Wir sind eine deutsche Band mit deutschen Texten
und da gibt es nichts daran zu rütteln.
Karat
... noch dreißig Jahre Karat?
RockTimes im Gespräch mit Sänger Claudius Dreilich und Bassist Christian Liebig von der Ostrocklegende Karat

Fotos: ©Axel Clemens



Interview vom 08.05.2008


Ingolf Schmock
RockTimes: Gibt es für Euch noch das Publikum, welches Liedtexte auch weiterhin zwischen den Zeilen lesen bzw. zu hören vermag?
Claudius: Gibt es, dabei möchte ich doch unsere Stammfans ausklammern, die es immer vermochten, auch bei unseren neuen Titeln. Sicherlich gibt es auch bei der jüngeren Generation einige mit dieser Fähigkeit, letztendlich sind es da aber nicht so viele, wie wir es gerne hätten. Claudius Ich glaube es liegt wohl daran, dass sich der Anspruch in Deutschland mittlerweile etwas anders gestaltet, sich verlagert hat. Wir lassen uns deshalb davon nicht beirren und von unserem musikalischen Weg abbringen.
RockTimes: Claudius, nutzt du die Möglichkeit eigene Ideen, Einflüsse in die Band mit einzubringen, oder fühlst du dich dem Erbe deines Vaters verpflichtet?
Claudius: Verpflichtet fühle ich mich Keinem in dieser Form hier gegenüber, es war nach einem halben Jahr Bedenkzeit meine ganz persönliche Entscheidung, diese Aufgabe zu übernehmen. Wenn man überhaupt von Verpflichtung reden kann, die Stelle als Sänger anzutreten, dann nur bezüglich meiner Meinung, Karat und deren Musik, die ein wichtiges Kapitel ostdeutscher Rockgeschichte geschrieben haben, weiterleben zu lassen. Ich kopiere meinen Vater nicht bewusst, sondern interpretiere bzw. gestalte es völlig anders als er es getan hat und wie ich es eben empfinde. Es reicht auch nicht aus zu singen und präsent zu sein, sondern man darf die Arbeit hinter den Kulissen dabei nicht unterschätzen. Das heißt auch, erwartungsmässig neue Lieder zu schaffen und hart an sich zu arbeiten.
RockTimes: Wann reifte zum ersten Mal der Gedanke bei dir, sich dieser Verantwortung zu stellen, die Nachfolge als Karat-Sänger anzutreten? Wie lief das damals ab?
Claudius: Eines Tages rief mich die Band an, und unterbreitete mir den Vorschlag bzw.die Idee, meinen Vater, der zu diesem Zeitpunkt selber krankheitsbedingt nicht genug Kraft besaß um auf der Bühne zu stehen, eine unbestimmte Weile zu vertreten. Es stellte für mich eigentlich keine neue Situation dar, da ich schon einige Mal als Duettpartner mit meinen Vater aufgetreten war. Es mussten einige Dinge gesponnen bzw. überlegt werden, ich lebte zu diesem Zeitpunkt noch in Innsbruck und hatte einen gesicherten, lukrativen Arbeitsplatz als Projektleiter bei einem großen schwedischen Möbelkonzern, von dem ich dann ein halbes Jahr Auszeit zugesprochen bekam, um vorübergehend nach Berlin in die Wohnung von Christian zu ziehen. Wir beide haben dann auch einiges ausgetestet und mit der gesamten Band geprobt, bevor das entscheidende Gespräch mit meinem Vater stattfand. Bei diesem Anlass fragte er mich direkt, ob ich seine Stelle als Sänger ganz und gar einnehmen würde, weil es sonst jemand anders übernehmen müsste, um den Fortbestand von Karat zukünftig zu sichern, die doch mittlerweile ein ganzes Jahr nicht mehr aufgetreten waren. Es war keine einfache Situation für ihn, mir dieses Angebot - einen Job in der 'brotlosen Kunst', wie er es selbst gern bezeichnete - zu unterbreiten, anstatt meiner sicheren Stellung in Österreich nachzugehen. Ich war zum Zeitpunkt gerade fünfunddreißig, hatte sozusagen die Mitte meines Lebens erlangt, und handelte nun getreu dem Motto 'Wer nicht wagt - der nicht gewinnt', und willigte schließlich nach kurzer Überlegung ein. Auch nach anfänglichen Ängsten habe ich diese Entscheidung bis heute nicht bereut bzw. bin glücklich darüber.
RockTimes: Bereitet es dir große Mühe, ohne gewissen Leistungsdruck diesen Platz innerhalb von Karat würdig auszufüllen?
Christian Claudius: Ich empfinde dabei keinen Leistungsdruck, die Kollegen vergleichen mich auch nicht mit Herbert, das funktioniert nicht. Ich sehe vielleicht ein wenig aus wie er, klinge gesanglich ähnlich, aber ich ticke ganz anders. Mein Vater war ein sehr introvertierter Mensch, ich dagegen bin eher extrovertiert, also wie kalt und heiß.
Es gibt natürlich diesen Ansporn, weil Herbert Dreilich meiner Meinung nach einer der besten deutschsprachigen Sänger war, und dass ich diesem Anspruch auch genügen möchte - mit Unterstützung der gesamten Band - ist schon mein Wille. Deshalb proben wir auch sehr viel.
RockTimes: Haltet ihr es für möglich, euch irgendwann stilistisch und musikalisch von der manifestierten Linie der ursprünglichen Karat wegzubewegen?
Christian: Zumindest nicht in dem Umfang, wie du es ausformuliert hast, aber es sind durchaus musikalische Ausflüge in andere Stilrichtungen möglich, wird vielleicht auch passieren, aber im Grunde wollen Karat sich musikalisch schon treu bleiben. Wir müssen uns wohl eingestehen, dass wir eine Oldieband sind, Claudius ausgenommen. Unsere großen Erfolge liegen nun einmal in der Vergangenheit, verkörpern es bei unseren Tourneen aber weiterhin.
Claudius: Momentan gestalten sich diese Ideen in dieser Konstellation etwas einfacher, auch einmal mit gewagteren musikalischen Experimenten umzugehen, was mit meinem Vater schwieriger umsetzbar gewesen und vom Publikum auf Inakzeptanz gestoßen wäre.
Es existieren dafür auch schon gewisse Pläne, die aber noch nicht in trockenen Tüchern sind, deshalb möchte ich noch nicht konkret darüber reden. Wir nehmen das Ganze als Chance, auch mal etwas Neues auszuprobieren, werden aber den Grundstil von Karat nie verlassen. Ich verfüge vielleicht über den derzeitigen Bonus, mir auch einmal einen Ausrutscher erlauben zu dürfen, ohne gleich von den Fans zerrissen zu werden.
RockTimes: Inwiefern gibt es neues Songmaterial und sind neue Veröffentlichungen geplant?
Claudius Claudius: Wir haben vor, eine neue CD zu produzieren, ein paar neue Lieder spielen wir auch schon live bei den Konzerten, wie "Nie zu weit", eine Komposition von unseren Keyboarder Martin Becker, die auch schon als Single produziert und erschienen ist: Des Weiteren "Verloren", ein Liebeslied von mir, das aber noch nicht produziert wurde. Momentan sind wir gerade dabei, das gesamte Material zu sondieren und zu entwickeln, und hoffen, es in naher Zukunft vollenden zu können. Wir wollen aber diesmal keinen Termin benennen, bis das Ganze nicht nur halbgar sondern perfekt unter Dach und Fach ist.
RockTimes: Karat hat sich in der Vergangenheit auch vor umweltpolitischen und kritischen Songtexten, wie "Der Blaue Planet" nicht gescheut. Werdet ihr in der Zukunft solche Themen wieder verarbeiten und wie seht ihr persönlich einen Zusammenhang zwischen Politik und populärer Musik?
Christian: Das ist schwierig, mit populärer Musik kann man mit Sicherheit diese Welt nicht verändern, aber wir fühlen uns als Künstler auch irgendwie verpflichtet, solche Thematiken wieder aufzugreifen und zu verarbeiten. Es ist aber auch sehr schwierig, einen Text zu kreieren, der sich nicht krude bzw. verkorkst anhört, und hinter welchem wir auch persönlich voll und ganz stehen können.
Claudius: Wir haben uns in der Gestaltung unseres aktuellen Tourplakates wieder stark daran zurückorientiert, und das Motiv "Der Blaue Planet", zählt sicherlich in der Bandgeschichte zahlenmäßig zu den erfolgreichsten Veröffentlichungen überhaupt. Dieses Thema, so traurig es klingt, ist wieder genau so aktuell, wie es vor zwanzig Jahren war.
Christian: Ein Problem ist mit Sicherheit auch, thematisch an den "Blauen Planeten" anzuknüpfen, ohne sich dabei selbst zu kopieren und dessen Einzigartigkeit in Frage zu stellen.
RockTimes: Fühlt sich Karat als ostdeutsche oder als gesamtdeutsche Band?
Christian: Wir wollen schon als gesamtdeutsche Band gelten, anderseits wollen wir natürlich auch unsere Wurzeln nicht verleugnen. Es trägt auch immer etwas Abwertendes in sich, hängt eigentlich von der Betrachtungsweise ab, ob es ein Gutes oder ein schlechtes Markenzeichen ist. Wir möchten keines von beidem gebrauchen müssen. Wir sind eine deutsche Band mit deutschen Texten und da gibt es nichts daran zu rütteln.
Claudius: Ohne jetzt Kritik auszuüben - meine Meinung ist, solange wir solche Fragen gestellt bekommen, ist diese beschissene Mauer in unseren Köpfen immer noch gegenwärtig. Ich selbst bin 1986 schon ausgereist, bin eigentlich ein Wossi, ich habe Freunde im Westen, meine Familie und mein Ursprung liegt aber noch im Osten der Republik. Deswegen habe ich persönlich immer etwas Probleme mit dieser Thematik. Karat ist ein ostdeutsches Produkt mit Geschichte, welches mit der Zeit gewachsen ist, und dafür lohnt es sich schon mit Stolz zu kämpfen.
Christian Das diese Tatsache oftmals von westdeutschen Kollegen verschwiegen wird, stimmt mich manchmal schon etwas traurig.
RockTimes: Ihr seid zwischendurch auch mit der 'Ostrock in Klassik -Tournee' unterwegs. Könntet ihr euch vorstellen, eine eigene CD im Klassikgewand zu produzieren?
Claudius: Wir haben doch letztes Jahr erst die dazugehörige Projekt-CD/DVD mit den beteiligten Musikerkollegen nebst dem Filmorchester Babelsberg produziert. Jetzt noch eine Extraveröffentlichung mit unseren Liedern im Klassikgewand nachzuschieben, ergibt für uns keinen Sinn. Wir als selbstkritische Musiker und Konsumenten, finden diese Veröffentlichung wirklich mehr als gelungen. Wir verwenden unsere Kreativität und Kraft lieber für die neuen Kompositionen bzw. konzentrieren uns darauf. Langfristig gesehen ist es aber nicht gänzlich auszuschließen.
RockTimes: Eurer langjähriger Bandgefährte Ullrich Ed Swillms ist ja teilweise bei euren Auftritten wieder mit dabei. Was bedeutet Karat die Zusammenarbeit mit ihm und steht Ed auch wieder als Komponist zur Verfügung?
Claudius: Teilweise schon. Ed hat an den Proben schon rege teilgenommen, was für uns natürlich großartig ist, weil er einfach ein musikalisches Genie ist. Er besitzt einfach das Gespür und das ohne Notenblätter, und er hat deshalb unser momentanes Schaffen sehr belebt. Ed besitzt eine sehr entspannte Lebenseinstellung und sollte ohne Druck arbeiten dürfen, was wir ihm völlig einräumen. Sollte dabei etwas entstehen, fänden wir es großartig und würden es gegebenenfalls auch mit verwenden.
RockTimes: Seht ihr eine Gefahr, als Nostalgieband zu stagnieren, ohne euch weiter zu entwickeln?
Christian: Stagnieren werden wir mit Sicherheit nicht. Aber als Nostalgieband vermarktet zu werden, darauf haben wir leider keinen Einfluss. Dass viele Hörer, besonders im Osten, bei unserer Musik nostalgische Gefühle bekommen, liegt halt einfach in der Natur der Dinge. Wir bauen jetzt aber nicht darauf auf, dies zu vermitteln, sondern Musik zu machen, die den Leuten einfach gefällt.
RockTimes: Habt ihr jemals überlegt, einige Songs anstatt in Deutsch, für den internationalen Markt in Englisch zu produzieren?
Claudius Claudius: Es gab zu meines Vaters Zeiten schon diesbezüglich Pläne und fertig produzierte Songs, die aber immer wieder verworfen wurden. Selbst für "Der Blaue Planet" existierte ein englischsprachiger Text, der aber letztendlich von uns abgewählt wurde, weil es unserer ureigenen Symbiose zwischen Text und Melodie nicht entsprach. Sollte irgendwann eine internationale Nachfrage nach Karat bestehen, könnte ich mir ein solches Projekt mit völlig neuen Liedern durchaus vorstellen, es als Bonus mit anzubieten. Ich meine, viele mosern über Tokio Hotel, aber die Jungs absolvieren ausverkaufte Konzerttourneen durch die USA oder Frankreich und singen dabei in Deutsch, und keiner stört sich daran bzw. sie sind damit erfolgreich. Das zeigt uns, es geht auch anders, man muss es halt eben nur wollen.
RockTimes: Claudius, wann gab es eigentlich die Initialzündung für dich, Musik zu machen?
Claudius: Ich bin geboren, als mein Vater gerade mit Panta Rhei musizierte, eigentlich eine große Musikerkommune mit Veronika Fischer und vielen anderen, mit denen ich quasi aufgewachsen bin. Groß geworden bin ich dann aber mit Karat, insbesondere mit meinem Vater und Ed Swillms, die neben dem Konservatorium meine wichtigste musikalische Schule darstellten. Ich war dabei, als der "Albatros" entstand, als "König der Welt" auf Schallplatte - die erste Platte, die ich besaß - erschien. Ich kenne die Geschichte der Lieder und fühle mich daher so eng damit verbunden. Ich habe aber nie, wie es fälschlicherweise von einigen Medien behauptet wurde, mit einer anderen Band außer Karat auf einer Bühne gestanden und gesungen. Es würde gefühlsmäßig gar nicht funktionieren, denn nur die Musik von Karat entspricht für mich diesem Ideal.
RockTimes: Was hört ihr privat für Musik, und welche Konzerte würdet Ihr derzeit besuchen?
Karat mit Ingolf Christian: Ich lasse mich da nicht festlegen, meine persönliche Geschmacksbreite ist weit gestreut, höre was mir gefällt. Ganz aktuell werde ich mir bei Konzerten in Berlin Smashing Pumpkins und den australischen Gitarristen Tommy Emmanuel, ein Tipp von mir, ansehen.
Claudius: Ich werde auf jeden Fall ein Konzert der norwegischen Sängerin Maria Mena, mit der wir auch befreundet sind, besuchen. Betreffs aktueller Veröffentlichungen, finde ich derzeit Duffy sehr interessant, welche weitestgehend mit Amy Winehouse vergleichbar ist. Duffy hat auch eine sehr gestandene Begleitband hinter sich, welche ich mir unbedingt demnächst livehaftig gönnen möchte.
RockTimes: Was erwartet ihr persönlich von der Zukunft?
Christian: Wir, da spreche ich für den Altenteil, erwarten und wünschen uns, noch eine lange Zeit auf der Bühne stehen zu können, und nicht irgendwann als Rentnerband von diesen Brettern heruntergetragen zu werden.
Claudius: Ich bin überzeugt davon, Karat-Musik noch mindestens dreißig Jahre singen zu wollen, mit der gleichen Qualität bzw. Behutsamkeit, wie wir es heute auch bewerkstelligen. Natürlich würde ich mich auch glücklich fühlen, einen eigenen Song irgendwann etwas präsenter machen zu dürfen. Ich werde es anpacken, solange es gewünscht wird, und wenn es nicht mehr der Fall sein sollte, mache ich es trotzdem.
RockTimes: Welche Lebensphilosophie vertretet Ihr?
Karat Claudius: Ich möchte viel Spaß haben, viel lachen, kein zu ernsthafter Mensch sein und mich keinesfalls über unnütze Dinge ärgern müssen. Viele Jahre stand ich unter dauerndem Arbeitsdruck, sieben Tage die Woche, habe zwar viel Geld verdient, hatte aber keine Zeit für Freundschaften und angenehme Momente mehr. Jetzt will ich einfach entspannter leben, mich mehr um meine Lebensgefährtin, meine Band-Familie und Freunde kümmern.
Christian: Das Naturgesetz für sich in Anspruch nehmen zu dürfen, Fehler zu akzeptieren, und entspannt damit umzugehen und zu leben. Natürlich wünschen wir uns das Wichtigste für alle: Frieden, und keinen Krieg.
RockTimes bedankt sich für das Gespräch und wünscht viel Erfolg mit der neuen Konzerttournee und kommenden Projekten.
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