Angelika Niescier / Quite Simply
Quite Simply Spielzeit: 68:06
Medium: CD
Label: ENJA Records, 2011
Stil: Jazz

Review vom 08.11.2011


Wolfgang Giese
Nun, so ganz einfach ist es nicht, was uns die polnische Saxofonistin Angelika Niescier hier feil bietet, uns der Titel der Platte aber zu suggerieren scheint: "Quite Simply".
Seit 1981 lebt sie in Deutschland. Ihre Mitstreiter am Bass, Thomas Morgan, und am Schlagzeug, Tyshawn Sorey, stammen aus Kalifornien bzw. aus New Jersey. Beide sind in der modernen Jazzszene aktiv gewesen, bevor es zu dieser Zusammenarbeit kam.
Bereits der erste Titel weckt bei mir Assoziationen zu jener Musik, wie sie Ende der fünfziger Jahre von Ornette Coleman vorgelegt wurde, nur etwas 'moderner'. Beiden gemein ist das Altsaxofon. Beherzt nimmt der Schlagzeuger das Zepter in die Hand, treibt voran und zusammen lassen die Drei die Musik einfach fließen. Zwischendurch gibt es immer wieder Soli des Bassisten und des Drummers, letztlich eine gleichgestellte Konstellation, wobei jeder seine Art der Wichtigkeit für das Gesamtbild unter Beweis stellen kann. Beim ersten Track fällt mir stark auf, dass die Saxofonistin ihre Phrasierungen oft wiederholt, ich höre nicht viel Spannung und Abwechslung im Spiel.
Subjektiv betrachtet gefällt mir ihre Art zu spielen nicht so sehr, ich vermisse doch dieses zupackende emotionale Element, die Musik wirkt auf mich dann sehr emotionslos, sehr nüchtern und bisweilen sachlich. Der Star der Band ist für mich der Schlagzeuger, der einen gewissen Spannungsbogen erzeugt, der mich immer wieder zum Zuhören zwingt.
Bei Niescier habe ich diesen Eindruck weniger und manchmal scheint es, als würde sie lediglich Tonleitern hinauf und hinab spielen, ohne aus diesem Schema einmal auszubrechen. So wird das alte Bebop-Fieber, wie ich es mitreißenderweise von Charlie Parker so sehr schätze, nur ab und zu bemüht.
Wie ich schon schrieb, herrschen eher Elemente des Coleman'schen Spiels vor, die sich aber leider schnell erschöpfen, weil im Laufe der Platte nicht viele neue Impulse gegeben werden. Immer wieder gibt es Intervallsprünge, die Hitze des Bebop, aber mit freierer Ausgestaltung, dringt gelegentlich auch durch. Aber zu echten Begeisterungsstürmen kann mich das Ganze letztlich nicht verleiten. Fast alle Stücke gleichen sich recht stark, es fehlt mir ein spezieller Wiedererkennungswert. Nun denn, dazu ist es in erster Linie ja auch stark improvisierte Musik, jedoch noch weit entfernt vom freien Jazz.
Gleichwohl ist das, technisch und musikalisch gesehen, einwandfrei und nüchtern betrachtet, untadelig. Nur mir selbst fehlt da ein Quäntchen verschiedener Zutaten, die aus einer guten Platte eine hervorragende machen.
Der Ausdruck der Musik Angelika Niesciers ist dann am stärksten, wenn sich inmitten der Songs die Musiker zurücknehmen und versuchen, hierbei einen neuen Aufbau vorzunehmen, wie zum Beispiel auf einem der für mich interessantesten Titel, "Level 3", wo der Drummer wesentlich mitgestaltend ist. Mit "Uncertainty Principle" folgt dann eine Ballade, die am ehesten das aufweist, was ich sonst vermisse: eine Hinwendung zur Melodie, mit emotionalen Schlenkern in verschiedene Richtungen. Auch Track sechs von Braxton weist ein ähnliches Spannungsmuster auf und ich gewinne den Eindruck, als würde die Musik langsam an Ausdruck gewinnen, je näher ich mich dem Ende der Platte zuwende.
Demzufolge müsste "Bajazzo" der Höhepunkt werden, erreicht mein persönliches Traumziel jedoch nicht, obwohl mit dem gestrichenen Bass und dem getupften Schlagzeug das wie sanft entrückt klingende Saxofon in ein wattiges Bett gehüllt wird. Immerhin wird mit diesem Titel eine gewisse Lyrik verbreitet, die sich wohltuend von den versuchten Eruptionen abhebt, die keine sind. In diesen für mich spannendsten Augenblicken, also bei den ruhigen Liedern, fällt mir unter anderen auch ein Vergleich zur Spielweise von Ravi Coltrane ein, der manchmal sehr ähnliche Momente vorlegte. Die Länge des "Bajazzo" wird voll ausgereizt mit reichlichen Im- und Expressionen, und das Stück zählt für mich zu den besseren des Albums. Eines Albums, das für mich seine Stärke in den ruhigen Songs hat und das in den hetzenden Titeln zu wenig Kraft ausstrahlt, den Drummer einmal ausgenommen.
Line-up:
Angelika Niescier (alto sax)
Thomas Morgan (acoustic bass)
Tyshawn Sorey (drums)
Tracklist
01:Diffractions (11:41)
02:Mithra's Despair (8:52)
03:Congeniality (5:16)
04:Level 3 (5:40)
05:Uncertainty Principle (7:10)
06:69-0 (6:27)
07:Untitled (10:27)
08:Bajazzo (12:29)
(all compositions by Angelika Niescier, except #3 by Ornette Coleman, #6 by Anthony Braxton)
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