Porcupine Tree / Anesthetize
Anesthetize Spielzeit: 130:00
Medium: DVD
Region 2
Englisch
PAL, 4:3 Vollbild
Dolby Digital 5.1 Surround, Dts 5.1 Surround
Dolby Digital 2.0 Stereo
Label: Kscope Music/Edel Germany, 2010
Stil: New Art Rock


Review vom 01.06.2010


Ingolf Schmock
Der Studiotüftler und musizierende Perfektiomane Steven Wilson beherzigte in den letzten Jahren die einfachen Grundregeln des ellenbogigen Musikgeschäftes, in aller Regelmäßigkeit seine verkopften Rockgeburten auf den freudetrunkenen Konsumenten und dessen Futternäpfe zu verteilen.
Trotz aller Nebentätigkeiten des arbeitswütigen Briten, sind der Pudels Kern nach wie vor die anfangs noch genialisch-sperrigen und mittlerweile der Harmonie geschuldeten bzw. moderaten Progressive Rock-Schule verhafteten Kameraden Porcupine Tree, welche nur allzu gern wiederholt und konsequent, ihre konzeptionellen Prog Metal-Werkschauen auf das durchaus kritische Publikum konzertant verteilen.
Kurzum, man miete sich eine mit dem nötigen technischen Know-how ausgestattete Lokalität, eine höchsten Ansprüchen entsprechende Film-Crew und erteile an zwei Oktober-Abenden den entsprechenden musikalischen Ablass für eine buntgemischte Zuhörerschaft, um selbiges für etwaige Saure-Gurken-Zeiten zu konservieren.
Herr Wilson und seine Combo erteilten, zu diesem mittlerweile betagten Anlass, mitnichten Lehrstunden elaborierter Progkünste sondern das großzügige Angebot, dramaturgisch glücklich gestaltete Verquickungen von Metal-kompatiblen Refrains und komplex arrangierten Retro-Symphonien als befreiende Lektion zu benutzen. Die fünfköpfige Band auf der Bühne des Tillburger '013' führte dabei sämtliche musikalische Etikettierungen in die Irre, Ausflüge zum Prog als auch in den Classic Rock, zu den Wurzeln des Metal mit dem Hang zum Gasfuß sind zu vernehmen, mischten selbst pastellene Klangfarben auf derselben Palette und lässt selbst unwirsche Schwermetaller zu profund veritablen Rockfans läutern.
Das gegenüber dem Vorgänger kunstvollere und durchkonzipiertere 2007er Gesamtwerk
Fear Of A Blank Planet wurde hierbei auf das sorgfältigste raffiniert, welches seinen soundatmosphärisch vollgepumpten Grundtenor und konzeptionelles Gusto einst aus Bret Easton Ellis' Romanvorlage "Lunar Park", einem düsteren Teenager-Bild zwischen Computersüchten und verschreibungspflichtigen Medikamenten schöpfte, und deren Wilson'sche Nachzeichnung einer entfremdeten Jugend gegenwärtig immer noch erschreckend vertraut erscheint.
So werden die sechs nahezu perfekt arrangierten Studiokonstrukte, inklusive dem aus Floyd'schen Erfahrungsschätzen entrissenen, an atmosphärischer Monstrosität wohl kaum zu überbietenden Viertelstünder und Stempel für dieses filmische Szenario "Anesthetize", auf den niederländischen Konzertbrettern zu vitalisierten Ungetümen erhoben und ohne visuelle Irritationen ins rechte, hochauflösbare Bild gerückt.
Wie zu erwarten, nutzen der Held aus einer eher vergangenen Hippiezeit und seine musizierenden Schopenhauer-Hirngespinste, insbesondere der vielarmige Trommelflüsterer Gavin Harrison und Tasten-Laborant Richard Barbieri die erhebliche Angriffsfläche ihrer instrumentalen Fähigkeiten für reichliche Eskapaden, ohne dabei die metallenen Streitäxte ihrer Kameraden zu begradigen - zelebrieren stattdessen ein kollektives und flammendes Plädoyer für Vielfalt und Fantasie in der Rockmusik.
Die Idiosynkrasien der mehr oder weniger statisch agierenden Briten in einer aseptisch anmutenden Kulisse mit allerlei sinistrem Video-Hintergrund Flickzeug bemühen sich redlich, ihr polarisierendes Potential und nicht das weihevolle Beweihräuchern der eigenen Virtuosität zur Geltung zu bringen. Weit entfernt vom selbstgefälligen Breitwandstumpfsinn praktiziert sich die manische Vielschichtigkeit der konzertanten Brocken in wiederkehrendem akustischen Schönklang und Saitenkünsten der alten Rush-Schule, sie versprühen aber dennoch auch ihr eigentümliches Gift, wenn sie in strukturiertem Griffbrett-Gewichse ungestüm voranpreschen. Elegischer Elektro-Schnickschnack erbietet sich eher als passables Leitmotiv, als dass selbiges das Gesamt-Hörbild zu trüben vermag, untermalt dagegen die sarkastischen Endzeit-Lyriken und die szenisch sonst ungelenken Aktionen der Protagonisten.
Die einst als fiktive Kellerband erkorenen Hauptdarsteller versuchen auch im zweiten Konzertteil gleichermaßen ihren erhöhten Ansprüchen und musikalischen Fieberträumen aus geschmiedeten Gitarrenriffs nebst wohltemperierten synthetischen Klangkörpern gerecht zu werden und appellieren mit vergorener "Signify"-Früh-Psychedelia und unterkühlter dennoch melodieangereicherter "In Absentia"-Perlen an den grenzüberschreitenden Geschmack ihrer Bewunderer.
Die ruckelfreien und mit sparsam implantierten cineastischen Spielereien von Haus-Kameramann Lasse Hoile nuancieren das allenthalben gesättigte Bild, wenn auch nur im 4:3 Format, lassen aber selbst den anfänglichen Einzug der Gladiatoren zum Erlebnis werden.
Die 5.1 Surround-Tonspur übertrifft mit ihrer üppigen und dynamisch ausgewogenen Akustik alle Erwartungen und könnte sich zu einer endlichen Freundschaft zwischen so manchem heimischen Subwoofer und den lieben Nachbarn entwickeln. Hier ist es wieder einmal die fast greifbare Intensität des Drehortes, das unverwechselbare bzw. engagierte Spiel aller Beteiligten, sowie die größtmögliche Qualität der Aufnahmen, welche diese DVD krönen und zum kauftechnischen Eigenbedarf nötigen.
In diesen Zeiten der isoliert abrufbaren Musik-Häppchen wirkt das höchstwahrscheinlich aus zwei Abenden zusammengefügte 130-minütige Konzerterlebnis wie eine stimmig geschlossene Einheit sowie gleichzeitige Salbung für den musikalisch schulterblickend aber dennoch zutiefst modern denkenden Konsumenten.
Line-up:
Steven Wilson (guitars, vocals)
Colin Edwin (bass)
Richard Barbieri (keyboards)
Gavin Harrison (drums)
John Wesley (guitar, backing vocals)
Tracklist
01:Intro
02:Fear Of A Blank Planet
03:My Ashes
04.Anesthetize
05:Sentimental
06:Way Out Of Here
07:Sleep Together
08:What Happens Now?
09:Normal
10:Dark Matter
11:Drown With Me
12:Cheating The Polygraph
13:Half-Light
14:Sever
15:Wedding Nails
16:Strip The Soul/Dot Three
17:The Sleep Of No Dreaming
18:Halo
19:Outro
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