Wir wollten nach außen immer ein bisschen blöder wirken, als wir eigentlich sind.
Ali Neander Vor wenigen Tagen, am 24. August, feierten die Rodgau Monotones den 35. Jahrestag ihrer Gründung mit einem großen Spektakel vor über dreitausend Fans und Freunden im Hanauer Amphitheater.

Aus diesem Anlass stand uns Gitarrist
Ali Neander kurz nach dem Soundcheck für ein Gespräch zur Verfügung. Wenn auch von einem Regenguss unterbrochen, plauderte
Ali ganz locker aus dem reich gefüllten 'Nähkästchen' der Band und gewährte tiefe Einblicke in selbiges...

Interview vom 29.08.2013


Steve Braun
RockTimes: Hi, Ali. Erstmal vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für die Beantwortung unserer Fragen nimmst. 35 Jahre Rodgau Monotones - das muss man erstmal sacken lassen!! Hättet Ihr anno 1978 gedacht, mal derart "Schön, reich und berühmt" zu werden?
Ali: Äh, äääh... von was redest Du da eigentlich? [lacht] Nein, wir haben da überhaupt nicht daran gedacht. Das war ja auch die Grundidee von so 'ner Band. Das war am Anfang gar nicht so, das war eine reine 'Nebenbei-Band'. Wir hatten alle natürlich noch sehr viel ernster gemeinte Hauptbands, die mittlerweile alle das Zeitliche gesegnet haben. Aber wie so oft, passieren einem oft die wirklich entscheidenden Dinge einfach so nebenbei.
RockTimes: Wenn Du auf diese lange Zeitspanne zurückblickst - bist Du zufrieden, wie's gelaufen ist? Was war gut, was nicht so? Gab's vielleicht etwas, was richtig weh getan hat?
Ali: Natürlich haben so einige Sachen überhaupt nicht geklappt, aber da hat man erst später bemerkt, für was das eigentlich gut war. Die Tatsache, dass wir vielleicht irgendwann mal nicht so erfolgreich waren, wie wir uns das vorgestellt und gewünscht hätten, hat sicher dazu geführt, dass es uns überhaupt noch gibt. Man kann das im Nachhinein kaum noch beurteilen. Ich glaube, die Tatsache, dass es uns so lange gibt, ist eine Mischung aus x Faktoren. Davon sind einige in dem Moment auch sehr unangenehm gewesen. Wir hätten natürlich manchmal, als wir bekannter wurden, gerne auf diesem Level weitergemacht und haben dann vielleicht falsche Entscheidungen getroffen, waren nicht fokussiert genug, waren vielleicht auch zu faul. Keine Ahnung, es gibt viele solche Faktoren... Aber im Nachhinein stellt sich das alles irgendwie als folgerichtig heraus.
RockTimes: Für mich wart Ihr immer in erster Linie eine geile Rockband, aber von der schreibenden Zunft seid Ihr nur zu gerne in die Blödelecke einsortiert worden. Hat das Euch manchmal genervt? Wie habt Ihr darauf reagiert?
Ali: Jaaa... ich finde, das Problem ist: Es gibt ja x Bands, die die Lieblinge der Kritiker sind, weil sie viel mehr Anknüpfungspunkte bieten, wie bspw. literarischer Art. Es ist wohl wesentlich interessanter, über solche Leute zu schreiben. Wir haben damit immer schon so ein bisschen kokettiert. Wir wollten nach außen immer ein bisschen blöder wirken, als wir eigentlich sind. Das ist besser als andersrum [grinst]! Wer uns aus der Nähe betrachtet, merkt, dass da schon noch so andere Facetten drin sind. Aber, lieber so ein bisschen mit der eigenen Blödheit kokettieren, dann hat man einfach mehr Reserven.
RockTimes: Mit großer Freude haben Eure Fans registriert, dass Ihr ein neues Album in Arbeit habt. Magst Du ein bisschen darüber erzählen?
Ali: So alle paar Jahre kommen wir mal auf den Gedanken, wir müssten mal wieder neues Zeug schreiben. Erstens mal, damit man nicht so vergreist - zweitens, damit man sich nicht langweilt - und dann natürlich, um etwas an der Vervollkommnung des Stils zu arbeiten. Mittlerweile gehören wir ja zu so einer Spezies von Musikern, die vom Aussterben bedroht ist. Es gibt viele unglaublich gute, tolle, junge Musiker - aber die Art, wie wir spielen - das fällt uns mittlerweile auf - das machen nicht mehr so viele. Wir sind somit die Letzten unseres Standes, der Fassbieger oder Stuhlschnitzer [lacht]. Es ist eben so, dass es Spaß macht, etwas auf diese Art zu machen, weil es sonst keiner mehr so macht. Vor zehn Jahren wären wir gar nicht auf so einen Gedanken gekommen, aber jetzt fällt es uns auf, dass wir quasi eine alte Kultur erhalten [lacht erneut].
RockTimes: Ist der Veröffentlichungstermin schon absehbar?
Ali: Also, ich hoffe im kommenden Frühjahr. Wir haben schon angefangen und sind guter Dinge, aber wir müssen sehen, dass wir das auch zeitlich geregelt bekommen, aber im kommenden Frühjahr sollte das hinhauen.
RockTimes: In welchen Studios seid Ihr zugange?
Ali: Die Schlagzeugparts haben wir gerade in Hannover aufgenommen, in dem Studio, wo wir auch schon die Schlagzeugparts für "Ein Leben für Lärm" eingespielt hatten. Das ist sehr interessant dort, weil das ein Studio ist, in dem niemand über 30 arbeitet. Das sind alles total junge Leute. Und das macht total Spaß, weil die auf die ganze Sache ja nochmal mit einem ganz anderen Blickwinkel schauen. Die finden Sachen daran langweilig, aber auch einige Sachen total interessant. Etwa
»Heh, wow, was issn das??«
RockTimes: Und das beeinflusst Euch positiv?
Ali: Absolut!! Deshalb haben wir das auch ganz bewusst gemacht. Wir wollen gerne diese Rückmeldungen, weil wir das sonst nicht so mitbekommen und die Gefahr besteht, dass man immer in seinem eigenen Sud kocht. Über die Jahre stellt sich halt auf diese Art und Weise eine bestimmte Mischung heraus: Wir machen zwar unser Ding, aber versuchen, dass es nicht so schnarchig oder 'altsackmäßig' wird.
RockTimes: Hat das Ding schon einen Arbeitstitel?
Ali: Nöö, wir lassen uns jetzt mal treiben und gucken, wo's uns hinführt. Das ist das Beste, was man machen kann.
Ali NeanderRockTimes: Wäre es für Euch mal eine Option, eine Platte mit Martin Meinschäfer [Ex-Sänger von Hob Goblin, Frankfurter Szeneband] zu machen?
Ali: Ich weiß, der macht ja die Henrik Freischlader-Sachen. Der Punkt ist: Wir können eigentlich nicht mehr komplett für eine CD ins Studio gehen. Wir müssen das aufspalten, Schlagzeug jetzt im Studio, dann nehmen wir die Instrumente teilweise selber auf - was wir mittlerweile können - dann nehmen wir den Gesang irgendwo auf. Diese schöne Idee, dass wir als Gruppe irgendwo hingehen und dann gemeinsam eine komplette Platte aufnehmen, ist einfach nicht mehr bezahlbar. Leider!! Es wäre hochinteressant, weil Martin ja im Sauerland ist, und dann einfach zwei, drei Wochen dort bleiben. Aber schon alleine zeitlich könnten wir das gar nicht mehr machen, weil bei uns einige ja auch ganz normalen Berufen nachgehen. Wir müssen also den Aufnahmeprozess in den Alltag integrieren, deshalb geht das nur noch scheibchenweise. Natürlich, Martin Meinschäfer ist ein alter Freund von uns. Vielleicht wäre es mal eine Idee für ein, zwei Stücke ein Wochenende ins Sauerland zu fahren, auch allein des Erlebnisses wegen... Schön, dass Du es sagst. Da wäre ich jetzt gar nicht darauf gekommen, aber das wäre auf jeden Fall eine Überlegung wert.
RockTimes: Ich hab vorhin beim Soundcheck ein neues Stück, "Vollgas", gehört. Wird das seinen Weg auf die Platte finden?
Ali: Das ist ein Stück, das ganz sicher auf die Platte kommen wird. Das können wir noch nicht so gut, aber wir spielen das heute auf jeden Fall mal. Für uns ist auch wichtig, dass wir nicht zur eigenen Coverband verkommen. Das will wirklich keiner von uns. Wir spielen zwar unheimlich gerne unsere alten Lieder, aber wenn wir das ausschließlich machen würden, würden wir langsam aber sicher Spinnweben ansetzen.
RockTimes: Aber die Leute wollen halt die alten Sachen hören...
Ali: Ja klar, das wollen wir ihnen ja auch nicht vorenthalten, aber es ist auch wichtig, dass man immer mal ein 'Lebenszeichen' von sich gibt.
RockTimes: Wo wir gerade bei den Fans sind: Ihr habt bekanntlich die besten der Welt. Inwiefern pusht Euch das?
Ali: Unbedingt!! Wir haben das gerade in den letzten zehn Jahren - oder so - bemerkt, was das für einen Unterschied macht, wenn Leute zu den Konzerten kommen, denen das wirklich etwas bedeutet. Man muss das jetzt nicht überbewerten. Die haben einfach etwas in ihrem Leben erlebt, das sie mit unserer Musik verbindet. Von daher ist das eine sehr menschliche und eben keine rein mediale Beziehung. Ganz einfach, wenn etwas dauernd in den Medien präsent ist, dann gibt das einen medialen Trubel. Und dann sind da ganz viele Leute, die das Wiedererkennen aus den Medien bejubeln. Das ist auch alles legitim, aber das war uns früher gar nicht so klar. Das ist erst jetzt für uns deutlicher, was es bedeutet, wenn sich Leute über viele Jahre der Musik verbunden fühlen.
RockTimes: Das kommt mir fast schon familiär vor. Der Monotones-Virus wird quasi von den Großeltern über die Eltern auf die Enkelkinder übertragen...
Ali: Ja genau, wir hatten da schon diese Geschichten mit Paaren, die uns mit ihren Teenagern in der Mitte gegenüberstanden und uns sagten »Der hier ist nach Eurem Konzert entstanden«, was natürlich der Tiefpunkt seines Lebens war... [lacht]. Oder Zehnjährige, die auf Video-Clips - total textsicher - ein Monotones-Stück nach dem anderen singen. Das ist total anrührend.
RockTimes: Erzähl doch mal was von der Gruppendynamik bei den Monotones. Wer ist bei Euch für was zuständig?
Ali: Bei uns ist das wie in einer alten Ehe. Wir streiten dauernd - manchmal auch nicht, dann isses ganz okay. Aber wir kennen uns wirklich schon so gut, dass wir auch über diese Streits lachen können. Die kommen wirklich oft so ganz automatisch, wie bei alten Ehepaaren, die ganz genau wissen, wie sie sich so richtig trietzen können. Aber wir sind dazu meist zu antriebsschwach... wir waren auch letztlich immer zu antriebssschwach, um uns aufzulösen... selbst in Krisenzeiten [schnarcht grinsend]. Außerdem muss man bedenken, dass wir alle untereinander - außer zu unseren Eltern - die längsten Beziehungszeiten unseres Lebens haben. Wesentlich länger als unsere Ehen. Die Monotones-Kiste hat dadurch einen ganz großen Platz in unserem Leben. Außerdem ist ganz wichtig, dass wir uns privat kaum sehen. Wir wissen einfach nicht, was der andere tut. Ich hab teilweise keine Ahnung, was die teilweise machen. Ich hab so eine dumpfe Ahnung von Berufen oder Hobbys oder so, aber ich will's eigentlich gar nicht genau wissen...
RockTimes: Kann man's nur so 35 Jahre miteinander aushalten?
Ali: Ja, würd ich auch so sagen - absolut! Die Idee, wir leben gemeinsam in einer WG und machen da Musik, das ist vielleicht für ein Jahr ganz nett, aber dann isses die Hölle...
RockTimes: War das von Anfang an so oder hat sich das langsam entwickelt?
Ali: Am Anfang haben wir schon etwas mehr Zeit zusammen verbracht oder sogar mal einen Urlaub, aber wir haben dann schnell gemerkt: Das ist zwar okay, aber es macht nichts besser! Es ist eher so die Idee: »Was macht der Kerl denn eigentlich so den ganzen Tag??« Das ist irgendwie reizvoller...
Ali NeanderRockTimes: Ist es eigentlich bei so vielen Bandmitgliedern schwierig, musikalisch (im Proberaum oder Studio) 'auf einen Nenner' zu kommen oder tickt Ihr alle völlig synchron?
Ali: Nein, das ist alles ein bisschen arbeitsteilig geregelt. Ich schreib relativ viel von der Musik und den Texten, da gibt es dann entsprechende Interaktionen. Oder jemand anderes kommt auf eine gute Idee, es fällt einem ein guter Spruch ein - dann geh ich nach Hause und schreib einen Text darüber. Am besten kann man es so erklären: Wenn wir in einen Modus, einen 'Zusammen-leben-Modus' kommen, dann fallen einfach Schlagworte und dann entwickelt sich daraus eine Dynamik... Außerdem wird vieles arbeitsteilig gemacht: Die einen kümmern sich mehr um organisatorische Fragen, andere mehr um das Merchandising... Da reißt keiner alles an sich - das wäre völlig albern.
RockTimes: Mal was anderes: Du bist ja ziemlich umtriebig. Was für Projekte hast Du derzeit abseits der Monotones am Laufen?
Ali: Ich spiel halt so in meinen diversen Combos: Moses Pelham, Glashaus - diese Ecke halt, mit denen mach ich nach wie vor Musik. Dann spiel ich mit meiner Frau, Sabine Fischmann, zusammen, so eine Duo-Geschichte. Dann mach ich dieses Rilke-Projekt: Schauspieler lesen Rilke-Texte und dazu spielt eine Band - Ben Becker und Hannelore Elsner haben da bspw. mitgemacht. Ich bin eben auch sehr neugierig und versuche immer, mit irgendwelchen anderen Leuten etwas zusammenzumachen. Mal gucken, ob mit dieser Solobesetzung gemeinsam mit Hellmut Hattler wieder was zustande kommt. Es sind bestimmt sieben, acht, neun Sachen, die bei mir parallel laufen, mal mehr - mal weniger engagiert, es geht um den Spaß an der Sache, weißte?
RockTimes: Und welchen Stellenwert nehmen da die Rodgau Monotones ein?
Ali: Das ist wie so 'ne Stammkneipe, in der man immer mal vorbeischaut und wo man sich wohl fühlt. Die Monotones sind einfach ein unglaublich emotionaler Ort, weil wir uns schon so lange kennen und weil es eben doch eine unheimliche Freiheit in dieser Band gibt. Auf der Bühne hab ich total viel davon gelernt: Wie man sich vor viele Menschen stellen kann und sich trotzdem im Grunde so fühlt wie 'Wir sind's doch nur'. Das ist nicht selbstverständlich! Wenn du bei anderen Leuten siehst, wie sehr die von dieser Live-Situation vollkommen verändert und verkrampft werden... Da sehe ich, dass diese lange Zeit mit den Monotones für mich eine Lehre war. Sich auf der Bühne, auch wenn man mal Mist baut, nicht in die Hose zu machen. Ist doch egal...
RockTimes: Ihr seid also vor einem solch großen Event wie heute Abend kaum noch nervös?
Ali: Na ja, wir sind heute doch schon ein bisschen nervös, weil das ein sehr großes Programm mit vielen Facetten ist, und dass das mit dem Zeitplan klappt, wir haben ja schließlich Gäste. Da stellt sich die Frage »Habt ihr auch alle Schnittchen und was zu trinken?« Und dann wollen die auch alle gut aussehen und sollen nicht blöd verheizt werden. Wir geben uns da richtig Mühe, dass sie sich auch wohl fühlen - deswegen sind wir schon aufgeregt, natürlich.
RockTimes: Auf was freust Du Dich heute Abend am Meisten?
Ali: Einerseits auf alles und andererseits auch auf das Ende [lacht herzhaft]! Und ich hoffe, dass wir das hier gebacken kriegen, bevor um halb Elf hier der 'Hanauer Hammer' fällt. Denn wir haben das nicht alles genau getimt - das ist alles 'Pi mal Daumen'...
RockTimes: Zum Schluss die alles entscheidende Frage: Was machen die Rodgau Monotones im Sommer 2028?
Ali: Im Sommer 2028?? Ähm... was werden wir denn da?
RockTimes: Fuffzisch - das fünfzigste Jubiläum...
Ali: Dann sind wir, hah... vielleicht nicht mehr am leben... [grinst breit] So weit wollen wir gar nicht denken! Aber man kann sich schon relativ realistisch vorstellen, dass wir unseren 40sten feiern werden. Da diese ganzen Geburtstagsfeiern immer 'größenwahnsinniger' werden, muss man da auch lange vorplanen. Das muss ja dann schließlich etwas noch Größeres werden... eigentlich müssten wir mit den Planungen schon morgen früh anfangen [lacht]...
RockTimes: Ja, Ali, vielen Dank für das Interview und viel Spaß nachher auf der Bühne.
Ali: Ich hab zu danken.
Wir danken Birgit Osterwold für die Vermittlung dieses Hintergrundgespräches im Backstage-Bereich des Amphitheaters!
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