Perfect View / Hold Your Dreams
Hold Your Dreams Spielzeit: 59:34
Medium: CD
Label: Avenue Of Allies, 2010
Stil: AOR

Review vom 17.10.2010


Jürgen Hauß
AOR, Melodic Rock aus Norditalien hatte mir die RockTimes-Redaktion angekündigt, als mir jüngst eine neue Lieferung aus Trulben auf den Tisch flatterte. Und dabei kann man den Begriff 'Flattern' fast wörtlich nehmen. Lediglich eine 'nackte' CD (ausdrücklich als Promo-Exemplar beschriftet!), eingewickelt in ein zweiseitiges Booklet, das Ganze in eine dünne Cellophan-Tüte verpackt, liegt da vor mir. Man kann der Plattenfirma keinen Vorwurf machen, dass sie allzu großzügigen Aufwand für ihre Künstler betreibt, oder gar versucht, den Rezensenten durch ein opulentes Paket zu beeinflussen!
AOR, Melodic Rock aus Norditalien: Derartige Musik von jenseits der Alpen ist mir bislang noch recht selten zu Ohren gekommen; insbesondere die im Promo-Zettel genannten Bands Edge Of Forever, Shining Line, Wheels On Fire, Skill In Veins, Planethard, Moonstone Project sowie Hungryheart sind an mir bislang völlig vorbeigegangen, obwohl sie sämtlich in jüngerer Vergangenheit auf RockTimes Erwähnung gefunden haben. Warum also nicht einmal Italo-AOR auf die eigenen Ohren?
Da ich eine längere Autofahrt vor mir habe, entscheide ich mich dafür, die Scheibe sofort einem ersten Hörtest zu unterziehen, erwarte ich doch Musik à la Toto, Journey, Saga, eventuell auch Europe, zumal mich das Cover der CD in seiner Farbgebung sehr an deren Album "Wings Of Tomorrow" erinnert. Gute-Laune-Musik der härteren Sorte also und damit ansprechende Wegbegleitung. Und ich werde insoweit auch nicht enttäuscht.
CD und ersten Gang eingelegt, und beides startet gleichzeitig. Der Motor schnurrt, und der Einsteiger "A Better Place" klingt verdammt nach Totos "Hold The Line". Angenehm zu hören, umgekehrt aber auch nicht so interessant, dass mich die Musik vom Straßenverkehr ablenken könnte. Und, ich kann die musikalische Reise abkürzen: So geht es fast durchgängig weiter. Eingängige Musik, 'easy listening' der lauteren Art, aber nichts wirklich Interessantes, geschweige denn Neues. Das klingt in der Tat nach den soeben bereits genannten Vorbildern, zudem an Foreigner oder auch Scorpions. Oftmals mehrstimmiger, in hohen Tonlagen angelegter Gesang, harte Gitarrenriffs, drückende Drums, dazwischen immer wieder sphärenartige Keyboardklänge. Alles technisch ausgereift, auch die Produktion der Songs lässt klanglich wie technisch keine Wünsche offen. Doch künstlerisch im Sinne einer eigenen musikalischen Kreativität? Fehlanzeige!
Eine rote Ampel zwingt mich zum Anhalten. Plötzlich vernehme ich das Geräusch eines startenden und davonbrausenden Motorrades. Während ich mich noch umschaue, auf welcher Seite ich denn nun überholt werde, kracht ein aus harten Drums und Gitarrenriffs bestehendes Soundgewitter über mich hernieder. Tatsächlich war es ein kleines Gimmick der Band als Hinweis möglicherweise dafür, dass jetzt eine etwas härtere Gangart eingelegt wird. Aber auch das ist alles andere als innovativ. Liegt es am Tempo dieses Songs, dass er mit dreieinhalb Minuten der kürzeste Titel des Albums ist?
Tempo und Stil bleiben auch beim folgenden "Don't Turn Away" erhalten, doch schon bei "Hold Your Dreams" muss ich nicht nur verkehrstechnisch mehrere Gänge herunterschalten. Die - sicherlich elektronisch erzeugte - Glasharfe zitiert jetzt mit Styx einen weiteren typischen Vertreter des Genres.
Mit "Where's The Love" geht die Fahrt auf der vorliegenden CD zu Ende; musikalisch ist es ein langsames, langanhaltendes und durchaus angenehmes 'Ausrollen'. Während meiner Fahrt habe ich überhaupt nicht wahrgenommen, dass die CD bereits einmal 'durch' ist, da sie wieder von vorne weiterspielt. Keiner der Songs hat jedoch bei mir einen derartig nachhaltigen Eindruck hinterlassen, dass mir seine wiederholte Wiedergabe spontan auffällt. Dies ist auch ein Grund dafür, dass ich vorliegend nicht auf jeden Song im Einzelnen eingehe. Zu wenig differenziert ist das Repertoire; man ist schon versucht, von einer gewissen Beliebigkeit zu sprechen.
Perfect View sind zwar eine junge Band; die Musiker spielen erst seit zwei Jahren zusammen, haben aber alle eine längere musikalische Vergangenheit bereits hinter sich. Drei der Mitglieder wurden in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts geboren (für die Bandgründer Massimiliano Ordine und Francesco Cataldo habe ich keine Altersangaben ermitteln können), sind also in sehr jungen Jahren mit dem AOR in Berührung gekommen. Dass sie diese Musik nunmehr verinnerlicht haben und selbst interpretieren, kann man ihnen nicht zum Vorwurf machen. Aber wirklich Neues bringen sie damit nicht zu Gehör.
Als dennoch durchaus positives Fazit möchte ich den geschätzten Mike Kempf aus seinem Review über die CD Another Paradise von der eingangs genannten Band Edge Of Forever zitieren: »Ich habe eine sehr angenehme Platte gehört, der ich auch eine Kaufempfehlung, zumindest für Liebhaber des Melodic Rocks, aussprechen kann. Vorab halte ich aber ein Reinhören für unabdingbar, da man hier auch nichts Neues zu erwarten hat. Das Scheibchen reiht sich unter vielen guten Tonträgern im Stil der Achtziger Jahre ein, nicht mehr, aber auch nicht weniger.«
Dem ist für die vorliegende Scheibe eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. "Hold Your Dreams" ist weniger zukunftsorientiert als der Titel aussagen soll; eher schon vergangenheitsbezogen im Sinne von: Behalte Deine Erinnerungen an die Zeit, als derartige Musik wirklich zeitgemäß war, ja vereinzelt sogar als 'progressiv' beschrieben werden konnte.
P.S.: Ich habe meinem Review natürlich nicht ausschließlich die Eindrücke zugrunde gelegt, die mir beim Anhören der CD während einer Autofahrt 'zugeflogen' sind, sondern der Scheibe noch eine weitere Chance bei voller Aufmerksamkeit gewährt; an meinem Gesamteindruck hat sich dadurch nichts geändert.
Line-up:
Massimiliano Ordine (lead & backing vocals)
Francesco Cataldo (guitars & backing vocals)
Pier Mazzini (keyboards & backing vocals)
Christian Guerzoni (bass)
Luca Ferraresi (drums)
Tracklist
01:A Better Place (5:13)
02:Closer (3:44)
03:One More Time (4:44)
04:Believe (4:23)
05:A Reason To Fight (5:41)
06:I Need Your Love (4:58)
07:Run (3:31)
08:Don't Turn Away (4:05)
09:Hold Your Dreams (5:37)
10:Showtime (6:27)
11:Speed Demon (5:01)
12:Where's The Love (6:08)
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