Janus-Experiment / Michelangelo 2012
Michelangelo 2012 Spielzeit: 61:28
Medium: CD
Label: Eigenproduktion, 2012
Stil: Metal Musical

Review vom 03.10.2012


Boris Theobald
Hierzulande haben wir ja mal 'die Sprache der Dichter und Denker' gesprochen. Und heute klingt es komisch, wenn mal eine Metal-Platte auf Deutsch rauskommt? Viele dürften so empfinden. Für mich allerdings ist es irgendwie erfrischend, mich mit diesem Konzeptwerk von Janus-Experiment zu beschäftigen. "Michelangelo 2012" heißt das Ergebnis jahrelanger Projektarbeit und vertont das Leben des legendären italienischen Genies. Wobei diese musikalische Biografie in der Stunde seines Todes beginnt. Michelangelo lässt sein Leben vor dem inneren Auge Revue passieren. Es geht um den Konflikt mit seinem Vater um seinen Wunsch nach einer künstlerischen Ausbildung, um sein exzentrisches Wesen, um die Überzeugung, dass fleischliches Verlangen der Kraft des Geistes unterlegen sei (muss man jetzt nicht verstehen) und um das spannungserfüllte Arbeitsverhältnis mit der Kirche.
"Michelangelo 2012" ist am Ehesten als Metal-Musical zu bezeichnen. Sechs Gesangs- und eine Erzählstimme kümmern sich um die Texte, während die dazugehörige Kapelle einen wuchtigen und äußerst melodischen Power Metal hervorbringt, der vor Hymnen und Hooklines nur so strotzt. Freunde von Avantasia, Blind Guardian oder Savatage werden unaufhörlich mit Leckerlis gefüttert. Kontrolliert-bombastische Orchesterklänge und zahlreiche epische und lyrische Breaks sorgen für eine gewisse 'Größe', ohne dass man das Projekt soundtechnisch über Gebühr aufgebläht hätte. Viele Stücke starten mit Piano-Strophen, was natürlich einen gewissen Kitsch-Faktor unterstützt. Den 'erträgt' man aber ganz gern; schließlich ist man in Rock-Oper-Stimmung. Andy Kuntz' Abydos lässt hier und da grüßen - zumal auch ein paar Portionen Prog vorkommen.
Die Verarbeitung des Rohmaterials geschieht routiniert. Mini-Epen wie "Am Ende der Zeit", "Du bist" oder "In nomine patris" überzeugen durch kraftvoll pushende Metal-Drives, für die oft die zweite Bass-Drum ausgepackt wird. Mal rau und kantig, mal hochmelodisch - das hält sich gut die Waage. Hinzu kommen straighte Up-Tempo-Brecher wie "Wahrer Gott" und nachwirkende Powerballaden wie "Refectio". Die Gesangsarrangements sind sehr gefällig, von der strengen Rollenverteilung zu Beginn bis hin zu manch edlen, mehrstimmigen Momenten, wenn zunehmend auf die dramatische Tube gedrückt wird. Einzig die stimmlichen Verschachtelungen in "Nur ein Bild" können mich nicht überzeugen. Ausgerechnet das, was als zweigeschlechtlicher Höhepunkt (nein, nicht das...) mit Michelangelo und der Magd Anna angelegt ist, wirkt zuweilen etwas überladen und schräg - etwas zu viel gewollt!
Dafür ist das folgende triumphal-bombastische "Vollendung" ein echtes Highlight. Wie hier der Spannungsbogen zwischen besonders aggressivem Riffing und Shouting auf der einen und einem butterweichen, getragenen Chorus auf der anderen Seite gespannt ist, das ist schon richtig klasse. Auch die großflächig angelegten, instrumentalen Spielereien mit starker Prog-Neigung machen Lust und Laune. Die Janus-Crew zeigt aber nicht nur hier, was sie technisch auf dem Kasten hat. Besonders hörenswert ist beispielsweise auch der non-verbale Anteil von "Du bist", wo sich Gitarre und Keyboard ein paar hübsch-verfrickelte, teils neoklassisch angehauchte Duelle liefern.
Was man nun bitteschön ganz und gar nicht erwarten darf, sind Innovationsdrang und Experimentierfreude. "Michelangelo 2012" ist ein absolut solides Konzeptalbum, auf dem Fast-Allein-Songschreiber Heiko Mürkens sich gekonnt aller möglichen Zutaten aus dem opulenten Power Metal- sowie dem einfühlsamen Musical-Bereich bedient hat. Die Welt verändern wird es nicht - würde es auch nicht in englischer Sprache, dazu fehlt auch im Gesangsbereich hier und da der ganz und gar umwerfende Input. Aber - und was heißt hier eigentlich 'aber'?! - beste Unterhaltung für Geschichts- und Geschichten-süchtige Metal-Dramatiker ist das hier zweifelsohne!
Stimmen:
Torsten Borrmann - Michelangelo Buonarroti
Heiko Ludwig - Lodovico Buonarroti
Sascha Staib - Domenico Ghilandaio
Joscha Golzari - Papst Julius II
Sabrina Schunck - die Magd Anna
Marion Klötsch - Michelangelos Mutter Francesca di Neri
Gerhard Fehn - Sprecher

Line-up:
Heiko Mürkens (Keyboards, Orchestrierung, Programming)
Robert Moosdorf (Gitarren)
Markus Bothe (Bass)
Frank Kelder (zusätzliche Drums)
Jan David Engel (Akustikgitarre)
Tracklist
01:Am Ende der Zeit (8:05)
02:Nichts: Ouvertüre (2:31)
03:Nichts: Du bist (11:19)
04:Wahrer Gott (4:39)
05:In nomine patris (8:13)
06:Ganz mein (5:11)
07:Nur ein Bild (7:20)
08:Vollendung (8:40)
09:Refectio (4:50)
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