. Fetzer ging alsbald mit seinem Funkmikrofon auf Reisen durch den Saal, um zu den willigen Sängern zu gelangen und ihnen das Mikrofon hinzuhalten.
Fetzer live im Knast Nach einer knappen Stunde Rock'n'Roll-Spaß kam dann aber leider schon das Ende und die Menge forderte unter frenetischem Applaus Zugabe. Nach "Purple Bike" war es dann zu Ende und die Türen wurden wieder geöffnet. Doch bevor sich das Publikum wieder in seine Zellen zurückbegab, in denen die meisten aufgrund des Mangels an genügend Arbeitsplätzen rund 23 Stunden des Tages verbringen müssen, kamen einige noch nach vorne, schüttelten den Musikern die Hände und wollten ihnen für den gelungenen Auftritt danken. Ein ganz normales, gutes Publikum eben! Hierzu noch einmal Fetzer: »Ein Mann kam zu mir her und meinte: "Vielen, vielen Dank, dass ihr da wart. Du kannst dir nicht vorstellen, was mir das bedeutet. Ich wünsch euch alles Gute, Mann. Vielleicht sieht man sich ja wieder einmal..." Und nach einer kurzen Pause schob er noch hinterher: "...in ein paar Jahren!" Mir fehlten die Worte.«
Commander zieht folgende Bilanz: »Für uns war dieses Konzert eine unglaubliche Erfahrung und wir sind froh, dass wir sie machen durften. Der Freiheitsentzug ist eine der größtmöglichen Strafen; Isolation sollte nicht auch noch hinzukommen. Deshalb unterstützen wir die Initiative "Rock im Knast" mit ganzem Herzen und hoffen, dass noch viele andere Bands hinzukommen werden. «
Stammheim, rock on!
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