Uri Gincel Trio / Free
Free Spielzeit: 58:32
Medium: CD
Label: Unit Records, 2013
Stil: Jazz

Review vom 06.10.2013


Wolfgang Giese
"Free" - ein kurzer Titel, der viele Assoziationen zulässt. So äußert sich der Pianist und Namensgeber des Trios, Uri Gincel, persönlich im Booklet zum Begriff der 'Freiheit' und führt unter anderem aus: »We free ourselves from each others limitations, by choosing to be free as a decisive force rather than escaping our intimate burdens and fears. In that sense, we enjoy throwing musical pieces we like or compose onto the triangle formed between us.« Sogar Friedrich Nietzsche wird mit seiner Auslegung des Freiheitsbegriffes zitiert: »Denn was ist Freiheit? Dass man den Willen zur Selbstverantwortlichkeit hat. Dass man die Distanz, die uns abtrennt, festhält. Dass man gegen Mühsal, Härte, Entbehrung, selbst gegen das Leben gleichgültiger wird.«
Nun bin ich gespannt, wie sich diese Thesen auf die Musik auswirken werden. Wie wird 'Freiheit' musikalisch umgesetzt? Ist es so, wie der Klavierkollege Cecil Taylor seinen Begriff von Freiheit definiert hat, als ich live erleben konnte, wie er das Piano mit Handkantenschlägen traktierte? Oder werden solche Gefühle einer verkopften Perspektive Platz machen? Auffällig ist, dass bezüglich der Songauswahl Standards wie "If I Were A Bell", das Miles Davis einst in einer herrlichen Interpretation vorlegte, oder zwei Titel von John Coltrane gewählt wurden, solche, die aus seiner Zeit des Aufbruchs zur Freiheit, des Free Jazz, stammen.
Zum scheinbar hinterher holpernden Schlagzeug kommt Gincel nach dem kurzen Eröffnungsthema gleich zur Sache. Virtuos ist er, der Uri, und beweist das im schnellen als auch im langsamen Teil des Eröffnungstitels. Das zweite Stück wirkt zunächst schwer und getragen, wie von einer tiefen Traurigkeit geprägten Stimmung, an 'schwere' E-Musik erinnernd, bevor es auch swingend abhebt und der Trübsal entweicht. Der erste Song von Trane ist sehr elegant interpretiert, melodiebetont, mit dem Akzent auf der linken Hand, auch in Richtung Oscar Peterson - Jazz zwischen der Tradition der Fünfziger und dem Aufbruch der Sechziger. "July", die Bearbeitung von Debussy, entfernt sich vom Jazz, zumindest im anfänglichen Solovortrag, bis die anderen beiden dazustoßen und die Atmosphäre swingend auflösen. "Tomer" ist romantisch verspielt und bei "India" finden wir einen sehr perkussiven Einstieg. Das Thema, bei dem sich bereits Roger McGuinn für "Eight Miles High" bediente, wird hier mit dezent rockendem Unterton reduziert, dabei cool vorgetragen, etwa in Richtung Horace Silver.
Und nun die gemeinsame Komposition - das Titelstück... wird man sich nun von allen Strukturen lösen? Der Titel hat kein Thema, strömt mehr in freiem Fluss, ist freier als die übrigen Stücke und Gincel steht einmal kurz vor dem Ausbruch, kann sich aber noch zügeln. Es folgt zum Schluss eine Folkmelodie, die sogar fernöstliche Elemente beinhaltet - ein wirklich schönes Stück.
Bis auf "Free" ist mein Begriff von Freiheit im Jazz nicht vollständig erfüllt, was aber nicht ausschließt, dass ich die Musik nicht positiv empfinde. So kann ich sehr viel Melodik, Melancholie und Gefühl entdecken, Elemente, die mich der Musik nah sein lassen. Also keine verkopfte Freiheit, sondern offensichtlich jene, wie sie eingangs erwähnt wurde, im Zusammenspiel des Dreiecks verschiedener Charaktere - Musiker, die aus Israel, Dänemark und Deutschland stammen. Sehr gelungen!
Line-up:
Uri Gincel (piano)
Andreas Lang (double bass)
Moritz Baumgärtner (drums)
Tracklist
01:If I Were A Bell [Loesser] (12:31)
02:Parpar [Ganor] (7:17)
03:Syeeda's Song Flute [Coltrane] (6:54)
04:July [Debussy, Gincel] (6:35)
05:Tomer [Gincel] (6:24)
06:India [Coltrane] (6:18)
07:Free [Gincel, Lang, Baumgärtner] (5:15)
08:Avre Tu Puerta Cerrada [Jewish Ladino Folk, arr. Alex Roth] (7:18)
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