Fritz Rau: Denn Live ist Leben!
Interview Teil II
Fritz Rau Eine Begegnung mit Konzertveranstalter-Legende Fritz Rau



Interview vom 04.01.2011
Fotos: ©Axel Clemens


Ingolf Schmock
RockTimes: Gerade jährt sich zum 40. Mal der Todestag von Jimi Hendrix. Wie erlebten Sie die letzten Begegnungen mit dem Gitarristen?
Fritz Rau Fritz Rau: Ich habe ab 1969 alle Deutschland-Konzerte, und tragischerweise auch seine letzten betreuen dürfen. Die beiden letzten waren im September 1970. Ein gelungenes Festivalkonzert in der Berliner Deutschland-Halle, und der missglückte Auftritt auf der Nordseeinsel Fehmarn bei katastrophalen Bedingungen, vor allem wegen des schlechten Wetters. Die Veranstalter waren überfordert und haben das Festival verlassen. Dies führte schließlich dazu, dass die als Ordner engagierten Hell's Angel die Bühne anzündeten und damit das Festival beendeten, so dass die später disponierten Bands wie Ten Years After nicht mehr auftreten konnten. Finanziert wurde dieses denkwürdige Rockfestival von Beate Uhse, die auch die Vorauszahlung von Jimis Gage leistete, so dass dieser Künstler sein volles Honorar bekam. Ich hatte Jimi Hendrix nach Fehmarn lediglich vermittelt und mit der Organisation dieses Rockfestivals nichts zu tun.
Im Gegensatz zu der großartigen Tournee 1969 hatte sich Jimi Hendrix bei seinen beiden letzten Auftritten im Jahr 1970 sehr stark verändert. Jimi erschien auf der Bühne ganz schlicht ohne seine indianische Kleidung und konzentrierte sich ganz auf seine Musik, vor allem den Blues.
Für den Oktober hatten wir eine lange Tournee geplant, bei der Jimi Hendrix von einer Jazz-Big-Band begleitet werden sollte und, wie schon in Fehmarn, Blues und Jazz spielen wollte. Hierbei stieß er auf den großen Widerstand seines damaligen Managers und der Plattenfirma, die Hendrix auf seine frühere Spielweise (wie "Electric Ladyland") festlegen wollten. Dies brachte Jimi in einen Zwiespalt seiner Gefühle, der ihn sehr strapazierte und sein Verhalten negativ beeinflusste.
Fritz Rau Jimi Hendrix wäre auch mit Blues und Jazz sehr erfolgreich geworden. Man denke nur an den weltweiten Erfolg von
Eric Clapton mit dieser Musik.
Meine Theorie ist, dass man dieses Vollgas-Leben von Jimi Hendrix in den früheren Jahren auf die Dauer nicht durchstehen kann, und sich der Künstler entweder in Rauschmittel flüchtet oder den Weg der heilsamen Musik - nämlich den Blues - einschlägt. Letzten Endes glaube ich, dass Jimi Hendrix am Druck des Managers und der Plattenfirma zerbrochen ist.
RockTimes: Ihr neuestes Leseprogramm nennen Sie "Begegnungen". Welche waren für Sie persönlich die Nachhaltigsten während Ihrer aktiven Zeit?
Fritz Rau: Da gibt es keinen Superlativ. Wir sind nicht die Champions League oder die Bundesliga. Jedes Konzert von Ella Fitzgerald, Ray Charles oder Marlene Dietrich waren für mich einmalig, so auch die Auftritte der Rolling Stones, oder das berühmt gewordene Open Air Konzert auf dem früheren Nürnberger Reichsparteitagsgelände 1978 mit Bob Dylan und Eric Clapton. Dort haben wir die Bühne der Künstler gegenüber der Hitler-Tribüne aufgebaut, so dass 80.000 deutsche Besucher Hitler den Rücken und den Musikern ihr Antlitz zuwandten. Ein Höhepunkt waren auch die Konzerte der drei Entertainer Frank Sinatra Fritz Rau, Liza Minelli und Sammy Davis jr. in der Olympiahalle München, und der Wiener Stadthalle. Die politisch und künstlerisch wichtigsten Produktionen waren aber die American Folk Blues Festivals, die weltweit die Rockmusik positiv beeinflusst haben.
Die intensivsten Begegnungen, die letztlich auch zu echten Freundschaften führten, ergaben sich mit Künstlern, die in Deutschland lebten oder wirkten. Mit diesen habe ich nicht nur die Zeit auf den Tourneen verbracht, sondern durch ständigen Kontakt das ganze Jahr über an ihrer Entwicklung mitgewirkt. Dies betrifft vor allem Peter Maffay und Udo Lindenberg, der auch das Vorwort zu meinem Buch verfasst hat.
RockTimes: Nach 50 Jahren Backstage - schlummern da noch einige Geschichten, die Sie uns außerdem erzählen könnten und ist diesbezüglich noch eine Buchveröffentlichung in Planung?
Fritz Rau: Nein, ein neues Buch wird es nicht geben. Mein Weg als Konzertveranstalter wurde in meiner Autobiographie ausführlich abgehandelt. In meinem neuen Vortragsprogramm erzähle ich spezielle Anekdoten von den Begegnungen mit hochinteressanten Künstlern.
RockTimes: Welche Meinung haben Sie zu dem medienträchtig und inflationär gecasteten Nachwuchs in diversen TV-Shows, und halten Sie das Engagement von Veranstaltern für Newcomer hierzulande für ausreichend?
Fritz Rau Fritz Rau: Ein großer Nachteil besteht darin, dass private Veranstalter Konzerte mit Nachwuchskünstlern heute kaum noch subventionieren und systematisch fördern können, da die etablierten Künstler so hohe Gagen verlangen, dass der Überschuss für den Veranstalter nicht ausreicht, um Geld in neue Künstler zu investieren.
Die wunderbare Blues-Rockgruppe AC/DC habe ich vor einigen Jahren noch als kleine australische Clubband in Deutschland auftreten lassen. Heutzutage war ihre Tournee in den größten deutschen Konzerthallen über Internet, innerhalb von 30 Minuten total ausverkauft. Man kann also sagen, die erfolgreichen Künstler werden noch erfolgreicher, und die erfolglosen Künstler werden mehr.
Deshalb habe ich mich auch seit 10 Jahren auch besonders für den f6-Music Award engagiert, welcher von der Industrie vorbildlich subventioniert und den Musikern aus den neuen Bundesländern eine Live-Plattform bietet. Trotz harter Anforderungen bewarben sich beim letzten Wettbewerb 900 Bands für die Vorausscheidung, von denen drei Gewinner letztlich in den Genuss von erheblichen Sachleistungen, wie einem Plattenvertrag und einer professionellen Betreuung gekommen sind. Außerdem ist es das Ziel dieses Wettbewerbs Musiker dazu zu bringen, ein Instrument zu lernen und Livemusik zu spielen. Den Gewinnern des Wettbewerbs wird geholfen, den steinigen Weg eines Berufsmusikers vorzubereiten.
Weil die öffentliche Hand nicht in der Lage ist, eine wirksame Nachwuchsförderung durchzuführen, fordere ich eine bessere Subventionierung der Konzertclubs durch die öffentliche Hand, da diese Clubs die wahren Brutstätten für begabte Musiker auf ihrem Weg sind.
Fritz Rau Die so genannten nach ihren amerikanischen Vorbildern ausgerichteten Castingshows, wie "Deutschland sucht den Superstar", halte ich persönlich für sehr fragwürdig, und für die Entwicklung junger Künstler gefährlich. Das beginnt schon damit, dass man auf einem Nachwuchswettbewerb keinen Superstar finden kann, sondern höchstens Talente, die aber bis zum Superstarstatus noch einen langen Weg haben. Außerdem stört mich, dass junge Kandidaten von dem Protagonisten dieses Wettbewerbs verbal bloßgestellt und respektlos behandelt werden, mit öffentlichen Bemerkungen wie »Wenn ich Dich singen höre, müssen meine Ohren kotzen.« Hierbei denke ich an einen Ausspruch von Siegmund Freud: »Der Verlust der Scham ist der Beginn der Idiotie.«
Für ein Talent, das aus der Mittelmäßigkeit heraussticht, gilt ein Satz von Johann Wolfgang Goethe, leicht geändert: »Es bildet ein Talent sich in der Stille, doch ein Entertainer erst im Sturm der Zeit.«
RockTimes: Wenn Sie noch einmal die Möglichkeit bekämen, eine Tournee als Veranstalter zu begleiten - wen würden Sie dafür favorisieren?
Fritz Rau und Jürgen Schwab Fritz Rau: Ganz einfach. Zum Beispiel den musikalischen Begleiter bei meinen Vorträgen: Jürgen Schwab, den ich als Liedermacher seiner eigenen Texte und Melodien für außerordentlich begabt halte. Dies gilt insbesondere für seine neue CD "heute noch", die ich nur empfehlen kann. Seine Lieder haben autobiographischen Charakter und sind aus der Mitte des Lebens entstanden.
Unabhängig hiervon möchte ich mich auf Vorträge konzentrieren, da für die Verantwortung einer Tournee und der Karriere eines begabten Künstlers meine Kraft heute nicht mehr ausreicht.
RockTimes: Welche Meinung vertreten Sie zu dem derzeit wieder kontrovers diskutierten Thema Ausländerfeindlichkeit und Integration von Menschen mit Migrationshintergrund - eine Problematik, welche die Musikszene mit ihren multikulturellen Einflüssen wohl längst überwunden hat?
Fritz Rau: Multikulturell ist wahrscheinlich eine Verirrung von uns Grünen, weil dieser Bezug auf Eigenständigkeit eine schlechte Voraussetzung für Integration sein kann. Ein Sarrazin hat zwar wichtige Denkanstöße gegeben, aber sein Bezug auf Abstammung und Rassenunterschiede helfen nicht weiter. Immigranten sind immer noch Individuen, welche die Öffentlichkeit nach ihrem Entschluss, hier zu leben, stärker unterstützen muss. Dabei sollte man der Anregung des Bürgermeisters von Berlin-Neukölln folgen und eine Integration in zwei Phasen fokussieren: Erstens sollten Immigrantenkinder im Vorschulalter die ausreichende Möglichkeit haben, Kindergärten zu besuchen und die Eltern dazu verpflichtet werden, die Kinder in einen Kindergarten zu bringen, insbesondere zur Entwicklung eines frühen Sprachverständnisses und der Schaffung von Beziehung zwischen Immigranten und deutschen Kindern. Zweitens muss man genügend Ganztagsschulen schaffen, damit die Jugendlichen frühzeitig Bildung und Betreuung erfahren.
Da pflichte ich auch einer Frau von der Leyen durchaus zu, obwohl mir 'schwarz' nur in der Musik zusagt: anstatt finanzieller Hartz-IV-Zuwendungen freie finanzielle Mittel für Bildung, Erziehung und Verpflegung in den Schulen zu bewilligen. Es fragt sich nur, in was unser Staat lieber Geld investiert: für die überhöhten Pensionen bankrotter Banker oder für diese ganz wichtige Aufgabe der Integration.
RockTimes: Verfolgen bzw. interessieren Sie sich für die aktuelle junge Rock- und Popszene?
Fritz Rau und Jürgen Schwab Fritz Rau: Aber natürlich! Sonst wäre ich doch ein Ignorant! Gott sei Dank habe ich Enkelkinder, mit denen ich durchaus die Konzerte ihrer bevorzugten Musiker besuche, zumal ich meist Freikarten dafür beschaffen kann. Auf diese Weise überredeten mich die Enkel zu einem Konzert der Black Eyed Peas, wobei ich mit dem Namen der 'schwarzäugigen Bohnen' nicht viel anfangen konnte. Ich wurde aber entgegen aller Befürchtungen eines Besseren belehrt: Eigentlich wollte ich mich an diesem Konzertabend in der Frankfurter Jahrhunderthalle dezent im Hintergrund halten und mit der tüchtigen Hallenmanagerin über vergangene Zeiten plaudern. Bis eine Enkelin mit ihrer Aufforderung: »Opa, das ist nicht deine Art. Wenn ich eine Band liebe, solltest du dir ein Stück davon anhören, damit wir darüber reden können«, mich dazu verführte, das Konzert zu besuchen. Was soll ich sagen, ich hörte mir nicht nur ein Stück an, sondern blieb bis zur letzten Zugabe. Diese ausgezeichnete Westcoast-Rockband aus den USA mit einem schwarzen Rapper und einer Sängerin mit bester Bluestradition hatten mich in ihren Bann gezogen.
Ähnlich geschah es auch bei einem Konzert mit Tokio Hotel, bei denen Hunderte von Mädchen vor der Bühne reihenweise in Ohnmacht fielen, aber die gesamte Halle lauthals die Texte der Band sang. Zu meinem Erstaunen musste ich trotz vorangegangenen Naserümpfens feststellen, dass den Besuchern eine außerordentlich edle Produktion mit einem makellosen Sound geboten wurde. Erst nach dem Konzert in der Backstage beim Treffen meiner Enkeltöchter mit diesen lustigen Gesellen wurde mir klar, dass diese Band über einen hervorragenden Leadsänger verfügt. Meiner Meinung nach muss man zu einem wirklichen Leadsänger, wie es zum Beispiel Mick Jagger ist, geboren werden. Außerdem überzeugt mich die Tatsache, dass Tokio Hotel ihre Instrumente live spielen. Mittlerweile feiern Tokio Hotel internationale Erfolge.
Fritz Rau Besonders schätze ich die von Udo Lindenberg geförderte Band Silbermond. Diese Musiker aus den neuen Bundesländern sind hochbegabt, genauso wie die aus Gießen stammende Band Juli, welche ebenfalls eine starke Sängerin in ihren Reihen hat. Und dies gilt natürlich auch für
Wir sind Helden und andere Bands. Für eine außerordentlich gute Livekünstlerin halte ich auch Annett Louisan und die hochbegabte Ina Müller aus Hamburg. Nicht zu vergessen sind Künstler aus der früheren DDR, wie die inzwischen wieder sehr erfolgreichen Silly oder Maschine von den Puhdys und vor allem auch Rosenstolz. Diese Künstler habe ich als Juroren beim f6-Music Award kennen- und schätzen gelernt. Abschließend muss ich bekennen: Das Leben geht weiter und wenn ich jünger wäre, hätte ich als Veranstalter genug zu tun. Ich kann nur allen Veranstaltern raten, den Wettlauf um die Superstars nicht anzustreben, sondern eigene Musikgruppen systematisch aufzubauen. Dies habe ich mein Leben lang getan. Peter Maffay und Udo Lindenberg sind der Beweis, dass dies gelungen ist.
Fritz Rau RockTimes: Was halten Sie von der derzeitigen Schwemme von so genannten Comeback-Tourneen einiger Rock/Pop-Veteranen, und sehen Sie hierbei die Rolling Stones in einer Ausnahmesituation?
Fritz Rau: Ich unterscheide hierbei ganz klar zwischen Oldtimern und Klassikern. Die Oldtimer interessieren mich weniger, da sie weitgehend ihre früheren Hits spielen und kaum noch kreativ tätig sind. Außerdem ist es oft der Fall, dass nur ein Mitglied der früheren Band das Namensrecht hat, und inzwischen diese Bands eine völlig neue Besetzung haben.
Anders ist es aber mit den Klassikern. Das sind Bands wie die Rolling Stones, die noch regelmäßig neue Platten und Konzertprogramme präsentieren und nicht nur die alten Hits. Dies bedeutet, dass diese Musiker weiter an sich arbeiten. Stellvertretend für viele andere nenne ich Ian Anderson, einer meiner besten Freunde, der mit Jethro Tull als einer der ersten mit Sinfonie-Orchestern zusammenarbeitete.
Die so genannten Cover-Bands, welche ich gleichfalls ablehne, sollte man nicht alle unter einen Hut schieben. Die Berliner Sinfoniker sind letztendlich auch eine Beethoven-Cover-Band, aber mit eigenständiger Qualität.
Fritz Rau RockTimes: Zum Schluss würde mich noch Ihre Lebensphilosophie interessieren, und welche persönliche Botschaft würden Sie unseren Lesern noch gern mit auf den Weg geben?
Fritz Rau: Erstens:»Ein Leben ohne Musik ist ein Irrtum« (Friedrich Nietzsche)
Zweitens: Verbünde dich mit dem Unvermeidlichen - tu das, vor was du Angst hast und warte nicht auf morgen.
Autorisiert von Fritz Rau
RockTimes bedankt sich bei Antje Winter (Agentur Winter), Friederike Weisse-Rau und Fritz Rau für die freundliche Unterstützung und empfiehlt den aktuellen Lesevortrag "Fritz Rau Begegnungen", einschließlich der musikalischen Begleitung von Jürgen Schwab (Gitarre, Gesang).
Zu Teil I des Interviews
Externe Links: