Mit zwei Konzeptalben ("Tick Tock", 2009 und Night, 2007) haben sich die norwegischen Art Rocker Gazpacho einen Platz in der Topliga des europäischen Prog Rocks erspielt. Eine umjubelte Tour mit Marillion, bei der sie den Headliner teilweise entzaubert an die Wand spielten, tat ihr übriges. Nun legt das Quintett aus der Landeshauptstadt mit "Missa Atropos" das dritte Konzept-Opus in Folge vor und von Abnutzungserscheinungen keine Spur - im Gegenteil!
Gazpacho, diese andalusische, eiskalte Tomatensuppe ist als kulinarische Spezialität völlig überbewertet und hinterlässt - wenn unverkostet - keine nennenswerte Lücke im persönlichen Rezeptregister. Wie anders ist das bei dieser norwegischen, der musikalischen Variante...
Lasst uns vorab einmal einen kleinen Abstecher in die griechische Mythologie machen:
Atropos (die Unabwendbare) ist neben ihren jüngeren Schwestern Klotho (die Spinnerin der Lebensfäden) und Lachesis (der die wichtige Rolle der Bemessung des Lebensfadens zukommt) eine der drei Schicksalsgöttinnen der griechischen Sagenwelt. Atropos zerschneidet den Lebensfaden des betroffenen Menschen - ihr fällt somit die Entscheidung über Leben und Tod, sowie dessen Art, zu.
Ein Mann zieht sich in einen Leuchtturm zurück, um eine letzte Messe für Atropos zu schreiben und zu lesen, bevor sie seinen Lebensfaden zerschneiden wird. Die Inspiration dazu zieht er lediglich aus dem Wind, dem Meer und seiner düsteren Gedankenwelt. "Missa Atropos" gewährt tiefe Einblicke in menschliche Abgründe und Reflexionen über die Bedeutung des Schicksals. Ist wirklich alles, was dem Menschen widerfährt, unabwendbares Schicksal und somit vorherbestimmt?
Zugegebenermaßen ist das sehr schwerer Stoff, den sich die Norweger da zumuten. Ihnen kommt dabei ihr latenter Hang zu depressiv-pathetischen Inszenierungen zupass. Gerade die Zerrissenheit des Protagonisten wird hochintelligent herausgearbeitet: hier Schmerz, Furcht, Verzweiflung - dort Erlösung und Zuversicht. Dies wird musikalisch in der Gazpacho eigenen Theatralik dargestellt, ohne dass es in pathetische oder kitschige 'Soundwände' entgleitet. Nein, diese Musik ist fein gewoben und niemals spröde. Ob düster-depressiv oder luftig-leicht inszeniert, die Seelenlage des einsamen Mannes im Leuchtturm wird stets anschaulich, ja nachfühlbar dargestellt.
Jan-Henrik Ohmes melancholische Stimme passt zu diesem Epos, wie der Nebel zu einem tristen Novembertag. Dies alles ergibt ein kompaktes Gesamtkunstwerk, das in sich schlüssig und nachvollziehbar ist. Jedem Ausflug in barocken Pomp - wie so oft auf überfrachteten Konzeptalben zu hören - wird konsequent entgegen gewirkt, sodass "Missa Atropos" niemals in peinliche oder gar lächerliche Gefilde abgleitet. Im Gegenteil, die Songs entwickeln eine geradezu hypnotische Anziehungskraft. Gazpacho agiert hier unglaublich gereift und mit traumwandlerischer, musikalischer Souveränität. Einzelne Songs hervorzuheben, verbietet sich selbstredend - diese Scheibe muss zwingend in einem Durchgang gehört werden.
Gazpachos sechstes Album ist kein 'Frühstarter'. Dazu sind Geschichte wie Musik zu komplex, anspruchsvoll und dicht verwoben. Eine Scheibe wie "Missa Atropos" muss sich entwickeln und erschließt sich mit jedem Hördurchgang mehr. Vor den geschlossenen Augen entstehen beim aufmerksamen Hörer Bilder, Gemälden von Hieronymus Bosch oder Salvadore Dali gleich, die ein expressives 'Kopfkino' entstehen lassen. Konnte man wirklich mehr von Gazpachos neuem Album verlangen?
Line-up:
Jan-Henrik Ohme (vocals)
Jon-Arne Vilbo (guitars)
Mikael Krømer (guitar, mandoline, violine)
Thomas Andersen (keyboards)
Kristian Torp (bass)
Lars Erik Arp (drums)
| Tracklist |
01:Mass For Atropos I (1:43)
02:Defense Mechanism (6:29)
03:I Was Never Here (3:12)
04:Snail (3:39)
05:River (6:07)
06:Mass For Atropos II (2:06)
07:Missa Atropos (8:25)
08:She's Awake (3:42)
09:Vera (7:26)
10:Will To Live (3:07)
11:Mass For Atropos III (1:39)
12:Splendid Isolation (8:33)
13:An Audience (2:52)
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