Richie Kotzen / Live In Sao Paulo
Live In Sao Paulo Spielzeit: 79:04
Medium: CD
Label: Frontiers Records, 2008
Stil: Blues Rock


Review vom 30.06.2008


Moritz Alves
Bluesige Gitarrenhelden waren mir schon immer lieber als diese ganzen Hightech-Fuzzis. Und der Amerikaner (mit dem hierzulande etwas merkwürdig anmutenden Namen) Richie Kotzen ist solch ein songdienlicher Gitarrist, der niemals das gewisse Feeling vernachlässigt und glücklicherweise auch nicht in seelenlose Frickelorgien abdriftet. Das mag daran liegen, dass er bereits in den Hard Rock-Bands Poison und Mr. Big gespielt hat, bei denen der eigentliche Song immer im Vordergrund stand. Oder aber vielleicht auch daran, dass er gleichzeitig ein respektabler Sänger ist und somit um die Gefahren des exzessiven Gitarrengewichses weiß.
Wie auch immer: Seine neueste Scheibe nennt sich "Live In Sao Paulo" und dabei handelt es sich um sein erstes Live-Album überhaupt. Aufgetreten ist Kotzen im klassischen Bluesrock-Trio und das Liedgut wird somit authentisch und schnörkellos dargeboten. Die zwölf großartigen Songs geben einen guten Überblick über die bisherige Karriere des Virtuosen. Auffällig ist dabei, dass Richie Kotzen und seine Mitstreiter Johnny Griparic (der übrigens schon mit den Ex-Gunners Slash und Gilby Clarke zusammen gespielt hat) sowie Dan Potruch sich die Zeit nehmen, die Stücke ausgiebig zu performen. So kommt es, dass die Spielzeiten sich meistens zwischen sechs und sieben Minuten bewegen. Diese Großzügigkeit führt dazu, dass das ganze Album auch unglaubliche 79 Minuten dauert! Das macht Freude, denn hier gibt es definitiv 'value for money'! "Live In Sao Paulo" kann man guten Gewissens als Vollbedienung in Sachen bluesige Rockgitarre bezeichnen.
Der Stil Kotzens kann übrigens als Symbiose aus seinen Einflüssen Bad Company, Free, frühe Van Halen und Cream sowie einer Idee Motown (Spinners, O-Jays, Curtis Mayfield) gesehen werden. Und diese musikalischen Wurzeln sind es sicherlich auch, die ihn dazu bewegen, den Song an sich niemals hinter seine Fähigkeiten an der Sechssaitigen zurücktreten zu lassen.
Der Sound der Scheibe tönt unverfälscht aus den Boxen. "Live In Sao Paulo" ist ein Live-Dokument der alten Machart. Alle Instrumente sind gut herauszuhören, die Gitarre ist bluesig angezerrt, gibt niemals das volle Brett und der typische Fender-Klang ist omnipräsent. Kotzen scheint sich mittlerweile (nach seinen Hard Rock- und Metal-Anfängen) als ernsthafter Blueser zu sehen, was ihm sehr gut zu Gesicht steht. Seine Stratocaster spielt er wie ein junger Gott und zeigt dabei unglaublich viel Gefühl - die Einflüsse aus Blues und Soul zahlen sich aus!
Die klassischen Blues Rock-Merkmale, wie ausgiebige Jam-Einlagen und lange Gitarrensoli finden sich hier en masse. Kotzen und Band nehmen auch gerne mal die Energie raus, lassen den jeweiligen Song vor sich hintreiben und werden dabei beispielsweise immer leiser. Dann wird, gefühlvoll bis langsam die Spannung aufbauend, gerockt, dass es eine wahre Freude für jeden Musikliebhaber ist. Auffällig ist das zum Beispiel bei Stücken wie "Socialite" oder "Doin' What The Devil Says To Do". Gerade bei letztgenanntem Song, mit 9:16 Minuten übrigens der längste des Albums, wird in der zweiten Hälfte nur noch improvisiert. Herrlich! Darüber hinaus findet man auch die wichtigen, rhythmischen Pausen durchgehend. Jeder Freund von Jimi Hendrix Experience, Ten Years After, oder Rory Gallagher wird seine Freude daran haben. Ich stelle an dieser Stelle mal die wagemutige Behauptung auf, dass sich Richie Kotzen hinter solchen Legenden nicht zu verstecken braucht.
Kein schwaches Stück hat sich unter die zwölf Kompositionen gemischt, die allesamt im gemäßigten Tempobereich gehalten sind. Kotzens songdienliches Spiel veredelt jede einzelne Nummer. Die Live-Atmosphäre wird übrigens bestens eingefangen, denn das enthusiastische Publikum hört man des Öfteren heraus. Beispielsweise wird die erste Textzeile von "High" lautstark von der Masse übernommen (Gänsehaut pur!) und bei "Fooled Again" gibt es Mitsing-Parts im Refrain - die Brasilianer fressen Herrn Kotzen aus der Hand!
Niemand, der auf bluesgetränkte Rockmusik steht, sollte sich Schmankerl wie "High", "Remember", "Fooled Again", "Faith", und "Doin' What The Devil Says To Do" entgehen lassen. Einfach zum Niederknien, was hier fabriziert wird: Traumhafte Balladen und astreine Bluesrocker hintereinander. Unter die Setliste haben sich übrigens auch der Klassiker "Shapes Of Things" (Yardbirds-Single aus dem Jahr 1966) sowie die Poison-Nummer "Stand" (vom 1993er Album "Native Tongue") gemischt. Richie Kotzen offeriert uns hier wirklich das Komplettprogramm - ein großartiges Album!
Line-up:
Richie Kotzen (lead vocals and guitar)
Johnny Griparic (bass guitar)
Dan Potruch (drums)
Tracklist
01:Socialite (7:28)
02:High (6:19)
03:Remember (6:49)
04:Fooled Again (7:57)
05:Faith (7:31)
06:So Cold (7:32)
07:A Love Divine (5:46)
08:Shapes Of Things (5:17)
09:Doin' What The Devil Says To Do (9:16)
10:I'm Losing You (5:49)
11:Mother Head's Family Reunion (3:13)
12:Stand (6:07)
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