Paatos / Silence Of Another Kind
Silence Of Another Kind
Diese Schweden werden mir schon irgendwie unheimlich, und wieder verbreitet sich in mir ein Ohnmachtgefühl, Musik mit Worten nicht gerecht zu werden.
Hier wird Musik in ihrer intensivsten und intimst-komplexen Art zelebriert, ohne technisch gar zu dick aufzutragen.
Die einzelnen Tracks sind stets darauf bedacht, kleine feine Meisterwerke zu sein, emotional mitzureißen und große interpretatorische Leidenschaft an den Tag zu legen.
Es gibt wohl wenige Bands, die eine gewisse Leichtigkeit in ihrer musikalischen Kunst so zu transportieren vermögen.
Die größtenteils fesselnden Arrangements bilden den passenden Rahmen, um Petronellas zauberhaften, fast feenhaften Gesang zu voller Blüte erwachsen zu lassen und dabei per se Facetten ihres stimmlichen Spektrums zu offenbaren, die weit über die Verletzlichkeit bzw. Melancholie hinausweisen, welches für die Nordlichter so charakteristisch sind.
Die Protagonisten sind wahrhaftig ausgeprägte Melodiker, welche alle konzentriert arbeiten, vertieft und überlegt, ohne den Songs zu viel Kopflastigkeit zu verleihen.
Sparsame Phrasierung, in der einfache, stellenweise schon popkompatible Melodiebögen, mühelos dahinschweben, vermittelt dem Zuhörer das Gefühl, von sanften Wellen getragen, nur so dahinzufließen.
Paatos hat sich im Jahr 2006 etwas der raueren, organischen Musizierweise zugewandt. Die Band um Sängerin Petronella Nettermalm und ihr trommelnder Ehemann Ricard Huxflux erwecken eine zurückhaltende, zutiefst melancholische Stimmung, und paaren diese mit innovativem Kontext, was die musikalische Außenseiterposition und gleichzeitige Homogenität der verarbeitenden Ideen betrifft.
Es wird im Ganzen musiziert wie man es beileibe im Jazz gewohnt ist, und der zusätzliche Einsatz von Streich- und Blasinstrumenten versprühen einen zarten Hauch von progressiver Kammermusik.
Mit gehörigen Charme intoniert das Quartett seine bittersüßen Vignetten des alltäglichen Lebens zwischen Trotz, schwärmerischer Verzweiflung und pathetischer Sehnsucht, mit Eleganz und Esprit in des Konsumenten geneigte Gehörgänge.
Die Musiker lösen sich bewusst und mit Bravour vom Überladenen, alles erdrückenden Progrock und erlauben, bei einer Spielzeit von gerade einmal zweiundvierzig Minuten, das weniger anstrengende und geduldigere Hörerlebnis.
Den Schweden gelingt es mit ihren minimalistischen Einsatz von konventionellem Rock- Instrumentarium einen enorm, dichten Soundteppich zu weben.
Das intelligente, komplexere Schlagzeugspiel und die äußerst variable, aber diesmal etwas kraftvolleren Gitarrenparts von Peter Nylander bieten dennoch fließende, dynamische Harmonik bzw. Melodik, welche direkt in jedes emotionale Gehirnzentrum vordringt.
Der sehr verträumt, verspielt laszive Gesangstil von Frau Nettermalm gebüren unweigerlich zusätzliche Bewertungspunkte für den erotischen Aspekt, in den von hintersinniger Undurchdringlichkeit und sinnesbetörender Simplizität behafteten Kompositionen.
Das klassische Mellotron umhüllt die musikalischen Kleinode stets stilvoll und zurückhaltend wie eine Portion flauschige Zuckerwatte.
Petronella scheint in den dezent wirksamen Grooves ihrer vier Mitstreiter und der Grazie ihrer Melodien aufzugehen.
Egal ob das rockige, am Mainstream angelehnte "Shame", das entspannte, verletzliche "Falling", ein hypnotisches und mit Soundcollagen durchdringendes "Still Standing", oder gar das sakrale, von morbiden Streicherintonationen durchflochtene "Not A Sound", den stimmlichen Zauber dieser Frau kann man sich einfach nicht verschließen.
Was Petronella Nettermalm über den Namen des neuen Albums spricht, sagt eigentlich viel über die Musik der Stockholmer aus:
"Der Titel ist dem Song "Not A Sound" entnommen, der sich mit Unwägbarkeiten des Lebens befasst.Wenn du denkst, dass alles seinen gewünschten Gang geht, geschieht oftmals etwas, dass du weder kontrollieren noch verhindern kannst. Womöglich verlierst du einen dir nahestehenden Menschen. Ich glaube, wir alle kennen dieses Gefühl, wenn einem der Boden unter den Füssen weggezogen wird, wenn die Welt für eine Sekunde still zu stehen scheint und man nicht weiß, ob ohrenbetäubender Lärm im Schädel tobt oder lähmende Stille herrscht."
Die stimmungsvollen, facettenreichen Songs tragen bei aller Fragilität noch eine lebensbejahende Note, die einem den letzten Rest Winterfrust vom Herzen schmelzen lässt.
Die Instrumentalisten sind einfach nur gut in der Ausübung ihrer Berufung. Da mutieren der Bass zu Fleisch, die Gitarre zum Leib, das Schlagzeug zu klarem Wasser, welche von Petronellas eindringlicher Stimme mit beflissener Sensibilität vehement zerteilt wird.
Dabei wirkt es geradezu erfrischend, das zeitweilig härtere Gitarrentöne noch an Schärfe dazugewinnen. So scheint die Tour 2004 mit The Gathering ihre Spuren bei den Protagonisten hinterlassen haben.
Fast bin ich eingeschüchtert, ob der grandiosen Klangmalereien und des virtuosen und so klangvollen Spiels.
Abgemischt wurde das, wie immer von der Band selbst produzierte, Album unter der Regie von Janne Hansson im legendären Stockholmer 'Atlantisstudio', der mit seinem analogen Equipment besagtem organischen Sound den letzten Schliff verlieh.
Paatos wagen schon jetzt einen weiteren Schritt in die Zukunft der anspruchsvollen Rockmusik.
Es bleiben nach dem Hörerlebnis ein salziger Geschmack auf den Lippen und eine balsamierte Seele zurück.
Diese zeitlose Perle zählt zur wundervollen Musik, die in meiner Schatztruhe einen Ehrenplatz bekommen wird.
"Silence Of Another Kind" ist Pflichtprogramm für alle romantischen Seelen und Melancholiker unter uns und es bleibt zu hoffen, dass diese Band nun endlich die Achtung und den Erfolg bekommen den sie verdienen.
Die Erstauflage erscheint in aufwändig gestaltetem Gimmick-Digipack.


Spielzeit: 42:08, Medium: CD, InsideOut, 2006
1:Shame 2:Your Misery 3:Falling 4:Still Standing 5:Is That All? 6:Procession Of Fools 7:There Will Be No Miracles 8:Not A Sound 9:Silence Of Another Kind
Ingolf Schmock, 19.05.2006
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