Peter Gabriel / Back To Front - Live In London
Back To Front - Live In London Spielzeit: 142:00
Medium: DVD
Technik: PAL
Bildformat: 16:9
Tonformate: Dolby Digital Stereo/Dolby Digital 5.1/DTS
Untertitel: Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch, Italienisch, Portugiesisch
Label: Realworld/Eagle Vision, 2014
Stil: Prog Rock

Review vom 14.07.2014


Sabine Feickert
Es war eine ganz schön harte Nuss für mich, diese DVD zu besprechen, denn sie lässt mich reichlich zwiespältig zurück. "Back To Front" ist der Konzertfilm zu Peter Gabriels Tour zum 25-jährigen Jubiläum seines legendären Albums "So". Mir liegt die normale Ausgabe auf DVD vor, die neben dem eigentlichen Konzert (genaugenommen wurden die beiden Londoner Konzerte im Oktober 2013 dafür zusammengeschnitten), noch ein etwa sechsminütiges Interview mit Gabriel und Rob Sinclair aufweist. Darin wird das Konzept der Tour und die visuelle Umsetzung erläutert. Das Konzert besteht im Grunde aus drei Teilen: einem akustischen, der das Entstehen der Songs symbolisiert, einem elektronischen und dem So-Teil, der das Album in voller Länge beinhaltet.
Während der akustische Teil sich in (annähernd) Tageslicht präsentiert, überwiegt im elektronischen schwarz-weiß, teils auch mit stroboskopartigen und verfremdeten Effekten. Der "So"-Teil gestaltet sich farbenprächtig mit ziemlich aufwändiger Videotechnik, bei der unter anderem eine X-Box-Kamera zum Einsatz kommt, die die live aufgenommenen Bilder in Gitternetzlinien oder Punktmuster umsetzt und auf die Leinwände projiziert. Auch die Schwenkarme mit den Scheinwerfern kommen wieder zum Einsatz.
Das Konzert eröffnet mit der neuen Nummer "Daddy Long Legs", die mich allerdings in weiten Teilen an "Here Comes The Flood" und in kürzeren an "Father, Son" denken lässt, zumindest was die vermittelte Stimmung angeht. Gabriel am Flügel, ganz sparsame akustische Unterstützung durch die Band, schön gemacht, wenn auch irgendwie nicht wirklich neu. Als ganz alte Bekannte treten dann "Talk To Me" (ohne Telefonzelle!) sowie ein leicht angejazztes "Shock The Monkey" im akustischen Gewand auf. Beim 'Affen' hab ich zum ersten (und nicht letzten) Mal auf dieser DVD das Gefühl, dass dieser tausendmal gehörte Song durch die Interpretation an Dichte und Intensität gewonnen hat. Besonders Keyboarder David Sancious, der hier jedoch wie David Rhodes auch, zur akustischen Gitarre greift, verleiht dem Lied ein ganz besonderes Flair. Beim "Family Snapshot" empfinde ich das nicht durchgängig so – sehr intensive Momente wechseln mit welchen, die mich nicht ganz so überzeugen. Beeindruckend umgesetzt ist aber der Übergang zum zweiten Teil der Show, zumindest was die visuelle Komponente angeht: der eruptive Wechsel vom hellen, weichen, warmen Licht zur Dunkelheit mit den bläulichen schneidenden Spots. Apropos visuell – nicht nur hier, sondern durchgehend überzeugt die gelungene Kamera- und Schnittführung. Details von der Bühne, Vogelperspektive, Videosequenzen, Blicke ins Publikum – und das alles in einer flotten aber nicht hektischen Abfolge. Verantwortlich dafür zeichnet Hamish Hamilton, der auch schon bei "Growing Up Live" und "Still Growing Up - Live And Unwrapped" Regie führte.
Und wenn wir schon bei bewährter Zusammenarbeit sind – Gabriel hat es für diese Tour geschafft, die Band wiederzuvereinigen, die "So" eingespielt hatte. Neben den oben schon erwähnten Sancious und Rhodes sind auch Manu Katché und Tony Levin wieder dabei.
"Digging In The Dirt" ist die erste Nummer, die vollständig im 'Electronic-Look' daherkommt. Mit ihren verzerrten Gitarren, Beats und Stroboskopen sowie grob gerasterten schwarz-weißen Videosequenzen verbreitet sie eine kalte, verstörende Atmosphäre, die durch kurze Passagen mit warmem Licht und ganz weichem Gesang als Kontrast ergänzt wird. Imposant - und doch hadere ich so ein bisschen mit der Interpretation. Zu kalt und technisch wirkt sie auf mich. Kann natürlich gut sein, dass das nur mein Empfinden ist - ich habe diesen Song stets als organisch, erdig und warm empfunden. Bei "The Family And The Fishing Net" dagegen bin ich hin und weg. Schon immer hat mich dieses mystische Werk fasziniert; diese Umsetzung beschert mir Gänsehaut ohne Ende.
"Solsbury Hill" und die Welt ist wieder in Ordnung – könnte man meinen. Die fröhlich leichten Keys feuern die Begeisterung im Publikum an, fast könnte man meinen (ohne was unterstellen zu wollen), dass sich dieses selbst feiert und inszeniert. Ganz ketzerisch und subjektiv drängen sich mir Gedanken auf, ob denn ein Star seine ganz großen Hits wirklich noch spielen mag. Und ob diese ekstatischen Ausbrüche im Publikum wirklich viel mit dem zu tun haben, was da auf der Bühne aufgeführt wird oder ob da nicht ein gutes Stück Selbstdarstellung im Spiel ist. Geht es da wirklich noch um die Musiker da oben und ihre Musik oder sind die womöglich nur der Vorwand, um sich und der Umwelt zu beweisen, was für ein großer Fan man doch ist? Ketzerisch... und ich hör jetzt auch auf, denn was jetzt kommt, begeistert mich wieder. "Show Yourself", ein neuer Song, den Gabriel ansagt mit den Worten »...a song about sex, drugs and god«. Durch Cello und die Backgroundsängerinnen zwar stellenweise für meinen Geschmack fast etwas zu süßlich, aber in der Grundlage ein sehr schönes und berührendes Lied. Eines mit Tiefe und Reife, das bei "So" anknüpft und doch auch Eigenständigkeit mitbringt. Eines, das erneut ketzerische Gedanken weckt, denn schließlich ist es schon etliche Jahre her, dass Peter Gabriel ein Album mit ausschließlich eigenem, neuen Material rausgebracht hat. Dabei müsste er doch – so zumindest mein Gefühl – viel zu erzählen haben. Warum also die immer wieder anderen Interpretationen des zweifellos genialen alten Materials? Wenn ich "Show Yourself" oder auch "Father, Son" (auf "Ovo") höre, hab ich so eine leise Hoffnung, dass dieser Ausnahmemusiker sich womöglich doch nochmal zu einem neuen Album überwindet, möglichst bevor "Us" 25 wird.
"Red Rain" eröffnet den dritten Teil der Show und die Farben halten Einzug und begleiten die Songs der "So". Gespielt werden sie übrigens in der Reihenfolge der 2002 remasterten CD und nicht der ursprünglichen Vinylfassung von 1986. Auch hier wieder sehr gemischte Eindrücke. "Red Rain" kommt opulent rüber, während sich bei "Sledgehammer" die ketzerischen Gedanken zu "Solsbury Hill" erneut regen, ja sogar so weit gehen, laut nachzudenken, ob sich Gabriel mit seiner Bühnenshow hier wirklich noch einen Gefallen tut...
Das Duett "Don't Give Up" kommt für mich nicht an das mit Paula Cole ran, aber gut, Geschmacksache, viele mögen ja auch lieber die Version mit Kate Bush. Und ich kann mir nicht helfen, "That Voice Again" klingt für mich zu schnell und irgendwie einfach 'falsch'. "Mercy Street" versöhnt dann wieder durch Intensität. "Biko" wirkt noch immer sehr berührend und authentisch und ist damit für mich in dieser Hinsicht die Ausnahme, was das alte Material angeht.
Ich fühle mich auf dieser DVD immer wieder hin- und hergerissen. Faszination und Begeisterung dafür, welche Facetten Gabriel und seine Musiker den vertrauten Songs entlocken einerseits. Andererseits aber immer wieder so ein Unbehagen; das Gefühl einer einzigen großen Inszenierung beizuwohnen. Und nur selten den Eindruck, dass da etwas über den Bildschirm flackert, was das Attribut 'authentisch' (noch) verdient.
Line-up:
Manu Katché (drums)
Tony Levin (bass)
David Rhodes (guitar, backing vocals)
David Sancious (keyboards)
Peter Gabriel (vocals and keyboards)
Jennie Abrahamson, Linnea Olsson (backing vocals)

Special Guest:
Daby Touré
Tracklist
01:Daddy Long Legs
02:Come Talk To Me
03:Shock The Monkey
04:Family Snapshot
05:Digging In The Dirt
06:Secret World
07:Family And The Fishing Net
08:No Self Control
09:Solsbury Hill
10:Show Yourself
11:Red Rain
12:Sledgehammer
13:Don't Give Up
14:That Voice Again
15:Mercy Street
16:Big Time
17:We Do What We're Told (Milgram's 37)
18:This Is The Picture (Excellent Birds)
19:In Your Eyes
20:The Tower That Ate People
21:Biko

Bonusmaterial:
Interview with Rob Sinclair
Externe Links: