The Hatters
The Madcap Adventures Of The Avocado Overlord
The Madcap Adventures Of The Avocado Overlord Spielzeit: 60:38
Medium: CD
Label: Atlantic Records, 1994
Stil: Jam Rock


Review vom 11.09.2013


Steve Braun
Es gibt Bands, die ihrer Zeit einfach voraus waren - und damit die Arschkarte der Geschichte gezogen hatten. Die Screamin' Cheetah Wheelies waren so eine Truppe - die Buffalo Brothers und Laidlaw ebenfalls. Einfach zu früh drangewesen, um mit den Möglichkeiten der Internetvermarktung zu einer riesigen Karriere durchzustarten... Es erging ihnen nicht anders, als der überaus talentierten Combo, die hier vorzustellen ist: Von ignoranten Vertretern der verfilzten Musikindustrie verheizt, zu Kompromissen genötigt und letztlich sang- und klanglos in Abfalleimern der Plattenfirmen entsorgt - shame on you, suckers!!!
The Hatters waren Anfang der Neunziger eine riesige Hoffnung für die Jam-Gemeinde. Vielleicht sogar DIE Antwort auf die ABB, die seinerzeit - recht leidlich in Form - wieder in Erscheinung trat. Eine große Zukunft hätte vor ihnen liegen können, wenn... ja, wenn nicht bereits drei Alben später Atlantic Records jäh das Interesse verloren hätte. Schade, dass man die Jungs nicht mehr fragen kann, aber der Frust und vielleicht auch Verbitterung scheint gewaltig gewesen zu sein. An einem größeren Nachfolgeprojekt war jedenfalls keiner der Fünf mehr beteiligt. Als Studiomusiker, Komponisten und Toningenieure agieren sie seither weitgehend im Hintergrund. Einzig Bassist Jon Kaplan ist als Comicautor und Komponist von Filmmusiken (darunter einige Hollywood-Blockbuster) einer gewissen Öffentlichkeit bekannt geworden.
Die Hatters entstammten DEM musikalischen Schmelztiegel der US schlechthin. Nirgendwo als in New York City gibt es eine weltoffenere und gleichzeitig derart breit inspirierte Musikwelt. Alles scheint hier möglich...
Ausgerechnet mit einem Live-Album, "Live Thunderchicken", betraten die Jungs, die sich zuvor The Mad Hatters nannten, 1993 die Bühne der Musikhistorie. Mit abgedrehten Jam-Orgien à la "Feelgoodious Kind" und "Eaagh, The Jester Cried" zeigten die Hatters gleich, wo man den Hammer auch hinhängen kann. Einzig zwei der Stücke ("Sip Of Your Wine" und "When I Write My Last Song") wurden übrigens später auf dem ersten Studioalbum veröffentlicht - es handelt sich also um ein absolut 'vollwertiges' Tondokument.
Diese Studio-Scheibe kam dann ein Jahr später raus und bereits der völlig durchgeknallte Titel
"The Madcap Adventures Of The Avocado Overlord" charakterisierte die jugendliche Truppe treffend. Das waren flippige Freaks, denen nichts 'heilig' war, die rotzfrech und ohne Rücksicht auf Verluste drauflos komponierten. Was für ein 'Hirnfick' sie zu diesem Titel inspirierte, muss leider - wie so vieles - im Halbdunkel der Musikhistorie verborgen bleiben.
Die Haupteinflüsse der Hatters - vor allem die bereits genannten Allman Brothers, aber auch Traffic - sind offensichtlich. Am meisten wohl bei "Empty Handed", nur dass Adam Hirsh als Sänger locker den Allman und den Betts an die Wand nagelt. Wow, was hat dieser Mann für ein Organ!!
Die Qualität einer Jam-Band kann allerdings niemals - wie oft im Rockzirkus - einzig an den Fähigkeiten des Sängers festgemacht werden. Eine Jam-Band ist nur dann gut, wenn ALLE Beteiligten über eine außergewöhnliche Musikalität verfügen. Genau dies ist bei den Hatters der Fall gewesen. Billy Jay Stein und Adam Evans fallen als große Hammond- bzw. Gitarren-Zampani auf, Jon Kaplan durch mal kernige, mal saftige Bassfiguren und Tommy Kaelin durch facettenreiches Schlagwerk.
Eröffnet wird "The Madcap Adventures Of The Avocado Overlord" durch das beherzt und glutvoll an den Hörnern packende "Sacrifice". "Bring That Wagon Round" wirkt dagegen federleicht und verspielt - ein wahrhaftiger Jam. Das leicht funkige "Dig The Ribbit" hat was von 'nem fuddelig-abgedrehten Kokstrip. Das erste Highlight bildet der kolossale Monster-Jam "Madness Of The Green". Dieser Gigant glänzt vor allem durch erneut an die (frühe) ABB erinnernden Double Leads und Steins mächtig gewebte Hammond-Teppiche...
Das irrwitzig-treibende "Found With Your Drawers Down" hätte heute bei wirklich jedem Bonnaroo-Jünger einen Stein im Brett, zumal die solch funkigen Attacken traditionell sehr aufgeschlossen gegenüberstehen. Dass die Hatters auch (und gerade) Balladen draufhaben, beweisen die Jungs mit "I Could Be The One" eindrücklich. Die zwischenspielartige Kurznummer "For Tomorrow" leitet auf "Bad Side", einem monströsen Ungetier, über, das sich langsam, unwiderstehlich alles verschlingend aufbaut. Das folgende, bereits angesprochene "Empty Hand" passt danach wie die Faust aufs Auge.
Danach kommt die kleine 'Ruhepause' in der Einleitung zu "You Ain't Comin' Home" gerade recht, doch bereits nach gut einer Minute wird schon wieder gewaltig am Schwungrad gedreht. Die stille, leicht 'folkig' interpretierte Pianoballade "The Last Walt" ist mit Sicherheit einer der anrührendsten Songs, die die Hatters hinterlassen haben!
Die beiden von der "Thunderchicken" bekannten Nummern, "Sip Of Your Wine" und "When I Write My Last Song", bilden den Abschluss von "Madcap Adventures...". Erstere, ein richtiger Power-Jam, wird von John Poppers unvergleichlicher Harp veredelt - letztere ist eine weitere Pianoballade mit extrem viel Soul. Ein schöner Ausstieg aus dieser Scheibe, die fraglos das Zeug zu einem Klassiker gehabt hätte...
Aber daraus wurde bekanntlich nix!! Wären die Hatters zehn Jahre später in Erscheinung getreten, hätte das eine ganz heiße Kiste werden können. Eine Band für das Bonnaroo-Festival, die locker solchen Acts wie Jupiter Coyote oder Widespread Panic hätte Paroli bieten können. Bei soviel Konjunktiv wird mir ganz wehmütig ums Herz...
Bleibt mir nur, "The Madcap Adventures Of The Avocado Overlord" den RockTimes-Ehrentitel 'Vergessene Perle' zu verleihen und dieses Album in den Kultstatus zu erheben! Und die ehrenvolle Übergabe von 10 von 10 RockTimes-Edeltickern, denn besser kann Jam Rock wohl kaum zelebriert werden.
Line-up:
Adam Hirsh (lead vocals, guitars)
Billy Jay Stein (Hammond, pianos, vocals)
Adam Evans (guitars, vocals)
Jon Kaplan (bass)
Tommy Kaelin (drums)

Additional Musicians:
John Popper (harp, vocals)
Peter Lewit (percussion)
Tracklist
01:Sacrifice (3:55)
02:Bring That Wagon Round (4:53)
03:Dig The Ribbit (3:43)
04:Madness Of The Green (6:50)
05:Found With Your Drawers Down (4:01)
06:I Could Be The One (5:56)
07:For Tomorrow (2:46)
08:Bad Side (5:12)
09:Empty Handed (5:25)
10:You Ain't Comin' Home (5:33)
11The Last Walt (5:48)
12:Sip Of Your Wine (4:53)
13:When I Write My Last Song (5:03)
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