Pain Of Salvation / Scarsick
Scarsick Spielzeit: 67:52
Medium: CD
Label: InsideOut Music, 2007
Stil: Progressive Metal

Review vom 13.01.2007


Moritz Alves
Pain Of Salvation, dachte ich mir... Das waren doch diese Schweden, die seit 1996 für hochwertigen, progressiven Metal standen, in Musikerkreisen hochangesehen waren und darüber hinaus durch ihren Geheimtipp-Status bestachen... Mit "Scarsick" liegt mir nun das neueste Werk der Mannen um Mastermind Daniel Gildenlöw vor, das mich erst mal mit offenem Mund und ungläubigem Blick verharren lässt. Eine derartige Vielseitigkeit, einen derartig modernen Sound hätte ich niemals erwartet!
Zwar gehörten laut Gildenlöw Überraschungen schon immer zum Konzept von Pain Of Salvation. Ich aber finde, dass die Band auf "Scarsick" den Bogen etwas überspannt. Die Stilvielfalt lässt in meinen Ohren den berühmten roten Faden ein wenig vermissen: Es werden einfach zu viele verschiedene Musikstile auf dem Album untergebracht. Andererseits muss ich trotzdem sagen, dass der Silberling in seiner Gesamtheit nicht wirklich sperrig auf mich wirkt, was an den Songs liegt, die - separat betrachtet - doch recht gut ins Ohr gehen und mit teilweise poppigen Elementen durchaus den Geschmacksnerv treffen können.
Die Spielarten reichen dabei von Nu-Metal-Zitaten über Alternative Rock bis hin zu Dance-Elementen. Progressive Metal in seiner 'Normalform' (sofern es so was denn gibt), findet sich eher im zweiten Teil der Platte. So lassen mich der Titeltrack oder "Spitfall" mit ihren HipHop-Anteilen und heruntergestimmten Gitarren erst mal eine ablehnende Haltung einnehmen und ich frage mich, ob denn wirklich die richtige CD im Player liegt.
Ein Bandname wie Clawfinger erscheint mir das ein oder andere Mal vor dem inneren Auge. Gildenlöw macht seine Sache jedoch erstaunlich gut. Beide Songs klingen derart professionell, dass man denken könnte, der Mann würde zeit seiner Karriere diesem Stil frönen. Der dritte Titel, "Cribcaged", präsentiert sich dann als melodisches, modernes Rockstück mit schönem Refrain, während bei "America" die Pop-Anteile deutlich überwiegen. Der Tralala-Refrain lädt zum Mitsingen ein.
Soweit so gut. Das nun folgende "Disco Queen" setzt alledem dennoch die Krone auf. Discobeats, die Keyboard-Dominanz und ein mordsmäßiger, tanzbarer Groove erinnern an die Popmusik der 70er und 80er Jahre. Der Name des Songs ist hier wahrlich Programm! Ich frage mich, ob ein derart unorthodoxes Stück im Kontext einer Pain Of Salvation-Scheibe nicht völlig fehl am Platze ist... Gleichwohl erwische ich mich dabei, wie mein Fuß mitwippt und komme zu dem Schluss, dass das Stück ja doch irgendwie ganz geil ist.
Damit ist 'Teil A' zu Ende und ich weiß nicht recht, was ich von dem bisher Gehörten halten soll. Ich ziehe die Zwischenbilanz, dass Pain Of Salvation ihre Sache irgendwie gut machen und dabei zeigen, dass sie in vielen verschiedenen Stilen zu Hause sind. Kein Song klingt wie 'gewollt und nicht gekonnt', alles ist sehr professionell arrangiert und umgesetzt. Diese Band lässt sich offenbar nicht stilistisch festlegen.
'Teil B' beginnt mit "Kingdom Of Loss", einer ruhigen, atmosphärischen Nummer, dessen schöne Melodielinien mich zum Träumen einladen. Der Song beinhaltet darüber hinaus gesprochene Passagen und gegen Ende verspielte Lead-Gitarren. Meiner Meinung nach einer der klassischeren Tracks auf "Scarsick".
Das folgende "Mrs Modern Mother Mary" zeichnet sich durch ordentlichen Groove aus, bleibt aber an sich eher uninteressant.
"Idiocracy" ist dann wieder etwas sperriger und gefällt mir durchaus gut. Getragene Melodien und der mit Bratgitarren unterlegte Refrain, aber gerade auch die letzten 30 Sekunden des Liedes (Pianomelodie, zerbrechlicher Gesang) überzeugen und erfreuen mich.
Auch "Flame To The Moth" ist gut: Musikalisch perfekt arrangiert, passt er sich stilistisch den beiden vorangegangen Nummern hervorragend an.
Es ist aber der letzte Track, "Enter Rain", welcher dann in meinen Augen das absolute Highlight der Platte darstellt! Es ist mir unverständlich, weshalb diese Perle erst am Ende kommt, aber ich bin hellauf begeistert! Solch musikalische Qualität hatte ich eigentlich auf Albumlänge erwartet. "Enter Rain" ist ein melancholisches, getragenes, balladeskes Stück, dass nur im Refrain druckvoll und rockig wird. Gildenlöw singt einfach wunderschön, und die Gitarrenarbeit ist ebenfalls phänomenal. Ein großartiger, abwechslungsreicher Song, der mir die progressiven Qualitäten von Pain Of Salvation deutlich vor Augen führt. Schade, dass Songs dieses Kalibers auf "Scarsick" so rar sind.
Alles in allem lassen die musikalischen Experimente auf auf 'Teil B' der Scheibe nach. Hier wird Songmaterial geboten, dass generell progressiver und genretypischer ausgefallen ist und das man daher schon eher in die Schublade 'Progressive Metal' einsortieren kann.
Fazit: Pain Of Salvation ist mit "Scarsick" ein eher durchwachsenes Album gelungen, dass auf alle Fälle einige Durchläufe im Player benötigt, um seine Trümpfe ausspielen zu können. Zwar gehen die ersten fünf Songs schnell ins Ohr, sind für Anhänger der Band aber unter Garantie gewöhnungsbedürftig, wenn nicht gar abschreckend. Diese sollten dem Silberling dennoch eine faire Chance geben, da sie ab Nummer sechs ansprechendere Kost erwartet. Trotzdem: Mit Stilelementen aus HipHop und Pop wird es für die Band schwer sein, ihrer Anhängerschaft gerecht zu werden. Da kann "Scarsick" mit einem noch so tollen lyrischen Konzept aufwarten, das sich mit sozialkritischen Themen befasst.
Tracklist
01:Scarsick
02:Spitfall
03:Cribcaged
04:America
05:Disco Queen
06:Kingdom Of Loss
07:Mrs Modern Mother Mary
08:Idiocracy
09:Flame To The Moth
10:Enter Rain
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