Leon & The Folks / Carry On
Carry On Spielzeit: 52:05
Medium: CD
Label: Soundworks (Tonpool), 2014
Stil: Americana, Indie Rock

Review vom 27.06.2014


René Francke
Ein hochwertiges, dreiseitiges Digipak liegt vor mir. Ich klappe es auf und was seh' ich? Innen links die Danksagungen, in der Mitte den CD-Träger und innen rechts eine leere Booklet-Lasche. Moment! Leer? Aus mir unerfindlichen Gründen ist das Booklet aus dem mittlerweile dritten Album "Carry On" der aus Darmstadt nach Berlin übergesiedelten Band Leon & The Folks verschwunden. Wurde es auf dem Weg zu mir gemopst? Habe ich es verbummelt? Oder wurde es gar bewusst vorab entfernt? Stattdessen bekam ich einen vierseitigen selbstbeweihräuchernden Promozettel, der vor verblümt-pathetischen Beschreibungen nur so trieft: »Ein fröhlicher Bastard, geschmiedet aus Feuer & Herzenswärme, Zen & Theoriebruch. Eine Geschichte über Niedergeschlagenheit & Hoffnung, Lethargie & Optimismus, Rage & Geduld. Darüber, seine Gefühle ans Nichts abzugeben und sie später wiederzufinden. Ein Trip in die Hitze der Vorhölle und zurück in die Wärme des Lebens. Der Flug eines Jungvogels, der zum ersten Mal sein Nest verlässt.« Und über die deutsche Hauptstadt lobpreisen sie gar: »Berlin ist ein guter Ort, wenn nicht gar das gelobte Land für jeden Künstler. Hierher kommt, wer seinen Träumen beim Wahrwerden zusehen will.« Uff!
Bei sowas stellt sich mir sofort die Frage: Was soll das? Haben die so viel Schmalz nötig? Schon beim ersten Hörtest von "Carry On" kann ich eine klare Antwort darauf geben: Nein, haben sie eigentlich nicht. Also, warum habe ich statt eines schönen Booklets, aus dem ich neben den Songtexten auch die beteiligten Musiker entnehmen könnte, einen derart unsäglichen und nichtssagenden Waschzettel bekommen?
Stecken in den Lyrics der Platte "Carry On" etwa auch, wie im Werbeblättchen zusammenfassend angedeutet, bleischwere Formulierungen voller grenzwertiger Pathos-Lyrik, die man dem kritischen Zuhörer nicht zumuten möchte? Sei's drum. Lassen wir diese gehässige Frage außen vor, denn ohne Booklet lässt sich das nur ansatzweise und mit höchster Lauschkonzentration beurteilen. Und die Mühe, die Texte einzeln im Netz zu recherchieren, werde ich mir nicht machen. Muss ich auch nicht. Denn die Musik von Leon & The Folks spricht für sich.
Das Berliner Quartett Leon & The Folks gründete sich 2008 und klingt alles andere als deutsch, geschweige denn berlinerisch, vielmehr hört man Americana-lastigen Folk und Country Rock. Das mag vor allem an der sehr guten Arbeit des Produzenten Frederic Janz liegen, der dem Album "Carry On" eine westamerikanische Klangbrise à la Camper Van Beethoven verliehen hat.
Schon im herrlich holprigen Eröffnungsstück "Cash And Carry", das wie ein schräges
Depeche Mode-Jammingstück ein- und ausgeläutet wird, kredenzen Leon & The Folks eine tolle Mischung aus Americana und Indie Rock. Das darauffolgende Country Rock-Stück "Got No Feelings" zeichnet sich durch einen - wie bei den meisten ihrer Songs - etwas überstrapaziert coolen Gesang aus und flattert scheinbar schwerelos wie ein bekiffter Geier durch die sonnenverwöhnte Prärie. Allerdings auch ohne Stopp durch meinen Kopf.
Und hierin liegt der Casus knacksus der Dutzend Songs auf "Carry On": Ihre Instrumente beherrschen die Herren von Leon & The Folks erstklassig, aber einen wirklich catchigen Hit sucht man bei ihnen vergeblich. Allenfalls der Opener "Cash And Carry" sowie der Titeltrack haben dieses Potential. Auf der einen Seite finden sich auf "Carry On" allerlei sehr gut vorgetragene Anleihen hochklassiger Künstler und Vorbilder. So durchweht die Ballade "Ikarus" ein moderner Hauch von Crosby, Stills, Nash & Young. "JJ's Law" huldigt unmissverständlich dem einzigartigen J.J. Cale. "Crossing The Line" könnte genauso gut aus der Feder von Dave Matthews stammen. Das siebenminütige "Mankind" ist ein melancholisches Stück Westernmusik mit Anlehnungen an Ennio Morricone-Melodien. Und auch die Kombination aus wuchtigem Bass, stampfender Bass Drum und rauem, aufopferungsvollen Gesang im Titelsong "Carry On" weiß zu überzeugen. Doch auf der anderen Seite bleibt von all dem wenig im Gedächtnis hängen. Das ist das Paradoxe an dieser Scheibe: Sie steckt zwar - und da stimme ich ausnahmsweise dem oben aufgeführten Promo-Jargon zu - voller Herzblut und Feuer, aber selten bis gar nicht springt davon mal ein Funken auf mich als Zuhörer über. Auf der Hitskala ist bei Leon & The Folks also nach oben noch jede Menge Luft. Dennoch bietet sich dieses Album als toller Soundtrack für verträumte Sommerabende am Lagerfeuer oder für Roadtrips über endlose Highways an. Und wer weiß: Vielleicht gibt es ja beim nächsten Album dieser Combo sogar die passende Lektüre zum Mitsingen dazu.
Line-up:
Leon Ostrowski (vocals, guitar)
Jonathan Drechsel (guitar)
Maurice Stenzel (bass)
Domenico Dobrovolskis (drums)

Tracklist
01:Cash And Carry
02:Got No Feelings
03:Honky Tonk
04:Ikarus
05:Time Will Tell
06:Carry On
07:Me And I
08:There's Somebody
09:JJ's Law
10:Crossing The Line
11:Bird
12:Mankind
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