Lee Konitz New Quartet / Live At The Village Vanguard
Live At The Village Vanguard Spielzeit: 58:26
Medium: CD
Label: Enja Records, 2010
Stil: Jazz

Review vom 05.06.2010


Wolfgang Giese
Das 'Village Vanguard' in New York hat eine lange Tradition, was Konzerte berühmter Jazzmusiker betrifft, und so manches wurde für die Nachwelt erhalten und mitgeschnitten.
Einige Beispiele: Kenny Burrell (1959), John Coltrane (1961), Elvin Jones (1968), Dexter Gordon (1977), George Adams (1983) und nun auch noch Lee Konitz.
Lee Konitz war für mich stets ein Musiker, der nicht unbedingt in herkömmliche Schemata zu pressen war. Immer haftete ihm ein Hauch des Ungewöhnlichen an. Aber wodurch eigentlich?
Der 1927 geborene Altsaxofonist war einer jener, die nicht wie Charlie Parker klangen. Er war stark an der Entwicklungsphase des Cool Jazz beteiligt, er war jedoch auch als 'beinharter' Hard Bopper tätig und berührte die Ränder der freieren Improvisation.
Platten wie "Konitz Meets Mulligan" (1953), "Tranquility" (1957), "Lee Konitz Meets Jimmy Giuffre" (1959) aus den Fünfzigern und dann erst wieder spätere Einspielungen wie "Zo-Ko-Ma" (1969), "Lone-Lee" (1974), "Jazz Nocturne" (1992), "Strings For Holiday" (1997) - das sind für mich Meilensteine auf dem langen Schaffensweg des außergewöhnlich individuellen Musikers.
Das neue Album, eingespielt am 31.3. und 1.4.2009, bildet nun einen weiteren wichtigen Pfeiler.
Sein Alter (zum Zeitpunkt der Aufnahmen war er 81) merkt man ihm nicht an, er ist noch 'voll dabei'. Und seine emotionale Ausdrucksweise hat nicht im Geringsten gelitten. Vielmehr verleiht er seinem Spiel noch immer eine große Bandbreite zwischen absoluter Coolheit, leichter 'Arroganz', Zurückhaltung und viel Wärme, und das dermaßen locker und professionell aus dem Ärmel geschüttelt, dass es Freude macht, hier intensiv zuzuhören!
Die drei Begleiter aus Deutschland, USA und Israel 'firmieren' als Trio Minsarah. Die vier beschreiben mit den sieben Titeln eine Art Zeitreise, beginnend in den 50er Jahren bis in die Gegenwart, möglicherweise auch in die Zukunft?
Auf dem Klassiker "Cherokee" habe ich den Eindruck, als sei Lennie Tristano auf die Bühne gesprungen, so klingt für mich das erste Solo von Florian Weber. Das Stück hält sich ansonsten nicht viel an traditionelle Vorgaben aus der Vergangenheit und Konitz bringt gar leichte fernöstliche Einflüsse mit ins Spiel.
Die drei jungen Musiker und der alte Herr befruchten sich hörbar gegenseitig. Hieraus ensteht ein ganz besonderer Spannungsbogen, und schon im zweiten Track, "Subconcious-Lee", spürt man diese Spannung ganz deutlich. Im Wesentlichen ist diese auch geprägt durch die Zwiesprache zwischen Saxofon und Piano. Die Begleiter fungieren hierbei nicht als reine Begleiter, sondern vermögen mit spontanen Ideen dem Ganzen reichlich Würze zu verleihen.
Die Songs scheinen eine perfekte Mischung zwischen streng komponierten Passagen und spontaner, kollektiver Improvisation zu sein. Es findet ständig so etwas wie Entwicklung statt. Die Band, mit der er seit einigen Jahren zusammenspielt, scheint mittlerweise eng verschweißt zu sein.
Ähnliches gab es bereits einmal (ich nehme "Subconcious-Lee" noch einmal als Beispiel) in der legendären Band von Miles Davis in den Sechzigern, also jene Besetzung mit Wayne Shorter und Herbie Hancock. Mich erinnert das in einigen Passagen stark daran.
"I Remember You" ist dann die schöne Ballade aus dem klassischen Jazzsongbook, schon so oft gespielt und hier von der Band hervorragend interpretiert und gleichzeitig Ruhe und Spannung verbreitend. "Color" schließlich, ein Titel des Pianisten, wird ohne Saxofon vorgetragen und macht Lust auch auf die Musik dieses Trios - ein Track mit viel Abwechslung, voller kleiner und feiner Überraschungen, ganz hervorragend in der Dichte und im Verständnis des Zusammenspiels. Bravo!
Mit Sicherheit eine wichtige Veröffentlichung dieses Jazzjahres!
Trotz dieser schönen neuen Einspielungen bleibt meine persönliche Lieblingsplatte jedoch noch immer "Motion". Jene Aufnahmen aus dem Jahr 1961, die Konitz zusammen mit dem Bassisten Sonny Dallas und Elvin Jones am Schlagzeug einspielte.
Line-up:
Lee Konitz (alto saxophone)
Florian Weber (piano)
Jeff Denson (bass)
Ziv Ravitz (drums)
Tracklist
01:Cherokee (Noble) 5:41
02:Subconcious-Lee (Konitz) 8:57
03:I Remember You (Schertzinger-Mercer) 10:52
04:Polka Dots And Moonbeams (Van Heusen-Burke) 6:07
05:Color (Weber) 6:13
06:Kary's Trance (Konitz) 8:56
07:Thingin' (Konitz) 11:37
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