Patti Smith And Her Band / 11.07.2012, Tempodrom, Berlin
Tempodrom
Patti Smith And Her Band
Tempodrom, Berlin
11. Juli 2012
Konzertbericht
Stil: Rock

©Fotos: Sabine Feickert


Artikel vom 21.07.2012


Markus Kerren
Patti SmithAm 11. Juli stand ein ganz besonderer Termin für unsere Redaktion an, denn an diesem Abend sollte Patti Smith eines ihrer wenigen Deutschland-Konzerte in diesem Jahr im Berliner Tempodrom spielen. Dafür nahmen dann auch zwei Redakteure aus dem Südwesten unserer Republik gerne den langen Weg in die Hauptstadt auf, um der Grande Dame der amerikanischen Rockmusik ihre Aufwartung zu machen. Mit dem Taxi angekommen konnte man bereits eine recht hohe Besucherzahl vor dem Tempodrom ausmachen und es sollte sich dann auch bestätigen, dass der Konzerttempel (mit einem Fassungsvermögen von 6400 Menschen) an diesem Abend zu etwa 98 % ausverkauft war.
Patti SmithDie Spannung (nicht nur) beim Verfasser dieser Zeilen stieg und stieg und stieg, bis schließlich um etwa 20:15 Uhr die Hallenlichter ausgingen und die Band, direkt gefolgt von Patti auf die Bühne trottete. Es wurden keine großen Worte gemacht, sondern direkt mit dem Klassiker "Dancing Barefoot" losgelegt. Leider zu leise, was die gute Patti aber selbst umgehend bemerkte und sich nochmal eindringlich mit dem Mischpult-Mann am Rande der Bühne unterhielt. Ab dann gab es aber keine Fragen und Beschwerden mehr, der Sound war astrein, transparent und auch von der Lautstärke her optimal.
Das folgende "Redondo Beach" vom Debütalbum "Horses" (1975) brachte dann zum ersten Mal an diesem Abend die Gefühlswelten des Rezensenten durcheinander. Das war nicht nur klasse gespielt und gesungen, Patti hatte auch das exakt richtige Feeling für diese sehr sensible Nummer drauf! Gänsehaut! Die Protagonistin ging während der ersten beiden Tracks (wie auch im weiteren Verlauf) öfter mal an die Bühnenränder und winkte ihren Fans fast schon mädchenhaft und strahlend ein liebevolles 'Hallo' zu. Anschließend der Sprung in die Gegenwart mit zwei Nummern ("April Fool" und "Fuji-San") vom neuen Album Banga. Und auch hier galt: Hochprofessionell wie aufgedreht (von einer fantastischen Band) gespielt und gesungen, während Frau Smith immer wieder in ihren so ganz eigenen (lt. meiner begeisterten Schwester der COOLSTE überhaupt) Tanz eintauchte.
Patti SmithDie Publikums-Resonanz war (auch bei den neuen Stücken) nicht nur sehr gut bis ekstatisch, es war auch mehrfach zu beobachten, wie viele der Besucher geradezu hypnotisiert in eine andere Welt - nämlich in die der dargebrachten Songs der New Yorkerin - abdrifteten. Ein bisschen ärgerlich wurde die Protagonistin an diesem Abend nur ein einziges Mal, als sie einen Song ankündigte, den sie einem Christof widmete, woraufhin es doch erstmal sehr ruhig blieb. Nach etwas beherzteren Worten, mit denen sie noch einmal "Peaceable Kingdom" ankündigte und bekanntgab, den Titel für den verstorbenen Christof Schlingensief zu spielen, wusste dann auch auch die Masse Bescheid und honorierte dies.
Patti SmithEs gab an diesem Abend noch eine spezielle, sehr gefühlvolle Würdigung, nämlich für Amy Winehouse mit dem Song "This Is The Girl". Und ansonsten: Klassiker um Klassiker, angefangen mit dem rockenden "Free Money" über das hypnotische "Ghost Dance", das wunderschöne "We Three", das göttliche "Pissin' In A River", dem oft fälschlicherweise für einen Bruce Springsteen-Song gehaltenen Mega-Hit "Because The Night" bis hin zu dem abschließenden und nur noch verbrannte Erde zurücklassenden "Gloria". Dazwischen durfte ihr von Beginn an musikalischer Partner Lenny Kaye ein Medley zum Besten geben, welches seinen Höhepunkt in Johnny Thunders' "Born To Lose" hatte.
Patti SmithPuuuh, was für ein Konzert! Erstmal ein bißchen durchatmen... zumindest so weit das während der ekstatischen Zugabeforderungen möglich war. Logisch, dass die Musiker zurückkamen und dann allerdings eher überraschend - wenn auch sehr passend und gelungen - den Titelsong des aktuellen Albums in einer mitreissenden Version darboten. Es folgte, was folgen musste: Eine gigantische Version von "People Have The Power" des 1988er Albums "Dream Of Life". Schon hier und danach (beim abschließenden "Rock'n'Roll Nigger") war dann erstmal Alarm angesagt, denn die Amerikanerin verfiel gegen Ende des letzten Tracks in einen aufgebrachten, lauten, wütenden und mit aller Inbrunst vorgetragenen Monolog über Humanismus, die (so oft und gerne unter den Teppich gekehrten) Rechte des 'kleinen Mannes' und die leider nach wie vor weit verbreitete Ignoranz gegenüber sogenannten 'Andersdenkenden'.
Patti Smith And Her Band im Berliner Tempodrom boten ein sehr mitreißendes, sehr beeindruckendes und vor allem berührendes Erlebnis. Diese Lady hat auch mit Mitte sechzig nullkommanix von ihrer Power, ihrer Magie und ihrer Wärme verloren. Und auch wenn ich nach dem Konzert dem ein oder anderen - mir die Fußnägel hochrollenden - 'Experten-Gespräch' - (»...als sie den Amy Winehouse-Cover-Song gesungen hat, hat sich das aber nicht wie das Original angehört...«) mit plötzlich unkontrolliert zuckenden Gesichtsmuskeln lauschen durfte/musste, war nahezu das komplette Tempodrom noch lange Zeit nach dem letzten gespielten Ton fasziniert und aus dem Häuschen.
In diesem Sinne, ride on, Patti, ride on:
»I'm dancin' barefoot
headin' for a spin
some strange music draws me in
makes me come on like some heroine...«
Line-up:
Patti Smith (lead vocals, guitar)
Lenny Kaye (guitars, bass, vocals)
JayDee Daugherty (drums)
Tony Shanahan (bass, guitar, keyboard)
Jack Petruzzelli (guitars, bass, keyboard)
Setlist:
01:Dancin' Barefoot
02:Redondo Beach
03:April Fool
04:Fuji-San
05:Free Money
06:This Is The Girl
07:Distant Fingers
08:Ghost Dance
09:Beneath The Southern Cross
10:Nighttime/(We Ain't Got) Nothin' Yet/Born To Lose/Pushin' Too Hard
11:We Three
12:Pissin' In A River
13:Because The Night
14:Peaceable Kingdom
15:Gloria

Zugabe:
16:Banga!
17:People Have The Power
18:Rock'n'Roll Nigger
Externe Links: