Rare Earth / In Concert
In Concert Spielzeit: 73:43
Medium: CD
Label: Motown Records, 1971
Stil: Rock


Review vom 24.10.2015


Michael Breuer
Gute Live-Alben gibt es viele – solche, die die Geschichte der Rockmusik mitgeprägt haben, sicherlich nicht. Ein weniger bekanntes Exemplar genau dieser Couleur erschien Ende 1971 bei Motown Records, einem Label, das gewöhnlich nur schwarze Bands unter Vertrag hatte. Und Rare Earth waren weiß, wenn man das alles mal so politisch unkorrekt für die heutige Zeit formulieren darf. Drei Studioplatten hatten die sechs Herren aus Detroit zu dieser Zeit bereits zum Besten gegeben und dabei aus der eigentlich für die Temptations geschriebenen Nummer "Get Ready" ein mehr als zwanzigminütiges Rhythmusmonster erschaffen, mit dem sie ihre Fans allabendlich in den Wahnsinn trieben.
Erprobt durch jahrelanges Tingeln und Touren durch die amerikanischen Clubs, wurden sie nach den ersten Veröffentlichungen schnell zu einem Top-Act und füllten riesige Stadien. Basierend auf einem unzweifelhaften Rhythm & Blues-Fundament etablierten sie durch den Einsatz diverser Percussion Instrumente und schillernden Saxofon-Sprenkeln einen unfassbaren Groove bluesig-funkig-souliger Rockmusik und eine hoch explosive Mischung, die so energetisch rüber kam, dass Sänger und Schlagzeuger Pete Rivera (der eigentlich Hoorelbeke heißt) zu Beginn der LP das Publikum vor Stromschlägen warnen musste. Gut, das lag dann wohl doch eher am Wasser des bühnennahen Pazifischen Ozeans, in dem sich einige Enthusiasten versammelt hatten. Doch Wasser hätte es nicht bedurft, um die Funken fliegen zu lassen. Kaum war die Rhythmus-Maschine namens Rare Earth erstmal angeworfen, gab es keine Zurückhaltung mehr. Diese Musik reißt mit, auch heute noch.
Nach dem kurzen Opener "I Just Want To Celebrate", nomen est omen, nimmt die Band nach der bereits erwähnten Wasserwarnung Fahrt auf und schlendert lässig forcierend in den ersten Überkracher "Hey, Big Brother", der den Jungs bereits einen Single-Hit verschafft hatte. Ein paar Drum-Beats, die Congas, einsetzendes funkiges Gitarrenriff und die schweinemäßige Orgel - so hat man in den Siebzigern den Turbo aufgeladen. Ab die Post, es darf gerockt werden, straight und losgelöst. Ganz nebenbei zeigen sie in diesem Song dem Orwell´schen Überwacher, dem großen Bruder, verbal musikalisch den Stinkefinger: »Hey, big brother… he ain\'t gonna get me, are you gonna let him get you?«. Schön, wenn wir uns NSA und solche Konsorten auch so einfach mit einem fetzigen Rocksong vom Hals halten könnten. Immerhin, "Hey, Big Brother" hat auch nach 45 Jahren nichts von seiner Aktualität verloren.
Mein persönlicher Liebling war immer "I´m Loosing You" - eine Nummer, die durch ihre Gitarrenprägung, ihre komprimierte Rhythmik und den charakteristisch funkigen Riffs die perfekteste Symbiose aus erdig, bluesigen Roots und ultracooler souliger Musik bildete. Natürlich auch hier verpackt in einen herrlichen Jam mit fast fünfzehn Minuten. Der Song stammt übrigens auch aus dem Fundus der Temptations und wurde durch den legendären Produzenten Norman Whitfield innerhalb des Motown-Labels gern weiter vermittelt, wie die Band überhaupt regelmäßig Songs anderer Motown-Künstler coverte.
Und dann eben "Get Ready". Relaxed mäandernd jammen sie sich ein, so als wollten sich unsere Helden das Publikum entspannt zurecht legen, um es alsbald zu erlösen, wenn dieser unglaubliche Groove einsetzt. Dann kocht der Kessel, hypnotisch und ekstatisch. Die nächste Abbiegung führt direkt hinaus aus der Milchstraße und dahinter nur noch Vollgas. Ein Schlagzeug-Bass-Duell, groovendes Keyboard, virtuos wilde Percussion auf Congas, die nicht von dieser Welt zu stammen scheinen, bis hin zum alles abräumenden Gitarren-Freak Out, hier wirst Du bearbeitet und malträtiert, bis Du Dich allmählich im Rhythmus auflöst und erleuchtet erkennst: Yeah, I´m ready!
Körperlich vermutlich auch, denn nach den schlagend geschlagenen 23 Minuten plus hast Du eine Menge Fett abgebaut. Wer "Gamma Ray" (R.I.P. Nossi) liebt, wird bei "Get Ready" den Verstand verlieren, versprochen.
Dass diese Scheibe heute fast vergessen scheint, werde ich nie begreifen, cooler und lässiger ist Rockmusik niemals gewesen. Auf dem Höhepunkt ihres Schaffens zelebrierten Rare Earth, was ihnen besonders am Herzen lag und was sie am besten konnten: die Bude rocken. Der Kontakt zum Publikum war ihnen stets wichtiger als die Arbeit im Studio, und diese Begeisterung spiegelt sich wider in dieser epochalen DLP/CD. Die Band, wenn auch mit vielen neuen Protagonisten, ist heute noch unterwegs in den Staaten. In die großen Stadien gehen sie nicht mehr, in die Geschichte der Rockmusik hingegen sind sie längst eingegangen.
Line-up:
Pete Rivera [Hoorelbeke] (drums, lead vocals, percussion)
Gil Bridges (woodwinds, vocals, percussion, flute)
John Persh (bass, vocals)
Ray Monette (guitars, vocals)
Mark Olson (keyboards, vocals)
Ed Guzman (conga, percussion)
Tracklist
01:I Just Want To Celebrate
02:Hey, Big Brother
03:Born To Wander
04:Get Ready
05:What'd I Say
06:Thoughts
07:(I Know) I'm Losing You
08:Nice To Be With You
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