Frankie Miller / Long Way Home
Long Way Home
Frankie Miller war einer der besten und geilsten Rocksänger der 70er Jahre. Punkt!
Gegen Ende dieses Jahrzehntes verlor er zwar etwas die Richtung und ließ sich von zweifelhaften 'Beratern' in die falsche Richtung lenken, was aber nicht von Großtaten wie den Alben "Once In A Blue Moon" (mit Brinsley Schwarz als Studio-Band) von 1972 und "The Rock" von 1975 ablenken sollte. Seine kommerzielle(re) Phase (ab ca. 1978) brachte ihm aber immerhin einen von den zwei kleineren Hits seiner Karriere ein.
Ich weiß noch genau, wann ich Frankie Miller zum ersten Mal 'getroffen' habe. Es war an einem Samstagabend bei Ilja Richters Disco '79, die ich als damals 12-jähriger wöchentlich gespannt verfolgt und geliebt habe. An besagtem Samstag stolperte dann eine etwas lumpige Gestalt die paar wenigen Stufen auf die Bühne hoch und gab relativ regungslos (wahrscheinlich hat er sich selbst gefragt, in welchem Laden er denn jetzt schon wieder gelandet ist) seine neue Single "Darlin'" zum Besten.
Und mein 12-jähriges 'Ich' war wie vom Blitz getroffen. Was zur Hölle war das denn?? Der Song durchaus eingängig für meine ABBA und Boney M. gewöhnten Ohren, aber DIESE STIMME und diese Erscheinung??? Knappe drei Minuten, selbst wenn ich nichts von Millers Worten verstand, machten mir mehr als deutlich, dass es irgendwo da draußen wohl noch etwas anderes geben mußte, als breit grinsende Stars im Rampenlicht und in Glanz und Glimmer. Es schien auch Erwachsene zu geben, die scheinbar nicht total abgeklärt waren und ihr Leben keineswegs total im Griff zu haben schienen. Klar konnte ich das damals noch nicht so in Worte fassen, aber dieser Song sendete mir ein erstes Signal, dass auch die 'Großen' irgendwie 'von der Rolle' sein können.
Nach diesem Auftritt in Disco '79 habe ich dann erstmal lange Zeit nichts mehr von dem Schotten gehört, bzw. gesehen. Mal davon abgesehen, dass ich damals öfter als mir lieb war die deutsche Version von "Darlin'", performed von Cindy & Bert (!!!!!!) im Radio anhören durfte....na ja, 'musste' trifft es wohl besser.
Über die Jahre habe ich mir natürlich alle Alben Millers besorgt, denn besagten Abend, als Frankie unmittelbar nach Michael Holm und vor Marianne Rosenberg auf der Bühne stand, hatte ich seitdem immer in mir getragen, nie vergessen.
Anfang bis Mitte der 80er wurde es dann immer stiller um den Mann aus Glasgow. Es erschienen zwar noch Alben ("Easy Money", "Standing On The Edge" und "Dancing In The Rain"), die aber alle nicht mehr wirklich überzeugend waren. Und im August 1994 erlitt Frankie Miller dann, mitten in einem neuen Projekt, einen schweren Schlaganfall, von dem er sich bis heute noch nicht vollständig erholt hat und der seine musikalische Karriere von dem Moment an für immer beendete.
Umso mehr staunte ich, als ich vor wenigen Monaten im englischen Classic Rock-Magazin eine Anzeige für ein neues Frankie Miller-Album erblickte.
Diese CD liegt mir nun vor und es handelt sich dabei um bisher unveröffentlichte Aufnahmen der Jahre 1990 bis 1994, was meiner ursprünglichen Konfusion dann Klarheit verschaffte. Mit Vorfreude, aber auch mit einer Portion Skepsis habe ich die CD dann zum ersten Mal aufgelegt.
Skepsis übrigens wegen der oben bereits erwähnten drei Alben, bei denen u.a. auch das Songwriting eine Schwachstelle zu werden schien.
Beim ersten Song, "Guilty Of The Crime", handelt es sich allerdings um einen starken, überzeugenden und typischen Frankie Miller-Rocker, mit den Gästen Nicky Hopkins (R.I.P., ex-Rolling Stones-Begleitmusiker) an den Tasten und Joe Walsh (der auch bei ein paar weiteren Songs dabei ist), der seine Fähigkeiten an der Slide-Guitar aufblitzen lässt. "Win, Loose Or Draw" ist wie fast alle Songs des Albums ein Mid-Tempo Rocker, der sowohl vom Songwriting und der Einspielung zu überzeugen weiß. Und Frankie ist mächtig gut bei Stimme und in einer Form, wie er es wohl lange Zeit davor nicht mehr war. Sehr erfreulich, macht richtig Spaß!
Unbeschreiblich gut, wenn der Mann aus Glasgow das tut, was er am Besten kann. Bei zwei Stücken macht er Ausflüge in für ihn eher ungewohntere Regionen und die sind dann auch die Schwachpunkte von "It's A Long Way Home". Der Country-Song "Lies Tell The Best Truth Of All" kommt irgendwie unfertig und halbherzig rüber, lässt Frankie ungewohnt unbeteiligt wirken und "Baton Rouge" erinnert an seine schlimmste Phase zu "Easy Money"-Zeiten (1980), bei der selbst der gute Gesang die lahme, plastikhafte und nichts hergebende Pop-Müll-Musik nicht wettmachen können.
Als starken Kontrast stehen dem aber (neben den Rocksongs) zwei höllengeile Balladen gegenüber. "The Rose" bringt uns den ehemaligen Kampftrinker ganz alleine mit einzig seiner Stimme und einer Akustik-Gitarre 'bewaffnet'. "Es handelt sich um ein Cover des Titelsongs zu dem Film "The Rose", in dem Bette Midler die vom Leben gemarterte Janis Joplin darstellt und ganz Hollywood-like am Schluss auf der Bühne stirbt, während sie diesen Song singt. Frankie legt alles rein, was er hat und wer hier nicht Gänsehaut bekommt oder zumindest andächtig ins Träumen verfällt, der muss entweder tontaub oder gefühlskalt sein.
Der Titelsong beschreibt den langen Weg vom Rock 'n' Roll-Lifestyle zurück zum 'normalen' Leben, darf aber gerne auch als Frankies Weg zurück zur Genesung nach dem Schlaganfall interpretiert werden. Ganz starker Song mit ganz starkem Gesang.
Letztendlich bleibt festzustellen, dass 9 der 11 Songs dieses Albums Volltreffer sind und das würde ich jetzt mal als verdammt gute Quote bezeichnen. Sehr empfehlenswert!
Ach ja, bevor ich es vergesse: Es schien und scheint auf diesem Planeten Menschen zu geben, die Frankie Miller mit Rod Stewart verwechseln. Aber die haben nicht zugehört!! Oder, um es drastischer zu sagen: »Thema verfehlt, Setzen, Sechs!«


Spielzeit:44:45, Medium:CD, Jerkin Crocus, 2006, Rock
1:Guilty Of The Crime 2:Win, Loose Or Draw 3:You Always Saw The Blue Skies 4:Lovin's Too Easy 5: He'll Have To Go 6:You're The Star 7:Over The Line 8:The Rose 9:Baton Rouge 10:Lies Tell The Best Truth Of All 11:It's A Long Way Home
Markus Kerren, 11.07.2006