Ligro / Dictionary 2
Dictionary 2 Spielzeit: 73:29
Medium: CD
Label: MoonJune Records, 2012
Stil: Fusion, Jazz, Avantgarde

Review vom 14.11.2012


Joachim 'Joe' Brookes
"Dictionary 2" ist heftige Musik aus Indonesien von der im Trio aufspielenden Band Ligro. An und für sich wollte ich diese Rezension sträwkcür schreiben, weil »Ligro when read backwards – orgil, means "crazy people" in the Bahasa (Indonesian national) language – but crazy in the very best sense of the word, signifying fearlessness, playful abandon, and a healthy disregard for shopworn musical conventions.« Allerdings würde es zu weit führen, alles rückwärts zu schreiben, denn die 2004 gegründete Band Ligro sorgt mit ihrem musikalischen Output schon für eine Weite, die noch nicht einmal am Horizont enden will. Musik von Ligro ist etwas für aufgeschlossene Gemüter, die sich an viel Improvisation und freiem Spiel der Gedanken erfreuen können.
Das Powertrio ist in vielen Genres zu Hause und die serviert man uns auch auf der zweiten Veröffentlichung "Dictionary 2". Klar, es gab vorher "Dictionary 1". Das Ligro-'Wörterbuch' ist mit über dreiundsiebzig Minuten nicht nur von der Spielzeit her ein dicker Wälzer. Was uns Gitarrist Agam Hamzah, Bassist Adi Darmawan und Schlagzeuger Gusti Hendy zu bieten haben, ist ein irgendwie nicht dingfest zu machendes Machwerk, das zwischen Jazz, Rock, Fusion, Space Rock und Prog pendelt. Wenn in der Tracklist auch noch klassische Komponisten wie Stravinsky oder Bach namentlich auftauchen, dann bewegt sich das tonale Karussell in unendlich vielen Umdrehungen und man wird von stets neuen Impressionen beeindruckt.
Ligro ist nichts für ungeübte Ohren. Da muss vorher schon ein gewisser Erfahrungsschatz vorhanden sein, denn die Band übt sich in der freien Meinungsäußerung, natürlich ohne jemanden beleidigend zu nahe zu treten. Wenn man sich die Platte anhört und ignoriert, dass es hier acht Tracks gibt, kommt eine gigantisch gute Jam-Kultur auf einen zu. Ligro kommt einerseits zuweilen fast schon aggressiv daher und andererseits kann man auch ganz entspannt die Seele baumeln lassen. Man muss bei dem Dreier nur mit allem rechnen, weil ihre Musik unberechenbar ist.
Die Wanderschaft durch die Genres ist beeindruckend. Ligro ist Meister im blitzartigen Wechseln von Stimmungen. Manchmal glaubt man gar nicht, dass hier nur ein Trio zugange ist. Ligro klingt opulent, wie ein XXL-Restaurant mit dem wöchentlichen Angebot eines all-you-can-eat-Abends. Gepriesen sei die endlose Weite eines Büffets. Ja, Ligro tischt nur Leckereien auf und nach "Trasparansi" ist man geschafft. Dabei ist der Erschöpfungszustand ein wohliges Gefühl im Körper.
Für "Dictionary 2" muss man sich nicht in der indonesischen Kultur auskennen, denn Ligros Musik ist international. Das Trio setzt vielleicht dort ein, wo andere Band aufhören. Die drei Musiker gehen abenteuerlich-experimentelle Wege und im nächsten Moment verzaubern sie die heimischen vier Wände mit einem reizenden Chaos. Mal schweben sie in der Schwerelosigkeit des Weltraums und dann bewegen sie sich noch unterhalb der Grasnarbe. Was Agam Hamzah auf den sechs Saiten seines Arbeitsgerätes an Zaubereien liefert, kann der sehr versierte Bassist Adi Darmawan auch. Ligros Fantasien füllen einen großen Saal. Dagegen verfügen andere Gruppen über den Spielraum einer Imbissbude. So fesselt man den Hörer an den Lautsprechern.
Der Dreier versteht es perfekt, mit der Dramaturgie eines Songs umzugehen. Aus verhaltenen Arrangements entwickeln sich monströse Gebirge. Jeder beeinflusst jeden. Man klettert, sich gegenseitig anspornend, ohne Gurt oder Haken im freien Stil bis zum Gipfel. Dort geht es turbulent zu. Ligro verwirrt die gewohnte Wahrnehmung.
Zur Einleitung von "Stravinsky" spielt man Bach auf dem Bass. Klasse! Das Lied wurde von der Combo komponiert. Als Basis diente Stravinskys "An Easy Piece Using Five Notes". Genau das Richtige für die Insulaner aus Jakarta. In "Bliker 3" dreht man den Spieß um, denn das von Adi Darmawan auf dem Piano gespielte Intro ist Klassik aus der eigenen Küche.
Bei Ligro ticken die Chronometer anders, aber die Zeiger bewegen sich noch in der gewohnten Richtung. Fusion bezeichnete ja gemeinhin das Mischen von Jazz und Rock. Auch hier reicht es für die Band nicht, denn in ihrem Schmelztiegel befindet sich so ziemlich alles an Stilen. Mit viel Aufmerksamkeit findet man sogar den Blues. Manche bekommen ihn vielleicht auch. Allerdings kann der Hörer im "Dictionary 2" auch bei z wie Zufriedenheit auskommen. Der im Zitat beschriebene Wahnsinn hat einen Namen... Ligro.
Line-up:
Agam Hamzah (guitar)
Adi Darmawan (bass, piano intro - #5)
Gusti Hendy (drums)
Tracklist
01:Paradox (7:11)
02:Stravinsky (with Bach Intro) (11:32)
03:Future (7:17)
04:Don Juan (6:13)
05:Bliker 3 (10:15)
06:Etude Indienne (12:51)
07:Miles Away (4:15)
08:Transparansi (13:16)
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