NoRMAhl / Jong'r
Jongr Spielzeit: 90:00 (DVD), 57:56 (CD)
Medium: DVD/CD
Technik:
Ton: Stereo
Bild: 16:9 - 1.77:1
Region: Region 2
FSK: Freigegeben ab 12 Jahren
Sprache: Deutsch

Regie: Sandro Lang
Label: 7us Media Group, 2010
Stil: Punk Rock

Review vom 15.11.2010


Moritz Alves
NoRMAhl gelten heute als älteste noch aktive Punk-Band Deutschlands. 1978 von fünf pickligen 14-jährigen Gymnasiasten in den baden-württembergischen Städtchen Winnenden und Leutenbach ins Leben gerufen, hat man mittlerweile mehr als 30 Jahre Musik auf dem Buckel. Anlässlich dieses für eine Punk-Band doch beachtlichen Jubiläums wurde im vorigen Jahr der Film "Jong'r" (schwäbisch für 'Junge') als Retrospektive auf die Jugend der Bandmitglieder realisiert. Nun erscheint der Streifen erstmals auch auf DVD, mit dem zugehörigen Soundtrack auf CD gleich mit im Gepäck.
Der Film "Jong'r"
Erzählt wird hier die Geschichte des Punk in einer schwäbischen Kleinstadt. Ende der Siebziger erlebte diese Jugendkultur bekanntlich in England ihre Hochphase, und auch Lars Besa und seine Freunde schickten sich seinerzeitt an, mit dieser Musikrichtung ein Zeichen gegen Langeweile und Spießbürgertum zu setzen. Doch niemand will die ländliche Idylle durch Anarchie und Chaos kaputt gehen sehen, und so stoßen die Jungs vielerorts auf taube Ohren, Unverständnis und Ignoranz.
Die beiden Drehbuchschreiber Emanuel Brüssau und Sandro Lang (Letzterer führte hier auch Regie) haben die frühe Bandgeschichte hier in authentischer Umgebung lebhaft inszeniert. Witzig ist dabei, dass Besa im Film die Vaterrolle verblüffend authentisch mimt, während der Sohn Fred von Aaron-Frederik Defant gespielt wird. Auch die restlichen Bandmitglieder schlüpfen in die Rollen ihrer eigenen Väter und erleben drei Dekaden später die damalige Familiensituation, in der man sich als Eltern und Kinder nicht unbedingt viel zu sagen hatte, neu. Die Alten schwelgen in ihren Rock'n'Roll-Erinnerungen und verarbeiten den Tod von Elvis Presley, während ihre Sprösslinge vollends in der Punk-Szene aufgehen - von Eltern und Lehrern unverstanden, machen die Jugendlichen komplett ihr eigenes Ding und durchleben dabei natürlich auch typische Teenie-Geschichten wie die erste große Liebe und den Konsum weicher Drogen.
Jetzt schon legendär ist übrigens Gotthilf Fischer in einer Gastrolle: Der 'Chorkönig' lehnt sich in einer Szene im Nachthemd aus dem Fenster um seine Nachtruhe einzufordern. Weltklasse ist außerdem auch die Szene, in der sich die NoRMAhl-Musiker in ihrer Eltern-Rolle lautstark am Stammtisch über das Verhalten ihrer Kinder echauffieren (u.a. muss natürlich auch der uralte Spruch »Unter Hitler hätt's das nicht gegeben!« fallen).
Auf einer Länge von 60 Minuten gibt's hier viel zu erzählen. Die kompakte Laufzeit wird der aufrührenden Dorfjugend der Protagonisten dabei zu jeder Sekunde gerecht. "Jong'r" wird nicht künstlich in die Länge gezogen, sondern bringt die Handlung immerzu prägnant auf den Punk(t). Auflockernd sind in diesem Zusammenhang gerade auch die witzigen Animationen zwischen den Szenen, die das Gesagte nochmals in urkomischem Gewand nachspielen.
Das Band-Feature
In der 30-minütigen Band-Dokumentation präsentieren sich die NoRMAhl-Musiker als sehr sympathische, bodenständige Typen. Anhand von vielen verschiedenen Schätzchen aus dem Bandarchiv lassen sie ihre Historie, gespickt mit haufenweise Anekdoten, Revue passieren. Man schwelgt in Erinnerungen und präsentiert teils haarsträubende, teils lustige Stories zu 30 Jahren NoRMAhl. Die Entwicklungen des deutschen Punk und dieser Band sind untrennbar miteinander verstrickt und werden anhand der kurzweiligen Dokumentation nachvollziehbar und kurzweilig abgehandelt.
Es kommt Freude auf, wenn die Jungs zu Beginn ihre Definition von Punk Rock zum Besten geben, und Lars Besa einfach nur zu schreien anfängt - später gehen sie dann noch genauer auf ihre Meinung zum Punk ein und reflektieren zudem, was ihre Band eigentlich ausmacht. Man erfährt, dass Gitarrist Mick Scheuerle früher der Gitarrenlehrer des alten Gitarristen war, muss schmunzeln, wenn Besa augenzwinkernd erzählt, dass er damals froh war, seinen 21. Geburtstag überhaupt erlebt zu haben und stellt dankbar fest, dass der Sänger auch heute noch der Meinung ist, etwas in diesem Land ändern zu wollen.
Desweiteren erfährt man die Entstehungsgeschichte des Songs "Schlägerpolizist", lernt, dass NoRMAhl - trotz vieler Spaßlieder - auch immer den Anspruch hatten, eine politische Band zu sein und muss dabei oftmals laut lachen, wenn die Herren haarsträubende Geschichten von ihrer ersten Hallentour 1983 sowie ihrer damaligen Ungarn-Stippvisite vom Stapel lassen. Natürlich widmen sie sich auch dem obligatorischen Thema Rechtsradikalismus, der ja speziell in den Neunzigern eine große Rolle in Deutschland spielte und die Band damals die Aktion "Kein Hass im Wilden Süden" initiieren ließ. Ein Highlight ist schlussendlich, wie die Musiker ihre zwischenzeitliche Auflösung von 1996 bis 2002 mit dem angeblichen Verschwinden des Bassisten Manny Rutzen begründen, der damals als Rapper unter dem Namen "Die Fantastischen Vier" einer Vision folgend nach Afrika aufgebrochen sein soll… - Über die Streitereien, die es damals in der Band gegeben haben soll, deckt man heute wohl lieber den Mantel des Schweigens.
Der Soundtrack
Die Audio-CD ist vollgestopft mit 19 (neu eingespielten) NoRMAhl-Songs und die perfekte Ergänzung zum Film. Man bekommt hier eine gute Stunde urdeutschen Punk Rock auf die Ohren und ist als Fan erfreut auch neun bisher unveröffentlichte Tracks, darunter fünf brandneue Lieder, zu hören. Nach dem Opener "Berlin" kommt das Sex Pistols-Cover "Holidays In The Sun" sehr authentisch rüber; "Nach all den Jahren" ist ein leicht melancholischer, nostalgischer Rückblick auf die alte Zeit (NoRMAhl im Deutschrock-Gewand!), "Deutsche Waffen" darf man in einer aktuellen Live-Version hören (Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg wird in der Ansage erwähnt) und "Suspicious Minds" ist natürlich ein (gelungenes) Elvis-Cover, das die Gruppe passend zur Filmhandlung eingespielt hat. Darüber hinaus beinhaltet die Silberscheibe neben einigen Bandklassikern (z.B. "Darum bleib ich Punk", "Geh wie ein Tiger") auch zwei Instrumental-Tracks aus dem Film (das Piano-Stück "Pink Tiger" und die Soundspielerei "White Mouse") sowie eine kultig-komische Volksmusik-Version von "Durst".
Fazit
"Jong'r" ist ein erfrischendes, überaus wertiges Jubiläumspaket geworden - weitab von herz- und lieblosen Best-of-Zusammenstellungen, die üblicherweise gerne zu runden Bandgeburtstagen auf den Markt kommen. Hier haben sich Regisseur Sandro Lang und die NoRMAhl-Jungs alle Mühe gegeben, mit schmalem Budget einen grundehrlichen, höchst amüsanten Streifen plus passendem Soundtrack einzutüten, der den Zeitgeist der späten Siebziger wunderbar ins neue Jahrtausend katapultieren kann. "Jong'r" ist zu gleichen Teilen Unterhaltung und einfache Geschichtsstunde, denn Spätgeborene und NoRMAhl-Neulinge werden mit dieser DVD gleichermaßen bedient und glücklich gemacht. Bei diesem künstlerischen Vermächtnis wurde erfreulicherweise rundum ganze Arbeit geleistet! Hut ab und Daumen hoch!
Line-up:
Lars Besa (Gesang)
Mick Scheuerle (Gitarre)
Manny Rutzen (Bass)
Raimund 'Scobo' Skobowsky (Schlagzeug)
Tracklist
Tracks Soundtrack:
01:Berlin (2:32)
02:Holidays In The Sun (3:32)
03:Darum bleib ich Punk (3:40)
04:Nach all den Jahren (4:43)
05:Geisterstadt (1:50)
06:Große Chance (4:08)
07:Pink Tiger (Instrumental aus dem Film) (2:52)
08:Verarschung Total (2:06)
09:Deutsche Waffen (Live) (3:34)
10:Nimm mich mit (3:47)
11:White Mouse (Instrumental aus dem Film) (3:00)
12:Durst (Volksmusikversion) (2:26)
13:Claudia (3:24)
14:AVC (1:30)
15:Suspicious Minds (3:44)
16:Rockabilly Jimmy (2:42)
17:Geh wie ein Tiger (3:36)
18:Virtual Life (3:08)
19:Suspicious Minds (Reprise) (1:44)
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