Rush / Snakes And Arrows Live
Snakes And Arrows Live Spielzeit: 79:07 (CD 1), 74:49 (CD 2)
Medium: Doppel-CD
Label: Anthem/Atlantic Records, 2008
Stil: Prog Rock


Review vom 15.05.2008


Boris Theobald
Früher hatten Rush einen festen Rhythmus: nach vier Studioalben gab es eine Live-Scheibe. Daran hielten sie sich bemerkenswerte 16 Studio- und mathematisch-logischerweise vier Live-Scheiben lang! Seitdem es seltener Neuigkeiten aus dem Studio gibt, hat sich ein Verhältnis von 1:1 eingestellt. Und immer gab's und gibt's beste Gründe für neues Livematerial, zum Beispiel den 30. Geburtstag der Band. Der neuerliche Anlass: das überraschend geniale Snakes & Arrows, auf das man immerhin fünf Jahre warten musste!
Allein der Titel "Snakes & Arrows Live" verkündet die Daseinsberechtigung der nunmehr siebten Live-Veröffentlichung der Progrock-Superhirne. Denn sagenhafte neun von 13 Tracks des aktuellen Albums stehen auf der Setlist! Die gehören ohnehin mit zum stärksten Songmaterial der ganzen Bandgeschichte (und das ist ja nicht knapp!)... unglaublich, dass Lee, Lifeson und Peart Stücke auf der Bühne - beinahe erwartungsgemäß - noch mal in neue Sphären hieven.
Sie erfüllen die neuen Nummern mit Magie und lassen sie ebenbürtig mit den 'Klassikern' werden. Das spürt man bei den gnadenlos rockenden Hooklines von "Far Cry", die in der Live-Fassung besonders wuchtig rüberkommen. Gleiches gilt auch für den Psycho-Trip namens "Spindrift", bei dem Geddy Lee mit dem passend abgedrehten Gesang noch eine Schippe Extravaganz draufpackt. Nicht minder fesselnd sind die verträumten, unterschiedlich intensiven Atmosphären von "Armor And Sword" - ein Song, der live gespielt nochmals eindrucksvoller wirkt als in der Studiofassung. Hier bekommt man Gänsehaut - und die Aufnahme schafft es, dieses Gefühl zu transportieren.
Der intuitive Mitsinger "Working Them Angels" und der Bluesrocker "The Way The Wind Blows" verblüffen (nicht) als (einzige) neue Stücke in einer ganzen Reihe von Klassikern mit Alex Lifesons sagenhaftem Gitarren-Faktor: Wer Rush nicht kennt, kann kaum glauben, dass bei diesen nahtlosen Wechseln zwischen verzerrten, cleanen und akustischen Gitarren nur ein Griffbrett-Greifer ganz allein auf der Bühne steht! Und nicht zu vergessen: Die gewohnt genialen, mega-melodisch, fidel-verfrickelten Instrumentalstücke "The Main Monkey Business" und "Malignant Narcissism". Hier brennt das kanadische Triumvirat Feuerwerke der Finger- und Fußfertigkeit ab, die sich hinter dem ebenfalls gespielten Klassiker "YYZ" nicht zu verstecken brauchen.
Doch auch jenseits der "Snakes & Arrows"-Tracks haben sich Rush bei ihrer Songauswahl mächtig was einfallen lassen! Jahrzehnte alte Kompositionen sind zum ersten Mal überhaupt auf einem Livealbum verewigt: "Entre Nous" von "Permanent Waves" (1980), "Circumstances" vom 1978er-Album "Hemispheres", beispielsweise. Und "Digital Man" vom weniger 'hardrockigen' 82er-Werk "Signals" erschallt in einer überraschend energiegeladenen Heavy-Fassung. Auch "The Mission", der Uralt-Klassiker "A Passage To Bangkok" sowie der vertrackte Prog-Überhammer "Natural Science" wurden lange, teils sehr lange, nicht mehr live dargeboten. Interessant ist die Mischung aus altem Charme und der ein oder anderen Stelle, die anders klingt - schließlich interpretieren Rush nicht jeden Ton wie vor zig Jahren.
Überdies hat Neil Peart sein stets in der Landessprache des abendlichen Publikums betiteltes Drumsolo zum ersten Mal seit Langem mächtig umgekrempelt! Die niederländische Version "De Slagwerker" enthält noch einige bekannte Elemente, aber umso mehr neue Versatzstücke seiner stilprägenden Schlagzeugkunst. Ein bisschen weniger melodische Spielereien als sonst sind dabei, stattdessen mehr rhythmische Finessen. Die typische Ruhepause nach dem Drumsolo füllt dieses Mal Alex Lifeson mit seiner gefühlvollen neuen Akustiknummer "Hope" aus - eine tolle Entscheidung!
Nachdem schon die Songauswahl dem geneigten Fan die Freudentränen aus den Säckchen quillen lässt, beglücken uns Rush - und das ist eigentlich keine große Überraschung - wieder einmal mit einer technisch traumhaft tighten Vorstellung. Es ist ja schon viel gesprochen worden über Pearts erhabene Technik, Lifesons vielseitige Gitarrenkunst, für die man eigentlich zwei Gitarristen braucht und Lees virtuose Basslines sowie seinen nach wie vor quietschlebendigen Gesang ("Freewill", "Circumstances", wow!)... . Die sehr gelungene Abmischung lässt dabei aber, ähnlich wie schon auf R30, jedes Detail erkennen. "One Little Victory" erstrahlt sogar im besten Klang ever. Noch viel stärker auf dem suboptimal aufgenommenen Album "Vapor Trails" hört man hier erst, was alles in dem Song drin steckt - meine Lieblingsversion bis dato!
Es gibt nun wirklich keinen Grund für Rush-Kenner, "Snakes & Arrows Live" nicht besitzen zu müssen. Wer schon alles hat, muss allein wegen der Songauswahl dringend seine Rush-Sammlung um diese mehr als zweieinhalb Stunden lange Göttergabe vervollständigen! Oder alternativ auf die DVD warten. Aufgenommen wurde das Ganze Mitte Oktober 2007 in Rotterdam und damit nur wenige Tage vor dem Abstecher der Band nach Deutschland - für Konzertbesucher also auch ein unverzichtbares Souvenir.
Line-up:
Geddy Lee (vocals, bass)
Alex Lifeson (guitar)
Neil Peart (drums)
Tracklist
CD 1:
01:Limelight
02:Digital Man
03:Entre Nous
04:Mission
05:Freewill
06:The Main Monkey Business
07:The Larger Bowl
08:Secret Touch
09:Circumstances
10:Between The Wheels
11:Dreamline
12:Far Cry
13:Workin' Them Angels
14:Armor And Sword
CD 2:
01:Spindrift
02:The Way The Wind Blows
03:Subdivisions
04:Natural Science
05:Witch Hunt
06:Malignant Narcissism - De Slagwerker
07:Hope
08:Distant Early Warning
09:The Spirit Of Radio
10:Tom Sawyer
11:One Little Victory
12:A Passage To Bangkok
13:YYZ
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