Kansas / Original Album Classics
Original Album Classics Spielzeit: 54:48 (CD 1), 52:01 (CD 2), 48:33 (CD 3), 55:23 (CD 4), 54:37 (CD 5)
Medium: CD-Box
Label: Epic/ Sony Music, 2009 (1974-1977)
Stil: Symphonic Rock


Review vom 12.12.2009

Boris Theobald
Es war einmal ein Musikproduzent namens Wally Gold, seines Zeichens Vizechef des Plattenlabels Don Kirshner Music. Dieser Wally Gold bekam von seinem Chef Don Kirshner ein Demo-Tape in die Hand gedrückt von einer Band aus Topeka/ Kansas namens White Clover. Der gute Don, der als 'Entdecker' der Monkees schon einen gewissen Ruf innehatte, war hin und weg und schickte seinen Mitarbeiter aufs Land. Wally Gold sollte einen Bericht aus erster Hand abliefern und bat die Band, ein Konzert auf die Beine zu stellen. Er kam, sah und signte - die Darbietung der Band überzeugte ihn sofort... die Weichen waren gestellt für eine der einflussreichsten Rockbands aller Zeiten, gerade was die 'symphonischen' Elemente, das 'progressive' Songwriting angeht.
Endlich ein Plattenvertrag! Jahre lang spielten sich die talentierten und ambitionierten Musiker, alle Anfang 20, die Finger blutig, um groß rauszukommen. Sie spielten in wechselnden Line-ups in verschiedenen Bands mit verschiedenen Namen. Einer der Namen war Kansas - für den entschieden sie sich schließlich, als der Deal in trockenen Tüchern war. Sänger Steve Walsh, Drummer Phil Ehart, Basser Dave Hope, Gitarrist Rich Williams und Violinist Robby Steinhardt... Einer fehlte noch: Kerry Livgren stieß zur Band - jener Gitarrist, der schon 1970 mit Ehart und Hope die erste Band namens Kansas gegründet hatte. Livgren war also auf dem berüchtigten Demo-Tape gar nicht zu hören - und dennoch war gerade er es, der diesen Haufen junger Musiker später zu Weltruhm bringen sollte...
Das vorliegende Box-Set fasst die ersten fünf Kansas-Alben zusammen: eine stabiler Schuber mit fünf schlichten, flachen Papphüllen. Keine Booklets also, dafür aber auch zum Sparpreis - laut Promoter. Alle fünf CDs beinhalten Bonus-Tracks. Für Fans bieten sie nichts Neues - es sind die exakt gleichen Editionen wie bei den einzelnen Neuveröffentlichungen der Alben, die Sony 2001 bis 2004 rausgebracht hatte. Wem Kansas allerdings noch fehlt im Plattenregal, der bekommt hier die ersten Jahre und damit zugleich die zeitlose Quintessenz der Band im Paket. Doch wer hat bloß die CD-Cover samt Tracklists in durcheinandergewirbelter Reihenfolge (1 - 2 - 5 - 4 - 3) auf die Box drucken lassen? Egal - wir gehen lieber chronologisch vor:
Kansas (1974)
KansasIn einer Zeit, zu der man als innovative Rockband die Menschen noch wirklich von den Sitzen reißen konnte, verschmolzen diese Musiker Hard Rock, Rock, Blues Rock, Country-Einflüsse und epischen Art Rock zu etwas wirklich Neuartigem. Das Debütalbum von Kansas hatte etwas, was in der britisch hochdominierten Welt des Progressive Rock fehlte - es rockte! Und dann diese außergewöhnliche Konstellation: 2 Gitarristen, 2 Keyboarder, 2 Sänger, ein Geiger und eine technische Klasse, mit der man vor allem aktive Musiker ins Staunen versetzen konnte...
Von Beginn an wird deutlich, dass die Band Kansas zweigleisig fährt. Auf der einen Seite stehen kompakte Rocksongs, auf der anderen Seite vertrackte Kompositionen mit langer Spielzeit und vielen Rhythmuswechseln. Symbolisch für die beiden Seiten der Band stehen die beiden Haupt-Songwriter: Kerry Livgren für den epischen Progressive Rock, Steve Walsh für den Hard Rock.
Letzterer ist es, welcher der Band ihren Plattenvertrag eingebracht hat, mit dem Song "Can I Tell You" - eine Art Country Hard Blues Rock. Kompakt und eingängig, aber dennoch technisch hochklassig, so präsentiert sich der Opener dieses Albums, der schon mit wilden Gitarren-, Orgel- und Fiddel-Einlagen zeigt, zu was diese Jungs im Stande sind. Unnachahmlich auch die Stimme von Lead Sänger Steve Walsh, die einem durch Mark und Bein geht - einer der besten aller Zeiten im ganzen Rock-Geschäft, und ganz 'nebenher' auch noch ein begnadeter Keyboarder.
Auf der anderen Seite stehen Stücke wie das epische "Death Of Mother Nature Suite", ganz klar von Livgrens Handschrift. Oder das nicht so lange, aber technisch hervorragende und außergewöhnlich komponierte "Belexes". Oder "Journey From Mariabronn", bei dessen langen Instrumental-Exerzizien heute noch dem gewieftesten Prog Metaller ganz heiß und kalt werden dürfte. Dieser Song ist übrigens ein Beispiel für eine Songwriter-Kooperation zwischen den beiden kreativen Polen der Band... es sind manchmal wundervolle Ausnahmen, die die Regeln bestätigen...
Dieses Album kann auch eine echte Rarität in der Band-Diskografie aufbieten - einen Coversong! Wie so viele andere Künstler auch haben Kansas J.J. Cale gecovert. Allerdings: Claptons "After Midnight" wurde zum Hit, Kansas' Version von "Bringing It Back", gesungen übrigens von Robby Steinhardt, eben nicht.
Die Plattenfirma hatte (fast) alles, was sie wollte, nur so ein echter Hit, der fehlte eben noch... Der Bonustrack ist für Fans allerdings durchaus Hit-verdächtig: "Bringing It Back" live von 1975, mit einem langen Jam, fast zehn Minuten lang!
Song For America (1975)
Song For AmericaDas zweite Album der Band entstand sozusagen im Tourbus. Kansas spielten fast jeden Tag ein Konzert, dienten als Opener für so ziemlich alles, was im Rock-Zirkus Rang und Namen hatte. Es ist fast ein Wunder, wie ein deratig gutes Werk so 'nebenher' entstehen konnte - aber das haben gerade früher ja viele Bands irgendwie geschafft.
Der Opener "Down The Road" zeigt die Band wieder mal von ihrer straighten Seite - der Song klingt so authentisch, so launig, als ob sie gerade mitten in Kansas in einer Scheune bei einer Bauern-Hochzeit auftreten würden! "The Devil Game" ist auch so ein kompaktes Stück purer Party-Tauglichkeit - und "Lonely Street" Blues Rock pur.
Doch die 'langen Dinger' auf "Song For America" machen das Album dennoch zu einem der 'progressivsten' der Bandgeschichte. Das herrlich durchstrukturierte "Lamplight Symphony" beweist, dass es nun wirklich keine Refrains zum Glücklichsein braucht. "Incomudro - Hymn To The Atman" ist gar ein hochexperimenteller Geheimtipp, den außer schweren Insidern keiner kennt - aber der Titeltrack, der gehört zum Feinsten überhaupt. Der sowohl von Walsh als auch von Steinhardt gesungene, epische Liebesbeweis ans Heimatland ist bis heute die Hymne der Band schlechthin und steht mit seiner ausgedehnten Instrumentalreise für vieles, was heute im Prog Metal/ Prog Rock gang und gäbe ist.
Als Bonus: "Down The Road" live von 1975 und ein - mit Verlaub - grottiger Remix von "Song For America": drei Minuten statt derer zehn, damit's auch was für die Radiostationen hergab.
Aber: Die ersehnte Hitsingle blieb abermals aus...
Masque (1975)
Masque... was die Band beim folgenden Album so allmählich unter Druck setzte. "Masque" - das war das dritte Album in anderthalb Jahren! Wie soll man dieses Album beurteilen... als eine Art kreativen Stillstand, ein Auf-der-Stelle-Treten auf hohem Niveau? Es würde dem Album nicht gerecht. Denn es beinhaltet mit "The Pinnacle" einen der schönsten Longtracks der Bandgeschichte, laut Livgren selbst sogar jener epische Song, mit dem er selbst am Zufriedensten ist. 'The Pinnacle' - im wahrsten Sinne des Wortes, könnte man also sagen...
Mit der Flieger-Hymne "Icarus (Borne On Wings Of Steel)" hat "Masque" überdies einen echten Fan-Favoriten zu bieten. Und mit "Child Of Innocence" noch einen weiteren dieser Rocksongs der besonders verträumten Art, der nicht nur durch die Schwindel erregend hohen Backing Vocals verblüfft, sondern auch zusammen mit "Mysteries And Mayhem" den Doppelgesang Walsh/ Steinhardt weiter kultiviert.
Zu den Bonus-Tracks... Die Extra-Version von "Child Of Innocence" wurde im heimischen Proberaum in Topeka auf einer einfachen 2-Spur-Maschine aufgenommen, noch bevor es ins Studio ging. Miserabler Sound, aber das Flair lebendiger Rockgeschichte! Außerdem eine wunderbar energische Demo-Version von "It's You"!
"Masque" - insgesamt sträflich unterbewertet als 'ein Album dazwischen'...
... und was war mit dem anvisierten Chart-Hit? "It Takes A Woman's Love (To Make A Man)" war als solcher angedacht. Weil ein Chart-Sturm aber früher wie heute nicht planbar ist, hieß es mal wieder: Fehlanzeige!
Leftoverture (1976)
LeftovertureErst im Folgejahr gelang der kommerzielle Durchbruch, und der hat einen Namen: "Leftoverture"! Es gilt als 'Livgrens' Album - Steve Walsh machte eine kreative Blockade zu schaffen - und so hatte der 'Spezialist fürs Spezielle' überall seine Finger drin, hat das halbe Album gar komplett im Alleingang geschrieben. Unter Druck konnte er offenbar besonders gut - "Leftoverture" strotzt nur so vor kreativen Höhepunkten.
Egal in welcher Länge, ob das kurze, aber vertrackte "Opus Insert" oder das zauberhafte "Miracles Out Of Nowhere" mit seinen überirdischen Melodien - kein einziges Stück ist hier 'normal'. "Leftoverture" beinhaltet mit "The Wall" gar einen der schönsten Songs, die je unter dieser Sonne gespielt wurden. Das liegt nicht nur an den majestätischen Melodien, sondern auch an Steve Walsh, der sie interpretiert und sich wahrlich die Seele aus dem Leib singt. Die Perle "The Wall" treibt auch Kerry Livgrens Hang zu philosophischen Texten über Sein und Sinnsuche auf einen Höhepunkt. Hier kann man nur noch lauschen und staunen, nachdenken und mitfühlen.
Aber es ist nicht nur "The Wall", was dieses Album zum Opus Magnum der Band macht: Das tiefsinnige und mahnende Epos "Cheyenne Anthem", genau so mit wechselndem Leadgesang wie das spirituell angehauchte "Miracles Out Of Nowhere", das sich von einer Akustik-Ballade zu einer inbrünstigen, melodisch verzaubernden Kraft-Hymne steigert - oder die relativ kurzen "Opus Insert" oder "Questions Of My Childhood"... jeder Song ist etwas ganz Besonderes. Es gibt keinen Füller, nicht einmal einen 'normalen', durchschnittlichen Rocksong.
Wie war das noch mal mit dem 'Hit'? Am letzten Tag, bevor's ins Studio ging, kam Kerry Livgren noch spontan mit einem neuen Stück an, das er seinen Kollegen vorspielte. Sie hatten es dann gar nicht mehr geprobt, sondern einfach so ins Studio mitgenommen und eingespielt. Der Name: "Carry On Wayward Son". Der Song ging in die Weltliteratur der Rockmusik ein und bescherte Kansas massig Airplay. "Leftoverture" holte mehrfach Platin. Zu Recht.
Point Of Know Return (1977)
Point Of Know ReturnMit "Leftoverture" war die Band in höhere Sphären aufgestiegen - ein 'Point Of No Return', sozusagen. Der Druck war entsprechend gestiegen, aber (noch) konnten Kansas damit umgehen und knüpften fast nahtlos an den Vorgänger an. Stücke wie das cool und launig groovende "Portrait (He Knew)" und "Paradox" - kompakt, aber rhythmisch komplex und technisch einfach Sahne - sind absolute Langzeit-Fanfavoriten. Der Titeltrack ist ein Hard Rocker der edlen Sorte und eine würdige Nachfolge-Hymne zu "Carry On Wayward Son" samt annehmbarer Chart-Platzierung - einer der bekanntesten Kansas-Songs. "Closet Chronicles" ist wieder so ein vertrackter Longtrack, bei dem einem das Herz aufgeht. Und auch "Nobody's Home" ist so ein erhabener Seelenstreichler mit leicht kitschiger Bombast-Note - ganz große Emotion à la Kansas.
Und wie das mit den großen Hits und der Planbarkeit eben so ist - "Dust In The Wind", der erfolgreichste Kansas-Song aller Zeiten, der einzige in den Top 10, hatte Kerry Livgren ursprünglich als Fingerübung an der Akustikgitarre geschrieben. Seine Frau meinte, das gäbe auch einen hübschen Song ab - Legenden werden eben nicht am Reißbrett entworfen!
Bemerkenswert unter den Bonus-Tracks: ein wertvoller Remix von "Portrait (He Knew)". Producer Jeff Glixman erzählt in den Liner-Notes beim 2002er-Re-Release, dass er das Stück seinerzeit im Zeitdruck nicht zur 'Perfektion' bringen konnte - 25 Jahre mixte er diese Version, mit der er dann endlich zufrieden war. Das dürften die Fans auch sein!
"Point Of Know Return", das war noch Kansas auf dem Höhepunkt, doch zugleich auch eine Art Anfang vom Ende. Erfolg und Druck untergruben das menschliche Gefüge in der Band - es gab auch Spannungen, was die generelle Ausrichtung anging, vor allem zwischen Steve Walsh und Kerry Livgren. Zwei kreative Köpfe im selben Studio sind sich nun mal selten auf Dauer grün. Schon während der Sessions zu "Point Of Know Return" war Walsh vorübergehend sogar mal raus aus der Band.
1974 bis 1977 - diese wenigen Jahre und diese 5 Alben sind jene, die die Band unvergesslich gemacht haben. "Monolith" konnte an diese Phase 1979 schon nicht mehr ganz anknüpfen, obwohl es von seinen starken Vorgängern noch mit durch das Platin-Bad gezogen wurde. Als Songwriter gab es bereits nur noch entweder Livgren oder Walsh, nicht mehr beide in Teamwork. Alsbald begann sich auch das Personal-Karussell zu drehen...
Übrigens... als jener Wally Gold seinerzeit nach Topeka reiste, um diese vielversprechenden Musiker leibhaftig zu begutachten, da staunte er nicht nur über deren Fähigkeiten, sondern auch über das frenetische Publikum. Es stellte sich heraus, dass die Band im Vorfeld eifrig Werbung gemacht hatte: Freier Eintritt, und Freibier für alle! Ganz schöne Schlitzohren...
Line-up:
Phil Ehart (percussion)
Kerry Livgren (keyboard, guitar)
Robby Steinhardt (violin, vocals)
Dave Hope (bass)
Steve Walsh (vocals, keyboard)
Rich Williams (guitar)
Tracklist
CD 1: Kansas (1974)
01:Can I Tell You
02:Bringing It Back
03:Lonely Wind
04:Belexes
05:Journey From Mariabronn
06:The Pilgrimage
07:Apercu
08:Death Of Mother Nature Suite

Bonus Track:
09:Bringing It Back (Live)
CD 2: Song For America (1975)
01:Down The Road
02:Song For America
03:Lamplight Symphony
04:Lonely Street
05:The Devil Game
06:Incomudro - Hymn To The Atman

Bonus Tracks:
07:Song For America (Single Edit)
08:Down The Road (Live)
CD 3: Masque (1975)
01:It Takes A Woman's Love (To Make A Man)
02:Two Cents Worth
03:Icarus (Borne On Wings Of Steel)
04:All The World
05:Child Of Innocence
06:It's You
07:Mysteries And Mayhem
08:The Pinnacle

Bonus Track:
09:Child Of Innocence (Demo Version)
10:It's You (Demo Version)
CD 4: Leftoverture (1976)
01:Carry On Wayward Son
02:The Wall
03:What's On My Mind
04:Miracles Out Of Nowhere
05:Opus Insert
06:Questions Of My Childhood
07:Cheyenne Anthem
08:Magnum Opus:
  Father Padilla Meets The Perfect Gnat
  Howling At The Moon
  Man Overboard
  Industry On Parade
  Release The Beavers
  Gnat Attack

Bonus Track:
09:Carry On Wayward Son (Live)
10:Cheyenne Anthem (Live)
CD 5: Point Of Know Return (1977)
01:Point Of Know Return
02:Paradox
03:The Spider
04:Portrait (He Knew)
05:Closet Chronicles
06:Lightning's Hand
07:Dust In The Wind
08:Sparks Of The Tempest
09:Nobody's Home
10:Hopelessly Human

Bonus Track:
11:Sparks Of The Tempest (Live)
12:Portrait (He Knew) (Remix)
 
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