Wer in den 80er Jahren aktuelle Musik auf deutschen Medien gehört hat, der weiß, wer Ulla Meinecke ist. Zumindest kennt er "Die Tänzerin", einer der Songs, der das Lebensgefühl dieser Zeit symbolisiert, jenseits des NDW-Geträllers. Aber die heutige Mittfünfzigerin ist weit mehr als die damals gefeierte Interpretin des Edo Zanki-Titels und seinerzeitiger Medien-Darling. Eine ernstgenommene Singer/Songwriterin und Bandleaderin mit gleichermaßen rockigen wie poetischen Wurzeln, eine emanzipierte Bühnenkünstlerin mit erotischer Ausstrahlung, eine Texterin sowie Buchautorin und in jüngerer Zeit auch eine Schauspielerin. Und natürlich eine Stimme, die zu den markantesten hierzulande gehört und die mehr als nur ein Kribbeln erzeugt.
Auf 14 teils sehr erfolgreiche Alben (wohl bekannteste: "Wenn nicht für immer, dann wenigstens für ewig" von 1983 und "Der Stolz italienischer Frauen" von 1985), diverse Hitsingles, zwei Bücher und Hörbuchaufnahmen kann die gebürtige Hessin, die schon lange in Berlin lebt, zurückblicken. In ihrer über 30-jährigen Karriere erhielt sie verschiedene Auszeichnungen, darunter eine 'Goldene Europa' (Fernsehpreis) und den Deutschen Kleinkunstpreis. In den letzten, ruhigeren Jahren war sie weniger in Konzerten zu erleben, dafür aber regelmäßig auf Lesetour durch deutsche Städte, oft mit dem Gitarristen Ingo York.
Was Ulla Meinecke auszeichnet, ist die sensible und ausdrucksstarke Reflektion vorwiegend zwischenmenschlicher Themen in Wort und Musik. Allerdings ist sie weit mehr als eine Gefühlslyrikerin, sie betrachtet sehr offen das Geschehen um sich. Ihre Musik ist emotional, aber alles andere als aufdringlich - der Titel "Feuer unterm Eis" passt dafür bestens. Gut gemachter Pop, mal mehr Rock, mal mehr Chanson, aber im deutschen Sprachsektor auch in der Retrospektive außergewöhnlich. "Ungerecht wie die Liebe" fasst die Kreativität der Künstlerin in einem Paket zusammen, das sicher mehr als nur ein Fanprojekt ist: Ein "Best of" ihrer Songs, drei Kurzgeschichten zum allgegenwärtigen Hauptmotiv im dicken Booklet und ergänzend dazu als selbst gesprochenes Hörbuch - die fast 'komplette Meinecke' für zuhause und unterwegs zum Freundschaftspreis.
Der Musikteil besteht im Kern aus ihrer selbst gestalteten Compilation "Im Augenblick", auf der sie 13 Songs ihrer gesamten Karriere, zusammen mit Ingo York 2004 komplett neu arrangiert und aufgenommen hat. Zu der damaligen Zugabe "Wenn zwei (zueinander passen)", in Zusammenarbeit mit Danny Dziuk entstanden, kommen nun noch zwei aktuelle Songs. "Der Junge am Fluss" ist ihrem Freund Rio Reiser gewidmet, "Wie tief kann man sehen" hat das Duo Stoppok / Dziuk für sie geschrieben. Die Auswahl ist gut getroffen und, trotz der langen Zeitspanne der Entstehung, durchaus homogen. Die Songs stecken in frischen Gewändern, die meist deutlich reduzierter als die Originale sind und damit die Stimme noch mehr betonen. Ohne die früheren Modeerscheinungen im Sound klingen die schlanken Arrangements luftig und zeitgemäß, auch noch jetzt, nach sechs Jahren. Ausgesprochen gelungen ist ihr Trademark, die "Tänzerin", die deutlich geliftet und nun mehr 'sophisticated', aber noch genauso swingend übers Eis wirbelt. Ein Genuss ist auch der Klang, hier wurde im York's Outback-Studio in Berlin einmal mehr deutsche Wertarbeit geleistet.
Nicht ganz so stilsicher wirkt der Kurzgeschichtenteil mit den drei Beziehungskisten. Möglicherweise ist das jedoch noch mehr Geschmackssache, als bei der Musik. Oder eine geschlechtsspezifische Angelegenheit. "Mausolff und die anderen" über eine eheliche und außereheliche Neuorientierung kommt charmant und locker rüber. Recht vorhersehbar und stereotyp erscheint dem Rezensenten jedoch der "Jonny" über ein Remake einer 'Es war doch mehr als eine Affäre-Story' nach Jahrzehnten. Nach "Perfect Match" weiß der auch, was in Zeiten der Internet-Partnerforen eine 'Hardcore-Romantikerin' (Meinecke über Meinecke) ist. Allerdings kennt man das gegenseitige Täuschungs-'Spiel' noch aus der Vor-www.-Epoche der geprinteten Anbandel-Rubriken.
Während die Autorin mit ihren Song-Texten deutlich über dem Niveau der Konkurrenz rangiert, bleibt sie mit ihren Kurzgeschichten wohl eher auf dem Level 'Frauenpresse-Feuilleton'. Braucht Mann nicht unbedingt.
Das ganze Teil ist als stattliches Buch im CD-Hüllenformat gestaltet, mit den beiden Scheiben in den Deckeln sowie 128-seitigem Innenteil (in lesbarer Schrift) und verdient wegen der liebevollen, aufwändigen und künstlerisch sehr ansprechenden Gestaltung des Edel:Kultur-Verlags ein Sonderlob. Von den Fotos (von Daniel Biskup) einer wohl noch etwas jüngeren, aber sehr sinnlich wirkenden Ulla Meinecke bis zum fertigen Design ist alles stimmig und macht Lust, sich damit ausgiebig zu beschäftigen. Hier kommt sicher niemand auf die Idee, dass eine ausgelaugte Künstlerin (bzw. ihr Resteverwerter) mit den früheren Erfolgen noch mal Kohle machen will.
Die Meinecke ist in dieser Form eine Wiederentdeckung wert!
| Tracklist |
CD 1:
01:Wie tief kann man sehen
02:Frau nach Mitternacht
03:Feuer unterm Eis
04:Tiere
05:Ein großes Herz
06:Tierfilmer
07:Intro: Wenn ...
08:Wenn zwei (zueinander passen)
09:Gut Nacht
10:In Berlin
11:Alles schäumt
12:Süße Sünden
13:Lieb ich dich zu leise
14:Gewitter
15:Schlendern ist Luxus
16:Die Tänzerin
17:Junge am Fluss
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CD 2 (Hörbuch):
01:Mausolff und die anderen
02:Jonny
03:Perfect Match |
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Externe Links:
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