Stefan Paul
Rio Reiser - Lass uns 'n Wunder sein
Lass uns 'n Wunder sein Spielzeit: Hauptfilm (91:00), Bonusmaterial (153:00)
Medium: DVD
Technik:
Bildformat:16:9
Tonformate:Dolby Digital 5.1, Dolby Digital 2.0
Sprache: Deutsch
Label: Arsenalfilm, 2010
Stil: Deutschrock

Review vom 25.01.2010


Sabine Feickert
Tübingen Ende der sechziger Jahre, mit Schwarzweißaufnahmen aus dieser Zeit beginnt der Film. Aus dem 'Off' wird die damalige Stimmung und Situation mit Jugendrevolte und Hausbesetzungen in der Republik erklärt. Anfang der siebziger Jahre gibt es nach dem Tod eines Lehrlings ein Konzert der Berliner Gruppe Ton, Steine, Scherben . Anscheinend war dies die erste Begegnung des Regisseurs Stefan Paul, der damals in Tübingen Germanistik und Anglistik studierte, mit Rio Reiser und den Scherben, denn eine andere Erklärung dafür, warum ausgerechnet Tübingen hier Erwähnung findet, gibt es eigentlich nicht - zumindest keine in der Bandbiografie begründete.
Kurze Musikfragmente leiten über zu einem Interview mit Udo Lindenberg , der in unnachahmlicher Weise über Rios Rolle für die deutsche Rockmusik dahernuschelt, um dann im nächsten Zeitsprung zu Reisers Tod und direkt danach zu seinem Alter Ego R.P.S. Lanrue in Portugal zu springen.
Der Film wechseltt zwischen Musikschnipseln, Interviewfragmenten und Kommentaren aus dem Off hin und her. Soweit so gut und ja gar nicht ungewöhnlich für dieses Genre.
Für meinen Geschmack wird dieses Stilmittel hier aber zu exzessiv eingesetzt - mir fehlt ein Hauch von rotem Faden, eine klare Linie. Dass nicht chronologisch erzählt wird, stört mich nicht weiter, es kann ja durchaus reizvoll sein, eine Geschichte über andere Aspekte aufzurollen. Auch die - nicht weiter ungewöhnliche - Methode, nur die Antworten eines Interviews zu zeigen, wirkt hier stellenweise verwirrend, weil die thematischen Sprünge so groß sind, dass es kaum möglich ist, inhaltlich zu folgen.
Dass viele der Interviewpartner nur einmal mit Untertiteln vorgestellt werden und vielleicht doch nicht jedem Zuschauer jede der Personen so geläufig ist, kommt als weitere Erschwernis hinzu. Möglicherweise liegt das aber auch daran, dass "Lass uns 'n Wunder sein" der dritte und letzte Teil einer Filmtrilogie von Stefan Paul über Rio ist, da ich die beiden Vorgängerfilme "König von Deutschland" und "Jan Plewka singt Rio Reiser" nicht kenne, kann ich dies nicht beurteilen.
Wenn man diese Art der Darstellung aber außer Acht lässt, erfährt man in der Verfilmung recht viel über das Leben, die Rolle und auch den Tod Rio Reisers. Wie so viele seiner Kollegen (ich erinnere hier nur an Falco ), starb auch Rio einen plötzlichen aber doch vorhersehbaren Tod in Folge von zu viel Alkohol und Drogen.
Ein beträchtlicher Teil des Filmes widmet sich seinem Einfluss auf die deutsche Musikszene, noch heute werden Theaterstücke über ihn aufgeführt, jede Menge Musiker covern seine Songs und natürlich ist da auch noch die Scherben Family, in der sich mit Gründungsmitglied Kai Sichtermann auch langjährige Mitmusiker wie Funky K. Götzner (Schlagzeug), Angie Olbrich (Percussion), Jörg Schlotterer (Flöte), Gitarrist Marius del Mestre , Keyboarder Martin Paul und der Ex-Manager und Sänger Nikel Pallat zusammengefunden haben.
Gestreift wird auch der Streit um die Rechte an Rios Werken, der dazu führte, dass lange Jahre keine Tonträger produziert werden konnten. Ein anderer Teil des Films behandelt die Gründung der Kommune auf Fresenhagen, einem halbverfallenen Anwesen, das von der Band und Freunden in Eigenleistung renoviert und ausgebaut wurde, bis schließlich dort die Küche als zentraler Ort der Begegnung diente und die Kommunenmitglieder im Wechsel für alle kochten. Claudia Roth, heutiges Bundestagsmitglied der Grünen, die einige Zeit die Scherben managte und mit auf Fresenhagen lebte, plaudert hier aus dem Nähkästchen, respektive dem Suppentöpfchen. Über das (fehlende) Verhältnis der Scherben zum Geld und die Einstellung der linken Szene, die bei zu hohen Eintrittspreisen wahrscheinlich die Säle gestürmt hätte, weiß Roth so Einiges zu erzählen.
Auch die Zeit nach den Scherben wird betrachtet, schwule Weggefährten und Freunde melden sich zu Wort und legen ihre Sicht der Dinge dar. Ein weiterer, sehr großer Teil des Films wird schließlich Lanrue, dem Gitarristen und Komponisten, der mit Rio zusammen ein ähnliches Gespann bildete wie einst Lennon/McCartney oder Jagger/Richards eingeräumt. Lanrue erscheint als ausgesprochen tragische Figur, er scheint nie wieder so richtig Boden unter die Füße gekriegt zu haben. Ein Holzhaus in Portugal in seinem Zitronenhain brannte ab, seither lebt er dort in einem Wohnwagen und träumt davon zu komponieren.
Zwischen all diese Anekdoten und Meinungen werden immer wieder kurze Schnipsel aus Konzerten eingeblendet. Ein echtes Highlight versteckt sich auf der Bonus-DVD, immerhin fünf vollständige Lieder aus dem legendären Konzert 1988 in der Seelenbinderhalle in Ostberlin in richtig guter Qualität. Dazu jede Menge weiterer Interviews, teilweise sogar mit den Fragen.
Mein Eindruck ist noch immer durchwachsen - für absolute Fans und Sammler des 'König von Deutschland' ist diese Doppel-DVD ganz sicher ein absolutes Muss. Für den normal interessierten Musikliebhaber, der Rio ganz gern hört, ist sie höchstens 'nice-to-have'.
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