Nils Petter Molvær / Hamada
Hamada Spielzeit: 46:00
Medium: CD
Label: Sula Records (Universal), 2009
Stil: Ambient, Fusion

Review vom 03.05.2009


Wolfgang Giese
Den 1960 in Norwegen geborenen Trompeter lernte ich durch eine Produktion auf meinem heiß geliebten Plattenlabel ECM Records kennen.
1985 erschien die CD der Gruppe Masqualero, "Bande À Part". Molvær war hier zusammen mit Tore Brunborg, Jon Balke, Arild Andersen, und Jon Christensen eine sehr packende Musik gelungen. 1987 und 1990 sollten "Aero" und "Re-Enter" folgen. Auch auf ECM veröffentlichte Molvær dann eine Platte, über die man heute noch spricht: Das war 1997 die CD "Khmer".
Wie auch auf der hier vorgestellten Produktion war der Gitarrist Eivind Aarset als stilprägender Begleiter dabei.
"Hamada", ein geheimnisvoller Name, dazu ein geheimnisvoll anmutendes Cover - etwas morbide vielleicht.
"Hamada", das soll die Bezeichnung für eine Fels- und Steinwüste sein, ist arabischen Ursprungs und heißt auch so etwas wie 'leblos' oder 'abgestorben'. Dearartige Wüsten sollen wohl undurchdringlich sein, die Sahara besteht zu einem wesentlichen Anteil auch aus solchen Formationen. Dennoch hat ein Eremit so eine Wüste durchquert und in einem Film dokumentiert, welcher Molvær wiederum inspiriert hat, dieses Thema aufzugreifen und musikalisch umzusetzen.
Ob das gelungen ist, sollte jeder selber beurteilen.
Jedenfalls erscheint mir die Musik wie ein Soundtrack, eigentlich wie jede musikalische Darbietung des Trompeters. Hier wieder etwas anders, als auf seinen bisherigen Platten, aber allen gemein ist diese Art Düsternis, dieses mystische Element - eigentlich eher der Düsternis Skandinaviens zuzuordnen, aber auf "Hamada" doch einer heißeren Region der Erde gewidmet.
"Exhumation", welch bedrohlicher Name für das Eröffnungsstück, von Molvær allein eingespielt. Wir wissen nicht, wen oder was er hier gedanklich dem Grabe entreißt. Auf jeden Fall eine sphärische und einsam anmutende Einleitung, die erst einmal ganz ruhig (ein)stimmt. Mit der Tremologitarre auf "Sabkah" setzt Aarset dann sehr interessante Akzente und erinnert mich ein wenig an Ry Cooder.
Die Ruhe bleibt natürlich nicht, und spätestens bei Track vier, "Friction", mit den von Molvær programmierten Drumbeats, geht es packender ab. Aber das soll ja noch nicht alles gewesen sein, denn auf "Cruel Attitude" scheint der Titel Programm zu sein. Hier ist es vor allem Aarset, der bedrohlich-bedrängende Klänge erschafft - ein wahrer Sog, in dem man glaubt, untergehen zu können. Hier ist es eigentlich schon Rockmusik.
Aber - darüber hinaus - welche Musik ist das hier überhaupt?
Mit Sicherheit kein Jazz mehr, passt die Schublade Ambient, Electronica?
Wie auch immer, mit ruhigen und sanften Klängen entlässt uns Molvær schließlich nach seinem letzten Stück wieder in unsere Realität: "Anticline", das eine Atmosphäre verströmt, in der man bleiben möchte - wie eine Droge, deren Dauerwirkung man herbeisehnt, und man kann dazu verleitet werden, jetzt so weiter zu hören... aber nur so, denn die wilden Töne könnten dieses schöne Gefühl dann doch noch stören.
Noch einmal - wie assoziiere ich nun die Wüste zur Musik?
Leite ich meine Gedanken in eine solche Leere von lebendiger Natur, wird auch dort keine vollständige Leere sein. Irgendetwas wird dort geschehen, wir sollten den Eremiten befragen, was er empfunden, gehört und gesehen hat. Möglicherweise wird er unter unerträglicher Hitze gelitten, sich an scharfen Steinen geschnitten haben, vielleicht wird er Todesangst erlebt haben.
Und dann - so denke ich - wird diese Musik zu einem Soundtrack solcher Empfindungen, denn dann kann ich mir vorstellen, was Molvær hier versucht auszudrücken.
Vielleicht sind das ja auch nur meine Empfindungen, vielleicht sehen Molvær und seine Mitstreiter das ganz anders, und darum erwähnte ich auch anfangs, jeder möge selbst entscheiden, ob für ihn die Umsetzung des Themas gelungen ist.
Für mich ist sie es, denn wenngleich noch immer die nordische Kühle, die Molvær stets in seiner Musik transportiert hat, vorhanden ist (in der Wüste soll es schließlich nachts kalt sein), so vermag ich hier neue Elemente zu entdecken, die Wärme und Hitze symbolisieren.
Wie man sieht - ein 'Soundtrack für Kopf und Seele'. Nun sollte man hören, und auf die eigene Reise gehen.
Line-up:
Nils Petter Molvær (trumpet, voices - #2-4,8, beat programming - #4, sound carpet - #5,7,10, programming - #6, metal percussion - #10)
Eivind Aarset (guitars - #2-8,10, programming - #3,6, bass - #6, editing and arranging - #6)
Audun Erlien (bass - #4,8)
Audun Kleive (drums - #4,8, editing - #4,8)
Jan Bang (live sampling - #5-7,10, field recording - #5,6,10, programming - #5,7,10, editing and mixing - #10)
Tracklist
01:Exhumation (1:25)
02:Sabkah (5:14)
03:Icy Altitude (4:19)
04:Friction (5:33)
05:Monocline (3:04)
06:Soft Moon Shine (6:42)
07:Monocline Revisited (3:05)
08:Cruel Altitude (8:39)
09:Lahar (1:50)
10:Anticline (6:03)
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