Till Martin Quartet / Regarding A Line
Regarding A Line Spielzeit: 41:28
Medium: CD
Label: Unit Records, 2013
Stil: Jazz

Review vom 11.06.2013


Wolfgang Giese
Mit der Einleitung aus dem Pressetext beginne ich diese Rezension, sozusagen als Vorbereitung auf das, was uns erwartet: »Eine Melodie. Der gesamte Liederzyklus entstand ausgehend von dieser einen Tonfolge! Wie ein unsichtbares Band durchzieht sie alle Stücke und verbindet sie zu einem schlüssigen Ganzen. Ihre Funktion ändert sich dabei von Stück zu Stück. Ebenso der Kontext und das Instrument aus dem sie jeweils erklingt. Von allen Seiten wird sie abgetastet und in ein neues Licht gesetzt. Dass es sich hier um eine Zwölftonreihe handelt, dürfte kaum auffallen.«
Angesichts dessen könnte so manch eine/r kompliziertes Liedgut erwarten. Ist es aber nicht. Vielmehr ist es in erster Linie äußerst interessant, wie man mit einer einzigen Tonfolge, die sich wie angegeben von Stück zu Stück verändert, durch die variable Gestaltung immer wieder Spannung und unterschiedliche Kreationen erzeugen kann. Ich glaube man muss auch schon sehr genau zuhören und ein Kenner der Materie sein, um zu erkennen, dass es sich so wie oben beschrieben verhält. Denn einerseits bemerke ich klar und eindeutig den ständigen Fluss in der Musik, andererseits habe ich nie den Eindruck, dass dies die Individualität eines jeden Stückes ausschließt.
Das Quartett spielt eine Art Jazz, der weit über die Entwicklung des Hard Bop hinaus angesiedelt ist. Musik, die in den späten sechziger Jahren mit Spuren eines frühen Chick Corea oder Keith Jarrett beginnt und mich auch an die Atmosphäre jener Phase von ECM erinnert, die dem Label in den Siebzigern ihre Prägung gab. Interessant ist weiterhin, dass der Bass durch ein Cello ersetzt wurde und dadurch dem reinen Rhythmusinstrument noch eine Solorolle zubilligt. So reiht sich Henning Sieverts auf besondere Weise in den sehr angenehmen und überwiegend ruhig gehaltenen Gesamtsound harmonisch ein und verleiht der Musik eine spezielle Klangfarbe.
Jütte am Schlagzeug swingt nicht nur, sondern bringt auch Elemente der Fusion ein. Der Rhythmus ist nicht immer stur und durchgehend, sondern glänzt durch Flexibilität und unterbricht, ohne den Lauf der Musik und deren Harmonie zu stören. Obwohl die Musik im Kern sehr ruhig gehalten ist, sollte man ein reines Balladenalbum nicht erwarten. Dazu gibt es immer wieder sanften Antrieb und auch der Bandleader selbst entlockt seinem Saxofon gern einmal energischere Töne. Genau das tut dem Gesamteindruck sehr gut.
Viel Emotion ist zu spüren, viel vom Geist des modalen Jazz, wie ihn einst Miles Davis und
John Coltrane so perfekt lebten und präsentierten. Auch die Musik eines Wayne Shorter entdecke ich im Gesamtbild. Mit Mitteln der Dramaturgie scheinen die Musiker eine stimmungsvolle Welt zu erschaffen, die dem Hörer ein entspanntes Miteinander anbietet, dabei wirkt es mitunter aber auch ein wenig unterkühlt und nicht immer sehr nahbar. Sehr auffällig ist, so mein Eindruck nach intensiven und auch Nebenbei-Hören, dass der Bandleader selbst gar nicht sehr vordergründig auftritt, sondern dermaßen integriert im Sound der Band ist, dass er gar nicht auffiele, würde man sich nicht im Einzelnen seinen Beiträgen widmen. So etwas ist mir selten vorgekommen. Das ist Jazz der ästhetischen Sorte, mit dem Sound von heute.
Line-up:
Till Martin (composer, tenor saxophone)
Christian Elsässer (piano)
Hennig Sieverts (cello)
Bastian Jütte (drums)
Tracklist
01:Variation I (1:01)
02:Variation II (3:46)
03:Along The Line (7:32)
04:Silhouettes (6:25)
05:Variation III (1:07)
06:Variation IV (2:44)
07:Bells (5:03)
08:Variation V (2:31)
09Meanwhile (4:50)
10Crows (4:52)
11:Reprise (1:31)
(all compositions by Till Martin)
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