Latin Quarter / Tilt
Tilt Spielzeit: 38:37
Medium: CD
Label: Westpark Music, 2014
Stil: Pop

Review vom 22.04.2014

    
Wolfgang Giese              Sabine Feickert
Eine Platte, zwei Meinungen. Wolfgang legt vor:  
Viele werden sie sicher noch kennen, diese britische Popband, die 1983 entstand und von Steve Skaith, Mike Jones und Richard Wright gegründet wurde. Die erste Single erschien 1984 mit dem Song "Radio Africa". Schon damals hatte man sich in den Texten mit gesellschaftspolitischen Ereignissen beschäftigt. Dies sollte dann auch so fortbestehen, bis 1997 ihr zunächst letztes Album entstand. 2011 reformierte sich Latin Quater und nach "Ocean Head" aus dem Jahr 2012 liegt nun eine weitere CD mit neuen Aufnahmen vor.
Zu den noch immer engagierten Texten gesellt sich eine nach wie vor nicht unbedingt sofort zugängliche Popmusik, die nach wie vor bei einigen Titeln etwas sperrig wirken kann. Vielleicht deshalb, weil nicht unbedingt nur Heiterkeit, Ausgelassenheit und Fröhlichkeit wirken, die einen vordergründig anspringen und vielleicht auch, weil so mancher Mollklang eine gewisse Traurigkeit verbreitet, oder weil doch noch hin und wieder etwas Independent Pop mitschwingt.
Dennoch, der ganz große erfolgreiche Wurf wird es wohl nicht werden, denn der Musik fehlt der ganz besondere 'Hitkick'. Zu viel schwebt die Musik an der Oberfläche, so manches klingt ganz einfach nicht sehr engagiert. Manch ein Titel erinnert mich an die Phase von Fleetwood Mac zu "Rumors"-Zeiten, nur ein wenig farbloser.
So bleibt es letztlich bei handwerklich solider Popmusik mit manch einer Ecke und Kante - Musik, die mehr wohlgefällig dahinplätschert als emotional außergewöhnlich zu packen vermag. Mir gefallen jene Songs besser, die Yona Dunsford als Leadsängerin bestreitet. Das sind die für mich zugänglicheren Titel mit einem schönen Hauch von Soft Pop. Allen voran halte ich "Sometimes The Big Fish" für eines der besten Ereignisse auf der Platte. Dieses Lied berührt mich emotional auch sehr.
Fazit also: gut gemachte Popmusik, die zwar nicht mehr den Biss der frühen Tage aufweist, aber ein durchaus gefälliges Ergebnis bietet, mit einigen Höhen und einigen kleinen Tiefen. Als Gast hört man bisweilen Chris Rea an der Slidegitarre und er rundet den Sound somit noch gut ab.
Sabine sieht das so:  
Latin Quarter feiern ihr 30-jähriges Jubiläum und bringt aus diesem Anlass ein neues Studioalbum, "Tilt", raus. Meine Bekanntschaft mit den Briten liegt etwas mehr als 25 Jahre zurück. Im Mai 1987 hatte ich sie gleich zweimal live gesehen, "Modern Times" und "Mick And Caroline" hatten auf Vinyl und Kassette Einzug in Wohnung und Auto gehalten. Hatten sie damals Themen wie McCarthy's Kommunistenhatz oder die schlechten Nachrichten aus "Radio Africa" in poppige Melodien mit diesem gewissen 'World'-Einschlag gepackt, so nehmen sie sich heute nicht weniger brisanter Topics an. Dabei lassen sie aber viel mehr Interpretationsspielraum zu als in den frühen Werken.
"Tilt" - der Titelsong beispielsweise. Das Duett mag bei flüchtigem Hinhören womöglich wie eine Liebesschmonzette erscheinen. Von der Stimmung her erinnert es mich ein wenig an
Peter Gabriels "Blood Of Eden". Und dann dieser Text...

»I sit with you, you sit with me and softly say
'This is no sunset, sit back, relax and wait
And watch the Earth tilt.'«


...der erstmal nicht so wirklich zu der gefälligen Melodie zu passen scheint. Dann aber gerade dadurch doch diese besondere Wirkung erhält. Weltuntergang, persönlicher Weltuntergang oder vielleicht nur zu viel Anisette? Ein bisschen Augenzwinkern, Rückzug ins Private und doch sprühen auch immer wieder die alten (politischen und gesellschaftskritischen) Funken. Das zieht sich meiner Meinung nach durch das ganze Album. Das alte politische Engagement, gerade auch in Mike Jones' Texten, ist nach wie vor da. Das Anliegen, diese Themen in eingängige Melodien zu verpacken, unvermindert.
Welchen Unterschied es auch heute noch macht, bei wem "50 Grams" Kokain gefunden werden, bewegt Steve Skaith. Speziell die britische Gesellschaft samt Queen und Königshaus kritisiert er in diesem Song. Wieder und wieder stellt er die Frage, was passiert wäre, wenn diese 50 Gramm bei jemand anders gefunden worden wären. Einem Fußballer, einem Freund eines Prinzen, jemandem aus einer der besseren Gegenden?
"One Stone, The Avalanche" ist Michail Gorbatschow gewidmet. Ein nachdenklicher Song, der ein differenziertes Bild dieses Politikers entwirft. Eins, das von den Geschichtsbüchern abweicht.
Doch sie haben auch Lieder mit eher allgemein gesellschaftskritischer Note dabei. Schildern typische Lebenssituationen, Einzelschicksale, die als kleine Puzzleteilchen ein Gesamtbild ergeben. Oder auch ganz individuelle Geschichten.
Die Singleauskopplung "Marianne" beispielsweise hat einen sehr persönlichen, ja fast privaten Touch. Sensibel interpretiert Yona Dunsford diesen Skaith/Jones Song über eine alternde Frau. "Once, Twice" zeichnet das trostlose Bild einer heruntergekommenen Wohnung, verlorener Träume, zu viel Gin und Bier und gebrochenen Herzen. Und "Nico" - diese Nico? Welche sonst könnte gemeint sein mit »If chaos had a face it would have your endless eyes«?
Als "Fireflies" (Glühwürmchen) sehen Skaith und Jones mittlerweile sich und ihre Weggefährten, erinnern an politisches Engagement und
»So many friends in the park,
Smoke blowing over from France,
I took a pipe from a hand«
.
Und beschließen diesen Song mit den Worten
»Big ideas and our bright, bright eyes,
We need a world of fireflies«
.
Nein, sie sind nicht mehr die idealistischen jungen Politaktivisten der 80er. Sie leben und schreiben in den 2010er Jahren, haben Federn gelassen und doch die Hoffnung nicht aufgegeben.
Latin Quarter sind gereift und sich dabei doch treu geblieben. Wer ihre Musik damals mochte und weder zum völlig pessimistischen Zyniker, noch zum trägen Couchpotatoe mutiert ist, wird "Tilt" wahrscheinlich mögen.
Auch musikalisch sind sie wiedererkennbar. Immer noch poppig. Aber mit diesem gewissen Etwas. Meine Anspieltipps wären außer den bereits angesprochenen Songs noch das sehr atmosphärische "The Cat" und (nochmal) mein ganz persönlicher Hit auf diesem Album, das mir mit jedem Hören besser gefällt und vertrauter wird: "Fireflies" - denn
»Big ideas and our bright, bright eyes,
We need a world of fireflies«
.
Line-up:
Greg Harewood (bass)
Yona Dunsford (vocals)
Steve Jeffries (keyboards, backing vocals)
Steve Skaith (guitar, vocals)
Martin Ditcham (drums, percussion)
Ed Hogston (electric guitar)
Chris Rea (slide guitar)
Richard Wright (electric guitar)
Mike Jones (lyrics)
Tracklist
01:Nico (3:43)
02:50 Grams (4:13)
03:Sometimes The Big Fish (4:03)
04:Tilt (3:20)
05:Marianne (4:17)
06:The Cat (4:07)
07:Once, Twice (3:50)
08:Fireflies (3:43)
09:Take It To Miriam (4:14)
10:One Stone, The Avalanche (3:43)
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