Gorefest / Soul Survivor
Soul Survivor Spielzeit: 77:21
Medium: CD
Label: Nuclear Blast, 1996 (2005)
Stil: Death'n'Roll


Review vom 03.12.2008


Moritz Alves
Die Niederländer von Gorefest galten Anfang der Neunziger als todesmetallische Bastion unseres Nachbarlandes, die neben Bands wie Pestilence und Asphyx die Speerspitze des Holland-Death Metal bildete. Während Asphyx ihrem kompromisslosen Death/Doom-Sound treu blieben, wandten sich Pestilence und Gorefest zusehends genrefremden Klängen zu. Pestilence fröhnten auf ihrem Album "Spheres" (1993) mehr und mehr jazzig-spacigen Klangmustern, während im Falle Gorefest die musikalische Vorliebe von Gitarrist Boudewijn Bonebakker stärker in den Sound einfloss.
So ist es zu erklären, dass dem rumpligen Old School-Geholze, wie es auf den Frühwerken "Mindloss" (Debütalbum von 1991) und "False" (Klassiker von 1992) zu hören ist, nach und nach deutlich mehr Hard- und Blues Rock-Einflüsse der Siebziger folgen sollten. Die 1996er Scheibe "Soul Survivor" zeigt in dieser Hinsicht die weitaus stärkste Ausprägung: Der Spirit der Anfangstage war angesichts klassisch-melodischer, bluesskalierter Gitarrensoli sowie Mellotron-, Hammondorgel- und Piano-Einlagen fast ausschließlich im blutrünstigen Bandnamen (Gorefest bedeutet so viel wie 'Blutorgie') zu erkennen.
Textlich gesehen hatte man sich allerdings bereits auf "False" und "Erase" (1994) von der stumpfen Metzelthematik abgewandt. Seither waren sozialkritische, linkspolitisch eingefärbte Lyrics, später (wie im Falle "Soul Survivor") auch mehr und mehr persönliche Themen das Markenzeichen von Gorefest.
Nach dem in Kritikerkreisen hoch angesehenen Album "Erase" änderte sich die stilistische Ausrichtung Gorefests und sollte erst mit dem 2005er Comeback "La Muerte" (sowie dem letzten Studioalbum "Rise To Ruin" (2007)) in alte Bahnen zurückfinden. Dominierten zuvor abgrundtiefe Growls und puristischer Death Metal die Szenerie, fanden die klassischen Rockklänge auf "Soul Survivor" ihre stärkste Ausprägung, so dass man plötzlich nicht mehr von reinem Todesmetall sprechen konnte, sondern den stilistischen Bastard Death'n'Roll als Schublade heranziehen musste, um die Musik Gorefests treffend zu umschreiben.
'Death' und 'Roll' sind auf "Soul Survivor" gleichermaßen vertreten. Den charakteristischen, gutturalen und basslastigen Stimmlauten von Frontmann Jan-Chris de Koeijer, der für dieses Album übrigens erstmals richtige Gesangslinien ausarbeitete, stehen rhythmisch-akzentuierte, tiefer gelegte Gitarrenwände zur Seite und formen ein ausdrucksstarkes Fundament, auf dem sich die bereits angesprochenen, rockigen Leadgitarren passend entfalten. Darüber hinaus wird Raum geschaffen für die genrefremde Instrumentierung, bestehend aus Mellotron, Piano und Orgel, die, immer treffend eingesetzt, wichtige Akzente und Nuancen im Sound setzt. Schlagwerker Ed Warby (der übrigens auch schon als Studiomusiker für Ayreon tätig war) arbeitet seine hochklassigen Rhythmen in dieses Soundgewand bestens ein. Dieser Mann gilt bis heute nicht von ungefähr als einer der versiertesten Metal-Drummer, dessen Spiel immer wieder aufs Neue zu begeistern weiß.
"Soul Survivor" ist rückblickend wohl das in Fankreisen am wenigsten anerkannte Gorefest-Album: Viele alte Anhänger wurden damals vom radikalen Stilbruch der Holländer überrascht. Dennoch stellt diese Scheibe die vielseitigste dar, die vom Quartett je aufgenommen worden ist. Wer Gorefest bisher noch nicht kennt, kann sich somit anhand von "Soul Survivor" gut an die Band herantasten, um später auch die deutlich extremeren Platten wie "False" oder "Rise To Ruin" rotieren zu lassen. Und wer eine bitterböse, harte Auflockerung für seine Siebziger-Rocksammlung benötigt, der ist mit "Soul Survivor" bestens bedient - denn niemals klangen die Niederländer ausgereifter als hier, niemals war das Songwriting durchdachter und facettenreicher als auf diesem am besten klingenden Gorefest-Werk.
"Soul Survivor" besticht durch großartige Songs, die eine melodieorientierte, spontane Grundstimmung transportieren. Das saustarke Eröffnungstrio "Freedom" (eine der besten Gorefest-Nummern überhaupt), "Forty Shades" und "River" leuchtet die stilistische Bandbreite des Albums bestens aus: Hier wird mit atmosphärischen Slide-Gitarren sowie großartigen, teils hochmelodischen Gitarrensoli und Orgelpassagen geglänzt, die sich auf schleppend-zähen, mächtigen Grooves inklusive Rhythmusvariationen austoben. Die teils sehr langen Jamrock-Passagen drücken dem Liedgut einen unverkennbaren Siebziger-Stempel auf.
Aber auch die folgenden Songs haben es in sich: Das treibende "Electric Poet" und der unglaubliche Titeltrack stechen genauso hervor wie das punkig-rockige, flotte "Dog Day", das im Refrain sehr melodische "Chameleon" und das doomige, leicht orientalisch angehauchte "Dragon Man". Dieses Material macht "Soul Survivor" zu etwas ganz Besonderem, einem einzigartigen Meilenstein im Bereich des harten Metals. Gorefest haben sich mit diesem Werk ein Denkmal gesetzt, dessen Brillanz lediglich durch das wahrlich einfallslose, unterirdische Coverartwork leicht getrübt wird. Musikalischer Anspruch und instrumentales Können haben hier eine echte Hammerscheibe geformt!
Anmerkung: Der 2005er Re-Release kommt mit reichlich Bonusmaterial daher. So sind sowohl die zwei saustarken Single-B-Seiten zu "Freedom" enthalten (darunter die Orchesterversion von "Goddess In Black") als auch die Demoaufnahmen vom Sommer 1995 (darunter das nicht auf dem Album enthaltene "Frozen"), anhand derer sich das Songmaterial in seiner ursprünglichen, teils instrumentalen Form erfahren und der Entstehungsprozess somit gut nachvollziehen lässt.
Anmerkung 2: Nach dem 1998er Album "Chapter 13" trennten sich Gorefest aufgrund interner Spannungen vorerst, formierten sich sieben Jahre später zu "La Muerte" neu, nur um sich 2009, zwei Jahre nach ihrem siebten und letzten Studioalbum "Rise To Ruin" erneut aufzulösen.
Line-up:
Jan-Chris de Koeijer (bass, vocals)
Frank Harthoorn (guitars)
Boudewijn Bonebakker (guitars)
Ed Warby (drums)

René Merkelbach (mellotron, Hammond organ, piano)
Tracklist
01:Freedom (4:32)
02:Forty Shades (4:17)
03:River (4:36)
04:Electric Poet (4:21)
05:Soul Survivor (4:31)
06:Blood Is Thick (3:43)
07:Dog Day (2:54)
08:Demon Seed (3:48)
09:Chameleon (2:47)
10:Dragon Man (6:38)
11:Tired Moon (B-Side) [Bonus Track] (4:26)
12:Goddess In Black (B-Side) [Bonus Track] (6:44)
13:Soul Survivor (Demo) [Bonus Track] (4:38)
14:Electric Poet (Demo) [Bonus Track] (4:17)
15:River (Demo) [Bonus Track] (4:23)
16:Frozen (Demo) [Bonus Track] (3:35)
17:Chameleon (Instrumental Demo) [Bonus Track] (2:44)
18:Freedom (Instrumental Demo) [Bonus Track] (4:27)
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