Gnô / Cannibal Tango
Cannibal Tango Spielzeit: 49:32
Medium: CD
Label: Sensory/Laser's Edge, 2011
Stil: Rock


Review vom 14.07.2011


Boris Theobald
Nein, nein, das hier ist definitiv nichts für Vegetarier! Auf den Fotos im Innern des Papp-Covers sind die drei Franzosen von Gnô in weißen Metzgerkitteln zu sehen. Eigentlich sehen sie auch schon so ziemlich knorke aus - nur einer der drei Herren hat Haare auf dem Kopf, und die sind rot und wuschelig. Aber hier haben sie auch noch Hackebeilchen, Schlachtmesser und Knochensäge in der einen Hand, und die andere noch frei, um ein leichtes Mädchen im blauen Tanzkleid bei anrüchigen Verrenkungen auf den Kacheln zu stützen. Dabei haben sie herrliche Massaker-Mienen aufgesetzt. Menschen-Medaillons und Tangotanzen ... passt ja erstmal nicht sooo recht zusammen. Aber bei Gnô lautet das Motto: Was nicht passt, wird passend gemacht!
Denn auch stilistisch packt der durchgeknallte Dreier deutlich mehr Gepäck zusammen, als für eine knapp 50-minütige musikalische Reise eigentlich angesagt ist. Aber Gnô müssen trotzdem kein Übergepäck zahlen. Denn wie das hier zusammenpasst, das ist schon sagenhaft. Sie rocken sehr gewaltig drauf los; aber irgendein Teil des Songs, sei es nun Strophe, Bridge oder Chorus, ist immer so was von melodisch und atmosphärisch und butterzart ... Naja und dann gibt's noch die Passagen, wo man geneigt ist, den Doktor mit der Zwangsjacke zu rufen, um den Jungs die ein oder andere Schraube zu justieren - im positivsten Sinne! Die haben hörbar Spaß an dem, was sie fabrizieren, sind sehr durchgeknallt und haben verdammt noch mal das Talent, sich das leisten zu können.
Nun ein Ausflug in den Detail-Mikrokosmos! Funkige Gitarrensounds und slappende Bass-Seiten ("Here I Stand") sind ebenso im Repertoire wie Punk-rockige Attitüden ("Get Out Of My Way"). Da kann wie bei "In My Place" das Intro thrashig auf die Kacke hauen, die folgende Strophe easy-peasy-poppig klingen und der Chorus dann einen astreinen Groove-Rocker à la King's X offenbaren. An die erinnern auch "Hate Incarnate" und "Father's & Sons". Das liegt einerseits daran, dass bei Gnô alle drei als Lead-Sänger auftreten; und einer der Kollegen hat einiges von Doug Pinnick. Andererseits ist es natürlich dem Wahnsinns-Groove geschuldet, den sie machen, alle Achtung!
Nicht nur das - in den Solo-Parts haut's einem mitunter die Krone aus dem Backenzahn, vor allem beim Können Christophe Godins an der Gitarre, der mit unglaublichen Frickelattacken überzeugt. Die sind so abgefahren, dass man bisweilen Zappa'eske Züge erkennt. Bei manchen Stücken nimmt der Spaß kaum ein Ende - "Russian Girls", so was könnte auch Jeff Waters in einem Rutsch mit Sachen wie "Kraf Dinner" und "Brain Dance" geschrieben haben. Und krass ist, dass das technische Level bei Gnô dem bei 'Anal-Inhalator' in kaum etwas nachsteht. Noch ein Beispiel dafür: "Fever (The Battle Rages On)" hat was von Extreme: Ein bisschen Funk, ein bisschen Fusion und lupenreiner Hard Rock, bei dem die Rhythmussektion ein groovend-wechselhaftes Allerlei serviert und die Gitarre mal eben so Gesangs-begleitend ständig ganz heiß die Skalen rauf- und runtersaust.
Ja, Gnô sind auch eine Band für Instrumentalisten! Bei manchem Solo, auch gern mal gedoppelt, spitzt auch der Satriani-Fan die Öhrchen. "Cannibal Tango" ist von vorn bis hinten voll von Hinhörern, vom megaspannenden Druckkörper "The Keeper" (bisserl was von Pearl Jam) über den meisterlich aufgebauten Oriental-Rocker "Inner Feelings" (irgendwas zwischen The Tea Party und Robert Plant) bis hin zu Tracks wie dem 'funky atmosphärisch Alternative Hard Rock balladesk super heavy Indie Prog-rockenden' Opener "Here I Stand" - das perfekte Beispiel für die erfrischende Undefinierbarkeit der Band. Manchmal klingen sie, als hätten sie sich nicht entscheiden können, und das ist verdammt gut so!
Nicht mal eine definitive Entscheidung pro Klamauk ist ersichtlich - es gibt auch einige nachdenkliche, sogar sehr persönlich anmutende Texte! Am meisten hängen bleiben natürlich trotzdem die nicht so ernsten. Das schafft schon das Cover mit einer zum Menschenfressermonster mutierten blauen ... Dose (?) mit Zahnstocher-Zähnen und bedrohlichen Esswerkzeug-Extremitäten. Und der Hidden-Track mit köstlichen A-Capella-Variationen von "Fever (The Battle Rages On)", bei denen man sich echt in die Ecke schmeißen möchte! Und natürlich der punkig Rock'n'Roll-lastige Titeltrack, der musikalisch zum Anarcho-Tanz einlädt und inhaltlich offenbart, ...
»You scratch me, I bite you
It's a cannibal tango
Crush my balls, I splash your nose
Like in a cannibal tango«
... dass es doch mal wieder nur um das eine geht!
"Cannibal Tango" - ein geiles Stück Frankreich! Quel surprise ... mit ganz viel 'Gnô-how'!
Line-up:
Christophe Godin (guitars, lead and backing vocals)
Julien 'Peter Puke' Rousset (drums & persuccion, lead and backing vocals)
Gaby Vegh (bass guitar, lead and backing vocals, tablas - #3)
Tracklist
01:Here I Stand (4:11)
02:In My Place (3:32)
03:The Keeper (5:32)
04:Cannibal Tango (3:27)
05:Fever (The Battle Rages On) [4:48]
06:Hate Incarnate (2:58)
07:Get Out Of My Way (4:38)
08:Russian Girls (3:32)
09:Demon Disco (4:04)
10:Be My Pride (4:29)
11:Fathers & Sons (5:01)
12:Inner Feelings (Silence) [18:54]
Externe Links: