Das Montreux Jazz Festival steht für höchste Qualität, nicht nur was die Auswahl der Bands angeht. Dieses Event, das vor gefühlten hundert Jahren am Genfer See vom Musikliebhaber Claude Nobs ins Leben gerufen wurde und sich damals wirklich nur auf Jazzmusik beschränkte, hat sich im Laufe der Jahrzehnte zu einer der größten Veranstaltungen der internationalen Musikszene entwickelt. Kaum ein namhafter Künstler hegt nicht den Wunsch, dort zu spielen und denen das Glück hold ist, die dürfen sich mit ihrem Aufritt ein Denkmal setzen. Bands wie Deep Purple oder Santana konnten sich bereits mehrfach dort präsentieren. Was sie dabei an Musik und Ausstrahlung zeigten, hat unter Anderem dafür gesorgt, dass dieses Event an Popularität kaum noch zu überbieten ist.
Der Andrang der Künstler und Bands ist jedes Jahr gewaltig und die Auswahl fällt sehr schwer. Der Urvater des Festivals, Claude Nobs, hat allerdings stets ein glückliches Händchen bewiesen. Seine perfekte Arbeit und akribische Genauigkeit hat der Musikwelt die DVD-Reihe "Live At Montreux" beschert. Viele der Künstler sind in dieser Reihe auf die Silberscheibe gebannt worden. Inzwischen bemüht sich die Firma Eagle Vision darum, dass auch die Konzerte aus den Anfangsjahren digitalisiert werden und somit in bester Qualität der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können.
Noch nie kam es dabei vor, dass sich ein deutschsprachiger Künstler in Montreux profilieren konnte. So war es für unseren Vorzeigebarden Herbert Grönemeyer eine besondere Ehre, in diesem Jahr dorthin eingeladen worden zu sein. Zudem ist sein Konzertmitschnitt die DVD, die am schnellsten nach deren Aufnahme auf den Markt gelangt ist. Gerade rechtzeitig, um im Weihnachtsgeschäft das verauslagte Geld für die Produktion wieder einzuspielen.
Wie man es von den Montreux-DVDs gewohnt ist, ist die Qualität nicht zu überbieten. Eine saubere Kameraführung besticht ebenso, wie die gut ausgeleuchteten Musiker, die durch lange Einstellungen hervorragend beobachtet werden können. Keine schnellen Bildwechsel, die einen wirr im Kopf machen, wenn man sich mal auf einen Solopart konzentrieren möchte. Die Kamera ist immer genau dort, wo sie der Zuschauer haben möchte. Ebenso üblich ist es, dass von der Musik nicht durch Spezialeffekte abgelenkt wird. Die Bühne ist im Hintergrund mit einem dunklen Vorhang ausgestattet, der lediglich das Montreux-Logo zeigt. Keine Nebelschwaden, die die Bühne verhüllen, oder Lichtersalven, die dem Zuschauer in die Augen strahlen. Hier stehen nur die Künstler mit ihrer Musik im Vordergrund.
Herbert Grönemeyer beginnt sein Programm mit einem langen Intro, bei dem sich seine vielen Begleitmusiker in Ruhe an ihre Plätze begeben können. Sein Opener ist der Titelsong der letzten CD "Schiffsverkehr", für meine Begriffe das einzige gute Stück auf des eher mäßigen Albums. Seit er sich vor einigen Jahren mit "Mensch" allen Kummer von der Seele gesungen hat, werde ich das Gefühl nicht los, das sich Herbert sehr verändert hat. Natürlich hinterlässt der Tod gleich zweier lieber Menschen innerhalb weniger Tage tiefe Spuren in einem und er hat auch lange gebraucht, um darüber hinwegzukommen. Aber ist er das wirklich? Er trägt noch immer schwarz, wie auf der DVD zu sehen ist. Seine Konzerte sind ruhiger geworden. Er ist nicht mehr so oft im öffentlichen Leben zu sehen. Er hat noch nicht losgelassen.
Beobachtet man ihn auf der DVD genau, so sieht man ihn, besonders bei den ruhigen Stücken, sehr nachdenklich. Wenn seine Helfer das Klavier in die Mitte der Bühne schieben, weiß man sofort, es ist gleich wieder soweit; es wird melancholisch. Heute versteht man "Flugzeuge im Bauch" anders, als noch vor vielen Jahren. Sind diese Phasen des Nachdenkens allerdings vorüber, so besinnt sich Grönemeyer wieder auf seine Qualitäten als Unterhalter. Die Klassiker, die ihn berühmt gemacht haben, wie "Bochum", "Männer" oder "Alkohol" werden in das Programm eingestreut. Anstatt damit bis zum Schluss zu warten, baut sich Herbert damit selbst wieder auf und schafft es auch, dass der Funke beim anscheinend überwiegend französischsprachigen Publikum überspringt. Um das Ganze noch ein wenig aufzulockern bemüht er sich sogar, einige Ansagen in dieser Sprache zu machen.
Irgendwie müssen die Montreux-Konzerte bei den Musikern besondere Kräfte freisetzen. Wer bereits einige DVDs dieser Reihe sein Eigen nennt, dem wird bestimmt aufgefallen sein, dass sich die Künstler besonders ins Zeug legen. Viele wachsen dabei weit über sich hinaus und bereits Totgeglaubte erwachen zu neuem Leben. So ein Gefühl habe ich auch hier, als ich am Ende der DVD angekommen bin. Ich habe die "Schiffsverkehr"-Tour, bei der Herbert auch in Berlin gastierte, vor meinem geistigen Auge. Als er im Olympiastadion gespielt hat, war diese besondere Ausstrahlung, die er früher immer vermittelt hat, nicht da. Auf der DVD aus Montreux ist das völlig anders. Bis auf seine ruhigen Einlagen ist er wieder voll in Form und es macht Spaß, ihn zu beobachten.
Das Konzert bietet einen guten Querschnitt der gesamten Schaffenszeit von Herbert Grönemeyer. Inklusive dem Intro bringt er es auf dreißig Songs in zweieinhalb Stunden. Empfehlenswert ist der Genuss dabei über Dolby Sourround. Man hört die Gitarren dort, wo man sie auf dem Bildschirm sieht, und auch die Musiker, die gerade nicht im Bild sind, können exakt ihren Positionen auf der Bühne zugeordnet werden.
Dass man sich dieses Werk zulegen sollte, steht außer Frage. Es gibt kaum einen besseren Live-Mitschnitt von ihm und seiner Band.
Wie auch auf vielen anderen "Live At Montreux"-DVDs, gibt es keine Extras. Also kein Bonusmaterial, keine Interviews oder Fotos. Dem Zuschauer wird das reine Gefühl vermittelt bei diesem Konzert dabei zu sein. Wer allerdings einmal in den Geschmack dieser hervorragenden Qualität gekommen ist, der kann danach süchtig werden, und somit wächst die Reihe in meiner Sammlung auch stetig.
Line-up:
Herbert Grönemeyer (vocals, guitars, keyboards)
Norbert Hamm (guitars)
Jakob Hansonis (bass)
Alfred Kritzer (keyboards)
Stephan Zobeley (guitars)
Frank Kirchner (saxophone)
Mark Kofi Essien (percussion)
Rainer Schaithauer (keyboards)
Armin Rühl (drums)
Celina Bostic (backing vocals)
Pit Hupperten (backing vocals)
Anette Steinkamp (backing vocals)
| Tracklist |
01:Intro
02:Schiffsverkehr
03:Kreuz meinen Weg
04:Musik nur wenn sie laut ist
05:Halt mich
06:Bochum
07:Stück vom Himmel
08:Zu dir
09:Männer
10:Was soll das
11:Der Weg
12:Kopf hoch, tanzen
13:Wäre ich einfach nur feige
14:Alkohol
15:Mensch
16:Bleibt alles anders
17:Liebe liegt nicht
18:Land unter
19:Demo (letzter Tag)
20:Zeit, dass sich was dreht
21:Erzähl mir von Morgen
22:Flugzeuge im Bauch
23:Glück
24:November
25:Mambo
26:Unterwegs
27:Vollmond
28:Ich will mehr
29:Zum Meer
30:Abendlied (Der Mond ist aufgegangen)
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