Gov't Mule / Guitar Solo - Drum Solo
aus der CD The Deepest End
The Deepest End Spielzeit: 10:13 (lt. Booklet), 8:15 (tatsächlich) Medium: CD/DVD
Label: Evangeline, 2003
Stil: Jam'n'Blues

Review vom 10.03.2011


Jürgen Hauß
Kürzlich bin ich beim Verfassen eines Reviews über das aktuelle Album der Todd Wolfe Band auf die Bluesrocker von Gov't Mule aufmerksam gemacht worden, da deren Musik Vorbild für die zu besprechende Scheibe sein sollte. Zugegeben: Den - für mich lange unaussprechlichen - Namen Gov't Mule hatte ich zuvor schon zur Kenntnis genommen, deren Musik aber bislang nicht.
Jetzt wird es möglicherweise einige geben, die sagen: »Macht nix!« Denen kann ich - aus heutiger Sicht - sagen: »Macht wohl was!« Andere werden hingegen sagen: »Nicht einmal die Band kennt der, der hat ja überhaupt keine Ahnung!« Denen muss ich - ebenfalls aus heutiger Sicht - entgegen halten: »Man kann ja nicht alles kennen, die Band aber sollte man schon drauf haben.«
Aber: Wer kann ernsthaft etwas dagegen haben, wenn man zwar spät - aber sicherlich nicht zu spät - Kenntnis bekommt von einer Band, die - knapp ausgedrückt - einfach genial ist!
Und so habe ich mich über Hörbeispiele im Internet sowie diesbezügliche Artikel - na wo schon: auf RockTimes.de - der Band genähert und war sofort begeistert! Insbesondere der Beitrag von Ulli über The Deepest End und die dazu passenden Anspielschnipsel im Internet machten mir eins klar: Dieses Album - immerhin bereits 2003 erschienen - musste ich haben! Und so stand ich am nächsten Morgen (Samstag) pünktlich zur Öffnung des Plattenladens meines Vertrauens - Mr. Music in Bonn - vor dessen Tür, um meinen jahrelangen Entzug zu befriedigen. Nicht nur, dass ich das Album dort vorfand, es wurde auch zu einem absolut genialen Preis angeboten angesichts der Tatsache, dass es sich um eine prall gefüllte Doppel-CD mit beiliegender DVD des Konzerts handelt.
Über das gesamte Album möchte ich überhaupt kein Wort mehr verlieren, sondern auf die diesbezügliche, bereits angesprochene Besprechung verweisen. Was mich bereits beim Lesen des Booklets während des Probehörens der Scheibe im Laden und mehr noch beim häuslichen Betrachten der DVD derart faszinierte, dass ich mich genötigt sah, den vorliegenden Beitrag zu verfassen, war ein Track, der schlicht als "Guitar Solo - Drum Solo" angekündigt war, und der leider - zugleich auch verständlicherweise - nur auf der DVD zu bewundern ist.
Der Titel sagt bereits, was man zu sehen und zu hören bekommt; das alleine ist sicherlich allgemein und insbesondere auch für Gov't Mule nichts Ungewöhnliches, wird doch in etlichen Reviews auf die Spielfreudigkeit der einzelnen Musiker - und insbesondere des Drummers Matt Abts - hingewiesen. Nur beispielhaft will ich aus dem Konzertbericht von Olaf 'Olli' Oetken zitieren, wonach Matt Abts »neben John Hiseman von Colosseum der einzig aktive Drummer ist, der ungestraft ein mehrminütiges Drumsolo hinlegen darf, wo es keiner wagt, sich n' Bier zu holen oder auf Toilette zu gehen, denn hier könnte mensch wirklich verdammt viel verpassen.« .
Das - jedenfalls aus meiner unbedarften Sicht - Ungewöhnliche an dem vorliegenden "Guitar Solo - Drum Solo" ist allerdings, dass es - so das Booklet, doch die DVD bestätigt diese Aussage - »total ungeplant« war. Warren Haynes erläutert dies damit, dass ihm - als eigentlich "Sweet Leaf" an der Reihe war - klar wurde, dass er den Text vergessen hatte. So beauftragte er seine Crew, den Text irgendwo im Internet ausfindig zu machen, was allerdings länger dauerte als gedacht. Die Zeit bis dahin versuchte er durch ein ausgiebiges, improvisiertes "Gitarren-Intro" zu überbrücken. Als er dieses abschließen wollte, jedoch immer noch kein Text verfügbar war, rief er seinem Drummer zu: »Spiel!« Auf die Gegenfrage »Was denn?« erteilte er nur die Antwort »Irgend etwas; wir hängen fest!« Mit merkwürdigem Blick begann Matt Abts daraufhin ein mehrminütiges Solo, bis der Songtext von "Sweet Leaf" endlich verfügbar war und die Band - übergangslos - auf diesen Titel einschwenkte.
Das ist jetzt mit nüchternen Worten erzählt, was einem die DVD eindrucksvoll präsentiert; ohne die Erläuterung im Booklet wäre allerdings die Besonderheit dieses 'ungeplanten' Solos überhaupt nicht aufgefallen. Zunächst einmal - wahrscheinlich ein Opfer der Schnitttechnik - bekommt man die Anweisungen von Haynes an seine Crew nicht mit, und möglicherweise war auch dem Gast-Bassisten - Jason Newsted - in diesem Moment überhaupt nicht klar, was da gerade abläuft, denn die Bilder zeigen ihn in einer Art Trance-Zustand, auf seinen Einsatz wartend. Haynes aber zieht eine Tonfolge nach der anderen ab, mal rockig, mal jeden einzelnen Ton geradezu zelebrierend, alle Effekte aus seiner Gitarre und den pre-amps herausholend. Es ist schon beeindruckend, was er mit seinen - zugegeben: sehr despektierlich beschrieben - 'Wurstfingern' zu Wege bringt; Schnelligkeit und Präzision setzen also nicht unbedingt Schlankheit voraus! Doch nach etwa dreieinhalb Minuten - der Songtext ist immer noch nicht beschafft - dämmert es Haynes, dass das Publikum mehr erwartet, und es kommt zum oben beschriebenen Wortwechsel.
Matt Abts übernimmt. Zunächst nur durch ein ständiges Schlagen der Becken, während Haynes noch eine 'Improvisation über einen Ton' über eine längere Zeit betreibt, bearbeitet er anschließend sein gesamtes Schlagwerk, wobei er nunmehr völlig auf sich allein gestellt ist, und beendet dies nach knapp zwei Minuten stehend hinter seinen Drumkit. Sein - sehnsüchtiger? - Blick auf Haynes scheint ihm jedoch die Antwort einzubringen: »Spiel weiter!«
Was folgt, ist offenbar (siehe nur den Konzertbericht von Steve Braun) Routine: Ein insgesamt dreigeteiltes Drum-Solo (wenn auch nicht - da ja improvisiert - mit unterschiedlichen Schlagwerkzeugen bzw. Instrumenten), dennoch aber vielfältig in den angewandten Techniken und den erzeugten Klangteppichen! Dieses filigrane Bearbeiten - sowohl mit Händen als auch mit Füßen - der unterschiedlichen Gerätschaften: einfach überwältigend. Und schließlich besagt ein Blickwechsel zwischen Haynes und Abts dem Letztgenannten offenbar, dass nun endlich alles bereit ist, und quasi übergangslos - begleitet von einem gequälten (erleichterten?) Lächeln des Drummers setzen die drei Musiker an, um nun schließlich "Sweet Leaf" - den Black Sabbath-Klassiker von deren '71er Album "Master Of Reality" - zu intonieren.
Fürwahr: Hätte es den Begleittext im Booklet des Albums nicht gegeben, das beschriebene Malheur wäre mir - wahrscheinlich aber auch vielen Anderen - nicht aufgefallen. Vor diesem Hintergrund aber ist "Guitar Solo - Drum Solo" für mich als Beweis dafür umso mehr von Bedeutung, dass hier geniale Musiker zusammenspielen, die auch das beschriebene Malheur nicht aus der Ruhe bringt, sondern zu einem grandiosen Auftritt 'zwingt'. Das Ganze dauert zwar mit einer Spielzeit von etwa 8:10 Minuten zwei Minuten weniger als im Booklet angegeben, das schmälert aber keineswegs die Leistung der beiden Solisten.
Zum Schluss möchte ich auch eine negative Kritik nicht unerwähnt lassen, die ich entdeckt habe: Auf amazon.de hat ein User, der die beiden CDs des Albums hervorragend findet, die DVD abgewertet und zu dem vorliegenden Track nur ausgeführt: »unerträgliches Gitarren- bzw.Schlagzeugintermezzo, so unnötig wie ein Kropf!« Junge, Du tust mir Leid. Du hast offenbar keine Ahnung, was es für einen Musiker auf der Bühne eines Konzerts bedeutet, inhaltlich 'zu hängen'. Was Warren Haynes und Matt Abts - deren solistische Fähigkeiten ansonsten durchweg als genial beschrieben werden - aus dieser Situation heraus vorliegend leisten, ist - ich wiederhole mich nur zu gerne - einfach grandios!
Und schließlich: Wie schrieb Ulli im Hinblick auf den damals offenbar schon günstigen Preis des Albums: »Liebe Eltern, kauft den Kids lieber (anstelle einer wohl vergleichbar teuren Bravo-Hits-CD; ergibt sich aus dem Kontext) Gov't Mule, Eure Nachbarn werden es Euch danken«. Ich habe "The Deepest End" so günstig erstanden, dass ich mir mittlerweile auch noch The Deep End, Vol 1 & 2 (+ einer weiteren CD "Hidden Treasures") vergleichbar günstig gekauft habe; ebenfalls ein Projekt der beiden Protagonisten mit einer Vielzahl der unterschiedlichsten Bassisten. Insgesamt fünf CDs plus einer Wahnsinns-DVD von Gov't Mule zum Preis eines Bravo-Hits-Albums, das ist nicht nur quantitativ ein absolut überzeugendes Geschäft!
Line-up:
Warren Haynes (guitar, vocals)
Matt Abts (drums)
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