Joe Lovano / Bird Songs
Bird Songs Spielzeit: 65:13
Medium: CD
Label: Blue Note, 2011
Stil: Jazz

Review vom 02.03.2011


Wolfgang Giese
"Now's The Time", so der Titel eines der bekanntesten Stücke von Charlie Parker.
Ja, vielleicht war es wirklich an der Zeit, dieses Tributalbum an einen der wohl wichtigsten Musiker der Jazzgeschichte zu veröffentlichen. Ich freue mich, dass dieses nicht eines von vielen Tributalben geworden ist, bei denen man glaubt, der Geehrte sei wiederauferstanden. Tribut bedeutet für mich auch Ehrerbietung mit eigenen Mitteln, aus eigener Anschauung. Und das ist Lovano aus meiner Sicht gelungen. Das ist sicher eine Verbeugung vor dem Meister, das ist sicher die Wiedergabe aufgesaugter Eindrücke der Musik Parkers, aber letztlich ist es die Musik Joe Lovanos.
So hat er auch vermieden, sich auf dem Instrument des Geehrten, dem Altosaxofon (bis auf einen Titel), auszudrücken, sondern spielte die Stücke bis auf drei Ausnahmen auf dem Tenorsaxofon ein. Neben dem einen Track auf dem Altsax ist es die Verwendung ungewöhnlicher Instrumente - auf "Lover Man" ist es ein G-Mezzosopran und auf "Birdyard" ein Aulochrome, eine Art Doppel-Sopran soll das sein.
Die Einspielung ist wiederum mit den Musikern Us Five eingespielt worden, wie schon das 2009er Album "Folk Art". Allen gemeinsam ist es gelungen, wie eine traumwandlerische Einheit zu wirken.
Der 1952 geborene Lovano wurde durch den Vater an den Jazz und auch an die Musik Birds herangeführt. Seine 'Lehrjahre' verbrachte er mit Musikern und Bands wie Jack McDuff,
Dr. Lonnie Smith, Woody Herman oder Mel Lewis.
Bekannter wurde er in den Achtzigern durch seine Zusammenarbeit mit den Gitarristen John Scofield und Bill Frisell, mit letzterem gemeinsam in der Band von Paul Motian. Für das Label Blue Note, bei dem er seit bereits 20 Jahren aufnimmt, ist diese neue Platte nun schon die 22.! Da ich ebenfalls ein großer Fan der Musik Charlie Parkers bin, war das natürlich sehr interessant für mich, wie Lovano an dessen Musik heranging.
Gleich der Beginn ist im Wechsel zwischen dem Thema und hitzigem Spiel vielversprechend, bis das erste Solo mich bereits vollends überzeugen kann, dass der Musiker eine völlig eigene Sichtweise des Titels darstellt. Allein die gelegentliche Hitzigkeit des Vortrages erinnert an das Vorbild - diese wahrscheinlich innerlich schwelende und nach außen getragene Unruhe, die bei Parker ja irgendwie ein Markenzeichen war.
Aber im Großen und Ganzen zeigt Lovano sein Verständnis der Musik auf seine Weise. "Donna Lee", ein eigentlich schneller Song, wird in der Interpretation der Band zu einer Ballade, die nicht mit der einer Ballade üblich innewohnenden Ruhe, sondern mit einem kreativen Anstrich versehen wurde; mit dahintreibendem Sound, unter anderem gestaltet durch die grundsätzliche Kombination des Einsatzes zweier Schlagzeuger.
"Barbados" klingt nach Wärme, nach Sonne, nach Karibik, der Titel baut sich langsam auf und ab, er entwickelt sich, die Drummer legen einen abwechslungsreichen Teppich und das junge Talent Esperanza Spalding lässt den Bass elastisch agieren, ein wenig an Ron Carter erinnert sie mich hier.
Lovano sprüht immer wieder leicht dreckige Töne, wie man es von früheren Beispielen sogenannter 'Honkers & Bar Walkers' aus der Kansas City-Ära kennt, schön und mitreißend ist das. Dazu dann ein lebendiges Pianosolo, eine sehr gelungene Interpretation im Geiste Parkers, dessen Einfluss ich hier gar nicht mehr höre, so entfernt, in positivem Sinne, erscheint es mir.
Diesen leichten R & B-Touch vernehme ich auch auf "Moose The Mooche", das darüber hinaus relativ fließend und frei arrangiert wurde, auch sehr gelungen!
Und nun ein Stück, das für mich noch immer zu den bewegendsten Titeln Parkers zählt: "Lover Man". Nach einer der Aufnahmen des Titels wurde Parker seinerzeit in eine Nervenheilanstalt eingeliefert - man spürt eine unglaubliche Intensität von Verzweiflung und Zusammenbruch in seiner Interpretation. Dieses hat Lovano unterlassen, wiederzubeleben. In gut neun Minuten bietet er eine unglaublich lässige Version, wobei die hervorragende Zusammenarbeit der beiden Schlagzeuger mit dem Saxofonisten auffällig ist. Alles scheint wie locker aus dem Ärmel geschüttelt, ein Bass-Solo lockert dazu noch weiter auf. Dieses traumhafte Zusammenspiel kommt zum absoluten Höhepunkt auf "Ko Ko". Hier sind nur diese drei Musiker zu hören - für mich eigentlich der Star dieser Platte! Das ständig flatternde Element der Musik Parkers halte ich für wunderbar eingefangen, verarbeitet und neu umgesetzt. Manchmal allerdings hätte ich mir gewünscht, dass Lovano gerade diesen Song genutzt hätte, vollends auszubrechen und voll auf- und auszuspielen, wie es wahrscheinlich in diesem Umfeld ein James Carter sich nicht hätte nehmen lassen.
Liest man sich durch die Tracklist, ist man, d. h. ich bin es, sehr gespannt auf das letzte Stück, die "Yardbird Suite", fast zwölf Minuten lang. Doch bis dahin gibt es noch kleine kurze Überraschungen, wie auf "Birdyard", dem Titel, den Lovano auf einer Phrase aus der "Yardbird Suite" aufgebaut hat und Doppel-Saxofon spielt, oder das kleine Blues-Medley, die "Blues Collage" aus drei Parker-Songs, das auch ohne Schlagzeug weich und wiegend swingt.
Zuvor, als Ouvertüre sozusagen, gibt es noch das perkussionsgeschwängerte "Dewey Square", ein sehr lebendiger Titel mit leicht brasilianischer Ausprägung. Mein bisher persönlicher Favorit war ja nun eigentlich auch schon, oder soll das noch getoppt werden?
Mit Balladenklängen, sehr einfühlsam und so richtig wehmütig-schön klingend, startet die Band in die zwölf Minuten. Das hat schon fast den Ausdruck von jener Spiritualität, wie man sie von
John Coltrane kennt. Aber dann wird doch noch Tempo aufgenommen, es swingt hart in feinster Hard Bop-Manier, aber viel moderner. Die Drummer unterbrechen den durchgehenden Swing immer wieder, ohne jedoch den Fluss zu unterbrechen.
Ein krönender Abschluss einer gelungenen Würdigung an einen der ganz Großen des Jazz.
Line-up:
Joe Lovano (tenor saxophone, G Mezzo soprano saxophone - #5, alto saxophone - #8, Aulochrome - #6)
James Weidman (piano)
Esperanza Spaulding (bass)
Otis Brown III (drums, percussion)
Francisco Mela (drums, percussion)
Tracklist
01:Passport (5:26)
02:Donna Lee (4:30)
03:Barbados (6:19)
04:Moose The Mooche (6:35)
05:Loverman (9:03)
06:Birdyard (1:47)
07:Ko Ko (6:20)
08:Blues Collage [Carving The Bird/Bird Feathers/Bloomdido] (1:52)
09:Dexterity (2:49)
10:Dewey Square (8:25)
11:Yardbird Suite (11:57)
(all songs by Charles Christopher Parker, except #5 by J.E. Davis/R.J. Ramirez, #6 by Joe Lovano)
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