No Sinner / Boo Hoo Hoo
Boo Hoo Hoo Spielzeit: 38:26
Medium: CD
Label: Provogue Records/Mascot Label Group, 2013
Stil: Blues Rock


Review vom 26.02.2014


Jürgen Hauß
Anfang Januar habe ich in meinem Lieblingsplattenladen im Blues-Regal die erste Neuerscheinung des Jahres 2014 entdeckt: Eine neue - sprich: die neunte - Ausgabe der Promotions-Reihe
Where Blues Meets Rock aus dem einschlägigen Plattenlabel Provogue Records und angesichts des stets günstigen Preises sofort im Geiste den 'Kaufen-Button' gedrückt. Denn in dieser Reihe stellt Provogue in relativ regelmäßiger Folge das jüngste bzw. 'upcoming'-Output seiner Vertragskünstler vor (aktuell u. a. Robben Ford, Walter Trout, Robert Cray, Gov't Mule,
Popa Chubby, und da entdecke ich ständig interessante Songs bzw. Künstler, an denen ich bislang eher vorbeigehört habe.
Trotz der bereits getroffenen Kaufentscheidung habe ich noch vor Ort in die Scheibe reingehört, die vorliegend mit Beth Harts "Baddest Blues" von ihrem jüngsten Album Bang Bang Boom Boom startet, einem bekanntermaßen sehr ruhigen Song. Fünf Nummern weiter - nachdem mich gerade Johnny Lang ebenso wenig begeistert hat wie meinen RockTimes-Kollegen, wecken rhythmische, zugleich tiefe Tomtom-Schläge sofort mein näheres Interesse, bevor mich eine weibliche Stimme - was sage ich: Rockröhre! - im Stile zwischen der schon benannten Beth Hart oder auch einer Dana Fuchs geradezu umhaut! "Boo Hoo Hoo" heißt der Song von einer mir bis dato völlig unbekannten Band namens No Sinner.
Zwar wäre Provogue nicht Provogue, würde die vorliegende CD nicht ein Booklet enthalten, das die präsentierten Musiker wenigstens kurz vorstellt. Doch viel erfährt man über die Band an dieser Stelle nicht. Lediglich ihre Musik wird recht blumig wie folgt beschrieben: »No Sinner's music is about the clash between the sacred and the profane, the preacher and the devil, the sins of Saturday night at the local watering hole being washed away in the redemption of Sunday morning in church! In short, the very contradiction at the heart of rock'n'roll.« Und während ich "Boo Hoo Hoo" höre, denke ich: 'Wow wow wow! Ja, das hat was!' Viel Rhythmus, viel Soul in der Stimme der Leadsängerin, tolle Bass-Linie, und das Ganze recht flott daherkommend. In der Mitte des Songs plötzlich ein abrupter Tempo- und Stilwechsel hin zu einer Ballade im Stile der 70er Jahre (erinnert stark an Janis Joplin), bevor das Anfangsthema wieder aufgenommen wird. Nach knapp viereinhalb Minuten wird der Song allzu schnell ausgeblendet; nun gut, da kann die Band, die auch für die Produktion mitverantwortlich zeichnet, m. E. produktionstechnisch noch etwas dazulernen, aber egal: Ein toller Song ist "Boo Hoo Hoo" allemal, der bei mir sofort Appetit auf mehr machte. Der konnte gestillt werden, da die gleichnamige CD in der Rock- und Pop-Abteilung vorrätig war. Da auch die gesamte Platte von No Sinner beim schnellen Durchhören vor Ort einen ähnlich tollen Eindruck auf mich machte, habe ich auch diese sofort käuflich erstanden.
Das einfache Digipak gibt auch keine näheren Informationen zur Band. Bemerkenswert ist allerdings, dass sämtliche Musiker nur mit dem Anfangsbuchstaben ihres jeweiligen Vornamens aufgeführt sind, sodass man zunächst nicht einmal weiß, wieviel Männlein und Weiblein mitmachen. Innen ist lediglich ein Foto, auf dem, neben der Sängerin, zwei junge Männer zu sehen sind. Also ein Trio? Dafür spricht auch, dass sich im Line-up nach drei Namen eine Lücke findet. Laut der Homepage der Band gehören ihr aber noch zwei »rotating bassists« an (auf dem CD-Cover wiederum sind drei Bassisten aufgeführt). Egal - diese und weitere sie unterstützende Musiker (s. das unten abgedruckte Line-up) haben eine abwechslungsreiche CD in die Regale gebracht.
Die Band stammt aus Kanada, wo sie bereits im Jahr 2012 eine nicht näher betitelte EP veröffentlicht hat, von der sechs der vorliegend - leider nur - neun Songs stammen. Übrigens: Der Bandname No Sinner steht offenbar nicht in direktem Zusammenhang mit der eingangs zitierten Vorstellung der Band durch ihre Plattenfirma, sondern gibt - rückwärts gelesen - den Namen der erst 25-jährigen Sängerin Colleen Rennison wieder. Stilistisch wird man die Band am Besten dem Rock-Genre zuordnen, aber - getreu dem Titel der CD, durch die ich auf No Sinner aufmerksam geworden bin - die Band hat durchaus mehrfach den Blues getroffen!
Nach dem Opener "Boo Hoo Hoo" geht es mit "Love Is A Madness" zunächst etwas ruhiger weiter, bevor Rennison wieder die Rockröhre raushängen lässt. Das wechselt sich wiederholt ab, bis der Song mit einem Wah Wah-verzerrten Gitarren-Solo zu Ende geht. Das erste Gitarren-Riff des folgenden "Runnin'" erinnert stark an "Get It On" von T.Rex, doch bevor ich allzu sehr in Glamrock-Erinnerungen versinke, wird ordentlicher Rock geboten, aber die Ähnlichkeit flammt immer wieder auf.
"If Anything" ist ein toller Slow-Blues mit hartem Gitarren-Riff und kräftigen Drums. Colleen Rennison legt hier unheimlich viel 'Soul' in den Song. Mit dem von Nat Adderley komponierten Klassiker "Work Song" folgt eine Neuinterpretation der von Nina Simone vor rund 50 Jahren eingespielten Version. Das verursacht schon ein wenig Gänsehaut! "That'd Be The Day" ist im Prinzip ein reines Duett zwischen der sehr melodiös eingespielten E-Gitarre und Rennison's gospelartigem Gesang. Dezente, zudem nur vereinzelte Percussions-Klänge können an dieser Feststellung nichts ändern.
"Rise Up" ist wiederum eine wunderschön vorgetragene Ballade; die den Song untermalende 'Schweineorgel' sowie mehrere übereinander gelegte Gitarren geben ihm ein tolles musikalisches Volumen! Krachend folgt "Devil On My Back" - hier wird die Ähnlichkeit zu Beth Hart wieder sehr deutlich. Raue Gitarre und harte Drums machen daraus einen tollen Rocksong. Den absoluten Stimmungswechsel vollzieht die Band zum Schluss mit "September Moon"; auch dies wieder eine wunderschöne Ballade, die sich irgendwo im herbstlichen Horizont zu verlieren scheint. Doch Instrumentierung und Gesang steigern sich ein wenig ins Dramatische hinein, bis der Song letztendlich wieder sehr ruhig ausklingt. Irgendwie erwartet man - leider vergeblich - nochmals ein Aufbäumen oder - noch besser - einen 'hidden track', denn nach weniger als 39 Minuten Gesamtspielzeit möchte man eigentlich noch mehr von No Sinner hören.
Insgesamt sechs Songs der vorliegenden CD stammen aus der Feder von Mitgliedern der Band (im engeren Sinne), so dass man feststellen muss, dass sie auch kompositorisch Einiges draufhaben. Neben der bereits erwähnten Cover-Version des "Work Song" stammen die beiden Wahnsinns-Balladen "Rise Up" und "September Moon" hingegen von dem mir nicht näher bekannten kanadischen Musiker Ben Rogers.
Kleines Bonmot am Rande: Während das Album im Rest der Welt erst Mitte Januar diesen Jahres veröffentlicht wurde, war es in Deutschland bereits seit November letzten Jahres erhältlich. Warum diese Vorzugsbehandlung hierzulande? Ganz einfach: Die Band war Ende letzten Jahres in Deutschland auf Tournee, und da war es natürlich sinnvoll, ihren ersten Rundling bei den Konzerten und auch schon in den Plattenläden verkaufen zu können. Übrigens trat die Band dabei im Vorprogramm von der bereits mehrfach erwähnten Beth Hart auf, was sicherlich aus Sicht der Band eine gute Kombination war, konnte sie doch davon ausgehen, dass ihre Musik beim Beth Hart-Publikum ankommen würde. Und die Kundenbewertungen bei den einschlägigen Online-Händlern bestätigen dies. Nicht auszuschließen, dass sie dem Hauptact ein bisschen die Show gestohlen haben. Ich jedenfalls gebe für die Band einen eindeutigen Tipp jedem, der (Blues-)Rock mit weiblicher Röhre mag.
Line-up:
C. Rennison (vocals)
E. Campbell (guitar, piano)
I. Browne (drums, back-up vocals)
P. Bossley (bass)
M. Camirand (bass)
B. Ferguson (bass)
D. Herming (organ)
K. Tang (trombone)
L. Raymond (trumpet)
M. Pratt (tenor sax)
T. Sars (bari sax)
Tracklist
01:Boo Hoo Hoo (4:27)
02:Love Is A Madness (3:42)
03:Runnin' (3:27)
04:If Anything (3:17)
05:Work Song (4:31)
06:That'd Be The Day (3:27)
07:Rise Up (5:15)
08:Devil On My Back (5:40)
09:September Moon (4:43)
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