Patti Smith / 05.07.2011, Serenadenhof, Nürnberg
Rocktimes Konzertbericht
Patti Smith
Serenadenhof, Nürnberg
am 05.07.2011
Stil: Rock

Konzertbericht vom 10.07.2011


Norbert Neugebauer
Patti Smith Die kleine New Yorkerin kommt auf die Bühne geschlendert, lächelt und hat schon ihr lautstark applaudierendes Publikum gewonnen. Das Charisma von Patti Smith ist phänomenal. Kurzes »Hello« und dann startet sie mit ihren beiden Begleitern Lenny Kaye und Tony Shanahan mit "Dancing Barefoot" in den akustischen Set. Nein, barfuß nicht und diesmal behält sie auch die Springerstiefel an, es regnet ja nicht wie seinerzeit 2002 in Jena. Seit ich den Bericht unserer Ilka über jenes Konzert gelesen hatte, hatte ich mir vorgenommen, diese Frau auch live zu erleben, sollte es dazu irgendwann Gelegenheit geben. Ob Patti wieder regelmäßig auftreten würde und in welcher Form, stand damals in den Sternen.
Patti Smith Allerdings gehörten bereits ihre ersten Platten zu den beständigsten meiner jugendlichen LP-Sammlung, die späteren wurden erst in jüngerer Zeit als CDs ergänzt. Als Patti nach ihrer Familienauszeit und dem Tod ihres Mannes sporadisch auf die Bühne zurückkehrte, nahm ich sie, auch in ihren Film-, Cover- und Fotoportraits als eine ernste, meist schwarz gekleidete und auch irgendwo extreme Frau wahr, mehr Poetin als Rockmusikerin. In den letzten Jahren war sie auch präsenter als Zeichnerin und Buchautorin (»Schicksal«, schien aber immer irgendwo im Raum zu schweben, wenn über sie berichtet wurde).
Patti Smith Und nun das! Die Karte für gutes Geld hatte ich mir schon vor über einem Vierteljahr besorgt, auf eine mögliche Akkreditierung für RockTimes wollte ich nicht warten (und ging dann auch als 'normaler Fan' hin). Das Konzert, wieder nur eins von dreien in diesem Jahr in Deutschland, war als "An Evening with Music & Words" angekündigt, ähnlich dem, das sie letztes Jahr bei der Berlinale gegeben hatte. Die Lyrikerin Patti Smith und dazu ein paar (hoffentlich nicht zu wenige) Songs ihrer langen Karriere - auch gut, ihre gesprochenen Texte sind doch auch reiner Rock'n'Roll!
Patti Smith Der Opener hat verhaltenen Schwung und bringt die meist schon recht gesetzten Mittelstands-Fans auf Touren. Patti, in Jeans, T-Shirt und Sakko lächelt, dankt und stimmt gleich den nächsten Song ("Redondo Beach") an. Und wie sie SINGT! Mit einer unerwartet melodiösen, warmen Stimme, die zumindest ich nicht von dieser früheren Underground-Röhre erwartet hätte. Welch großartige, selbstbewusste Performerin sie ist, zeigt sie mit jeder ihrer wenigen, aber stilsicheren Gesten und ihrer ausdrucksstarken Mimik. Sie startet ausgesprochen lyrisch - mit einem Dank an ihren Freund Jerry Garcia
("Grateful"), erinnerte sich mit einem feinen Lächeln an die Hochzeit in Detroit, romantisiert dazu "Helpless" und erzählt von ihrem ersten Besuch in Nürnberg, als sie und Lenny 1987 zum Konzert von Bob Dylan kamen. Passend dazu ein fein intoniertes "Boots Of Spanish Leather".
Patti Smith Ja, Nürnberg hat die Vierundsechzigjährige offensichtlich ins Herz geschlossen. Ein nachmittäglicher Spaziergang über das leere Reichstagsgelände, wo Jugendliche Skateboard üben, - natürlich - die Bratwürste, über die sie sogar einen eigenen Song improvisiert und die zum Running Gag werden. Aber in diesem wunderbaren Serenadenhof, grünüberwuchert und intim, da lässt es sich auch leicht schwelgen, zumal in so einer milden Sommernacht. Patti strahlt, winkt ins Publikum und wirkt wie ein junges Mädchen auf einem romantischen Spaziergang. Sie steigt von der Plattform zu den Fans herunter, begießt die Blumen und scherzt mit ihren Partnern. Streicht sich durch die schlecht gefärbte Mähne und meint schalkhaft, sie müsste wohl mal wieder wegen der Haare nach Paris. Mehrfach verpasst sie Einsätze und kommt nicht in die Melodie - kein Problem - sie fängt einfach nochmal von vorn an. Als sie es gar nicht packt, singt ihr Tony, offensichtlich sehr überraschend, sogar vor. Alles auf der Bühne Patti Smith passiert mit viel Humor und natürlicher Herzlichkeit. "Gone Again", "Free Money", "Pissing In A River" und "Ghost Dance" sind dann Songs des ernsteren, nachdenklichen Teils, Patti und ihre Jungs steigern die Intensität, die Dynamik. Öfters lässt sie sich die Gitarre umhängen, dann wechselt Tony meist zum Flügel. Es wird deutlich rockiger, Patti spuckt ins Grün, stellt den Stiefel auf den Monitor. Mit "Because The Night" (was sonst) endet nach 90 Minuten der reguläre Teil. Die Band wird lautstark gefeiert und das vollkommen zu Recht - ein grandioser Auftritt. Nicht lang, dann kommt sie zurück, es fehlt ja noch was: Patti - die Agitatorin. "People Have The Power" (mit eingestreuten Aufrufen nach sozialer und politischer Neubesinnung) und "Rock'n'Roll Nigger/Gloria" als fulminanter, aus 1000 Kehlen mitgesungener Schlusspunkt. Patti hat keinen einzigen Prosatext oder ein Gedicht ohne Musikbegleitung rezitiert.
Patti Smith Ob es viele Leute gibt, die die 'Words' wirklich vermisst haben, weiß ich nicht, ich gehöre jedenfalls nicht dazu. Ein starkes Konzert einer großen Rock'n'Roll-Künstlerin mit ihren beiden exzellenten Musikern, einer ausdrucksstarken Persönlichkeit und einer wunderbaren Frau, die die Melancholie und die Trauer offensichtlich überwunden hat und stattdessen vor Lebenslust strahlt. Patti hat sich und uns einen relativ leisen, fröhlichen und versöhnlichen Abend gegönnt, ohne Zorn, ohne Wut, ohne Depression.
Dass sie zu ihren alten Fans immer noch neue gewinnt, wird sie freuen. Aber dass dazu immer mehr offizielle Anerkennung kommt, bestimmt genauso. Im August wird sie mit dem wichtigsten schwedischen Musikpreis, dem Polar Music Prize, der mit über 110.000 Euro dotiert ist, für ihr Werk ausgezeichnet.
Patti Smith Noch ein Wort zu den Zuhörern: Der größtenteils bestuhlte Serenadenhof war wohl ausverkauft und auch aufgrund der hohen Eintrittspreise ein 'gediegenes' Publikum vorherrschend, von dem eine gewisse Selbstdisziplin erwartet hätte werden können. Trotz Aufforderung wurden jedoch auch in den Vorderreihen die Plätze nicht rechtzeitig eingenommen, selbst ein halbe Stunde nach Beginn drängten während der ruhigen Songs Leute durch die Reihen, wo inzwischen andere auf ihren Stühlen saßen. Der Mittelgang wurde schnell von 'Hinterbänklern' okkupiert, darunter ein besonderer, dauerquasselnder 'Altfan' mit markanter Bassstimme, der nicht auszubremsen war. Ein anderer marschierte während eines Songs quer durch die dort Sitzenden und über die Grünumrandung, um Patti einen Zettel zu überreichen. Geht's eigentlich noch, ihr 'Musikliebhaber'? Ich bin auch nicht dafür, dass ständig eine Security-Einheit für Ruhe und Ordnung sorgt, aber etwas mehr 'Benimm' sollte auch bei einem Rockkonzert in diesem Ambiente selbstverständlich sein!
Line-up:
Patti Smith (guitar, vocals)
Lenny Kaye (guitar, bass, backing vocals)
Tony Shanahan (bass, piano, backing vocals)
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